6776672-1969_25_10.jpg
Digital In Arbeit

Israels neue Linke

Werbung
Werbung
Werbung

„Die Israelischen Regierungsspitzen zeigen eine direkt verwunderliche Stellungnahme dem arabischen Problem gegenüber und völliges Mißverständnis, wenn es sich um den Konflikt von zwei Nationalbewegungen handelt — der jüdischen und arabischen“, dies sagte Professor Jaakov Talmon auf einem Studentensymposion. Er ist einer der bekanntesten jüdischen Historiker, liest Geschichte und Philosophie an der Hebräischen Universität in Jerusalem, und zählt zu den prominentesten Köpfen dieser Universität.

Professor Talmon sprach über die Dialektik des Staates Israel, in dem der schon seit Jahren bestehende innerpolitische Aufbau eine bürokratische Gesellschaft an das Ruder brachte — aus den Parteiapparaten der großen Parteien und ihren Verzweigungen gegliedert — und nun nach dem Sechstagekrieg zu einer konformistischen Lebenseinstellung führte. Dieser Konformismus wurde noch spürbarer, nachdem sich die drei Arbeiterparteien, Mapai, Achdut Ha'avoda und Rafii, zu der Arbeiterpartei vereinigten und mit der linkssozialistischen Mapam zusammen einen Wahlblock bildeten. „Die Passivität des Bürgers“ — so Talmon — „wird immer spürbarer, und der Sechstagekrieg hat die Macht der bürokratischen Kräfte nur verstärkt, so daß die Demokratie in Israel heute mehr als je gefährdet ist.“ Nach dem Sechstagekrieg und dem dauernden Kampf an den Grenzen Israels verstärkten sich die nationalistischen Tendenzen immer mehr und mehr. Wenn noch kurz nach dem Krieg fast jeder Israeli bereit war, alle besetzten Gebiete sofort für einen Frieden zurückzugeben, so vermehren sich heute die „Falken“ von Tag zu Tag. Sollte Israels Regierung den Beschluß auch nur einer teilweisen Rückgabe der besetzten Gebiete durchführen, so wird dies nicht nur zum Austritt des rechten Gachal-Blocks aus der Regierung führen, sondern auch viele Kreise in anderen Parteien werden sich derart empören, daß solch ein Schritt zu innerpolitischen Krisen führen muß.

Mit jedem gefallenen Soldaten wächst in Israel das Gefühl von Aushalten auf der letzten Bastion. „Das ist unser Los, das ist unser immerwährender Blutzoll, damit wir als Juden im eigenen Land leben können“, diese und ähnliche Losungen hört man immer und immer wieder. Viele behaupten sogar, genauso wie man Verkehrsunfälle nicht verhüten kann und sie zu einer statistischen Tatsache jedes modernen Staates gehören, so gehören auch die Gefallenen an den Grenzen zum Staa: j Israel. Junge Familien werden dazu angehalten, mehr Kinder zu bekommen, denn jede Familie hat ihre Opfer zu bringen.

Am Symposion mit Talmon beteiligte sich der deutsch-israelische Professor Dr. Ernst Simon, der jalhrelang die Pädagogische Fakultät der Jerusalemer Universität leitete und den religiösen Kreisen angehört. „Als frommer Jude ist es für mich tagtäglich schwerer, an der Klagemauer zu beten. Dieses religiöse Relikt wurde auspolitischen: Manipula-\ tionen zu einem neuen israelischen Mythos, der gefährlich- ist für das Verständnis zwischen den Völkern. Hier wurde eine nichtheilige Allianz der Rechtsradikalen und Rechtsreligiösen geschaffen, die Andersgläubigen gegenüber keine Toleranz kennt. Genauso wie eine mohammedanischnationalistische Mythologie dem jüdischen Volk fremd isit, kann für diesen israelischen Mythos kein Araber Verständnis aufbringen“, sagte Professor Simon. Ein anderer Teilnehmer an diesem Symposion war Philosophieprofes-sor Jehoshua Bar-Hillel, dessen Schriften über den Existentialismus und andere neuphilosophische Richtungen in der angelsächsischen Welt viel Anklang gefunden haben. Er warnte vor einer „Sicherheitsmenta-lität“, in der alles mit den Sicherheitsproblemen verbunden wird.

In Israel ist jedoch wirklich alles ein anderer Fall. Jede Mutter zittert um ihren Sohn und jede Frau um ihren Mann an der Grenze. Die Sicherheit des Landes wird tagtäglich bedroht, und jeder Soldat der Reserve, der für ein bis zwei Monate im Jahr einberufen wird, begibt sich nicht nur auf Jahresübungen, sondern bewacht auch die Grenzen. Er kann fallen oder verletzt werden. Wenn in einem israelischen Hafen gestreikt wird, kann es gerade passieren, daß kriegswichtiges Material nicht abgeladen wird, oder wenn die Zitrusfrüchte nicht zur rechten Zeit auf den Markt kommen, fehlen die Devisen, um Waffen zur Verteidigung einzukaufen. Und so kann jeder Afbeitszweig, der für einen Außenstehenden als völlig harmlos gilt, in den sogenannten Sicherheitskreis mit einbezogen werden. Die gemäßigten Intellektuellen, die früher bei der linkssozialistischen Mapam Gehör finden konnten, suchen nun eine neue Adresse für ihre Funktionen. Sie wollen eine neue Linke bilden. Ungefähr 40 Prozent der Mitglieder der Mapam stimmten seinerzeit gegen den Beitritt zu dem Wahlblock. Ein Teil von ihnen kämpfte auch gegen die Führung an, als nach Errichtung dieses Blocks die Mapam auf ihre Selbständigkeit als Arbeiterpartei verzichtete.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung