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Jugend gegen Dayan

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„Kibbutz Kerem Shalom, Ende September.

Sehr geehrter Herr Sicherheitsministert

Einige der Unterzeichner dieses Briefes sind Absolventen der achten Gymnasialklasse und stehen kurz vor ihrer Mobilisierung. (Jeder Achtzehnjährige muß in Israel drei Jahre lang Militärdienst tun. S. H.) Einige von uns befinden sich bereits im aktiven Dienst. Mit großer Aufmerksamkeit haben wir Ihren Artikel „Dem Kriege gegenüber“ gelesen. Wir hoben vernommen, daß Sie Verständnis für den Antimilitarismus aufbringen, der sich unter unserer Jugend zeigt. Sie verlangen von uns, daß wir in diesem Krieg einen Krieg für unsere Zukunft sehen. Was bieten Sie uns? Die Zukunft eines Volkes, das nur mit Hilfe seines Schwertes existiert? Man kann eine Schlacht gewinnen, noch eine und noch eine. Bitte seien Sie versichert, daß wir alles tun werden, um tu diesem Sieg beizutragen, doch zum Frieden braucht man eine Friedenspolitik.

Sehr geehrter Herr Sicherheitsminister, unsere Zukunft liegt in Ihren Händen. Sie steuern das Schiff der Politik, Sie sind zum Frieden bereit, genauso wie wir, doch gibt es da einen kleinen Unterschied, Den Frieden sehen Sie in den brüderlichen Beziehungen zwischen den Arabern von Rafiach (Rafah) und den jüdischen Einwohnern von Piichat Rafiach. (Es handelt sich um eine neue Ortschaft, die in dem von Israel besetzten Gazastreifen errichtet wird und. etwa acht Kilometer vom Kibbutz Kerem Shalom entfernt ist. S. H.) In unseren Augen ist Pitchat Rafiach eine politische Tatsache, die den Frieden beeinträchtigt. Auch im alten (israelischen) Negev gibt es noch genug Boden, um dort eine neue Existenz zu finden und genug Minen, um das Gefühl zu geben, in einer Grenzsiedlung zu leben. Beziehungen zu den Arabern Rafiachs können wir auch von hier aus (Kerem Shalom) aufnehmen, doch dazu bedarf es des Friedens.

Mit Worten allein können Sie uns nicht überreden, für eine Zukunft zu kämpfen, die nichts anderes als Krieg und Töten zu bieten hat. Wir hassen den Krieg, weil er nur tötet.

Zu viele Kameraden von uns sind dem Krieg zum Opfer gefallen, nicht genug, um uns davon abzuhalten, an die Front zu gehen, doch zu viele, um nur einer Politik des Waffensieges zuzustimmen... Wir können keinen Krieg mit der Begründung bejahen, es gebe keinen anderen Ausweg, wenn wir glauben, daß es doch einen gibt. Es kommt auf die politischen Ziele an, und wie man sie erreichen will, wie lange man die Waffenruhe aufrecht erhalten soll und wann die Kampfhandlungen wieder beginnen werden.“

Dieser von 18 Jugendlichen unterschriebene Brief wurde in Israels größter Tageszeitung, „Ma'ariv“, veröffentlicht. Er erregte großes Aufsehen, andere Zeitungen nahmen gegen ihn Stellung. Minister diskutierten ihn öffentlich. Dieses Mal handelt es sich nicht um Gymnasiasten aus den Städten, die der Neuen Linken nahestehen. Die Verfasser dieses Schreibens gehören der zweiten Generation eines Grenz-kibbutzes an, der große Verluste durch Grenzzwischenfälle und Krieg zu beklagen hat. Bisher war man der Ansicht, daß gerade Bewohner der Grenzsiedlung aktivistischere Tendenzen zeigten als die Israelis des Hinterlandes.

Dieser Brief ist jedoch symptomatisch für eine allgemeine Haltung der Bürger Israels. Durch den Waffenstillstand am Suezkanal wurde die Bereitschaft zu Kompromissen bei der Bevölkerung stärker. Der Monat September war seit langem der erste ohne Verluste am Suezkanal. Man Hat sich hier schnell wieder an die Tatsache gewöhnt, daß an den Grenzen nicht geschossen wird. Dafür ist man zu vielem bereit, viel mehr als die israelische Regierung sich eingestehen will.

Schon vor einigen Monaten ergriff eine antimilitärische Welle die höheren Klassen der Mittelschulen und machte einer gewissen Kriegsmüdigkeit Platz. Trotz heftiger Reaktionen von selten der Regierungssprecher wurde diese Tendenz dieser Tage neu belebt.

Achtzig Prozent der israelischen Jugend ist areligiös und bereit, sogar auf die Hegemonie in der Altstadt Jerusalems zu verzichten, obwohl sich dort die Klagemauer, die heiligste Stätte des Judentums, befindet. Diese Jugend ist kompromißbereiter als die ältere Generation. Die letzten Ereignisse in Jordanien brachten die Bevölkerung der besetzten Gebiete dazu, ihr Verhältnis zu Israel realer zu betrachten und sich nicht nur von Haßgefühlen leiten zu lassen. Die Tatsache, daß Tausende von Frauen und Kindern durch den jordanischen Bürgerkrieg umgekommen sind, viel mehr also, als in allen Kriegen gegen Israel, änderte auch die Einstellung gegenüber den Israelis.

Der Kurs, den Nasser zuletzt einschlug — eine politische Lösung des Nahostkonflikts — wird langsam populärer in Cis-Jordanien. Mit den palästinensischen Untergrundbewegungen sympathisiert man, weil sie in Jordanien die Palästinenser verkörpern, doch nicht mit deren Zielen, der Ausradierung des Staates Israel von der Landkarte. Die Waffenruhe hat dazu geführt, daß der Mann auf der Straße, in Israel und in Cis-Jordanien, mehr Kompromißbereitschaft zeigt als seine politischen Führer.

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