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Zuviel Optimismus

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Es gibt vornehmlich im Bereich der großen Politik einen Optimismus, der die Stimmung eher drückt als hebt. Die Spekulationen um ein neues Abkommen zwischen Israel und Ägypten über die Entflechtung auf dem Sinai bieten derzeit das herausragende Beispiel.

Wird Außenminister Kissinger sich noch einmal — vermutlich zum letzten Male — auf Vermittlunigsreise in den Nahen Osten begeben? Viele Menschen in aller Welt möchten aufatmen. Doch bei genauem Hinsehen vermag man nicht zu erkennen, daß eine der Problemiverschlingungen zwischen Israel und der arabischen Welt gelöst ist.

Es ist bereits eine Banalität (die indes als tragender Faktor heutiger Politik immer vor Augen stehen muß) darauf hinzuweisen, daß kein arabischer Staat auf die Dauer mit Israel in Frieden zusammenleben möchte. Zu dieser Hauptursache des Nahast-Konflikts kommt als zweites Faktum, daß die Sowjetunion seit 1956 mit wachsendem Erfolg ihre Positionen in der arabischen Welt ausgebaut hat. Kein Entflechtungsabkommen — auf dem Sinai oder am Golan — kann die damit verbundenen Gefahren bannen. Der Westen vermag nämlich nicht (keineswegs nur im Interesse des Staates der Juden, sondern der Verteidigung Süd' Osteuropas wegen) den Nahen Osten einfach aufzugeben. Und Aufgabe, zu Lasten Europas, wäre auch eine einseitige Identifizierung mit arabischen Vorstellungen und Forderungen.

Doch zurück zu der angeblich unterschriftsreifen Entflechtungsvereinbarung! Es bleiben die Fragen: Wo sollen die Ägypter Truppen stationieren dürfen, wenn Israel die Pässe Gidi und Mitla räumt? Wer soll die Alarmanlagen an den Ostausgängen der Pässe besetzen, Amerikaner oder Israelis?

Und weiter: Angenommen, ein solcher Vertrag käme auf drei Jahre zustande — Israel würde ihn sicher als Beginn einer neuen Ordnung über zweiseitige Verhandlungen verstehen, während Sadat bereits den „neuen Weg nach Genf“ ins Auge gefaßt hat, wo dann das Palästinenser-Problem wahrscheinlich jede weitere Einigung zunichte machen würde.

Im Nachrichtenzentrum Beirut vertraten politische Beobachter die übereinstimmende Ansicht, die Furcht vor einem immer wahrscheinlicher werdenden fünften Nachost-krieg habe beide Seiten derzeit zur Vernunft und zum Einlenken gebracht. Gewöhnlich gut informierte westliche diplomatische Kreise lassen jedoch auch durchblicken, das Weiße Haus habe Kairo das Einlenken durch umfangreiche Wirtschaftshilfe-Versprechen und Jerusalem das Nachgeben durch die Zusage „abgekauft“, die unterbrochenen Waffen-und Nachschublieferungen für die israelischen Streitkräfte würden nach der beiderseitigen Unterschriftsleistung noch vor der Verwirklichung eines weiteren Teilrückzüges Wieder aufgenommen.

USA-Quellen besagen, daß Kissinger sich während seines Aufenthaltes auch um die Vorbereitung eines ähnlichen Abkommens zwischen Israel und Syrien an der Golan-Front bemühen wird. Hiebei erwarten ihn jedoch wesentlich größere Schwierigkeiten, weil der Verhandlungsspielraum beider Seiten hier viel kleiner ist. Damaskus wünscht praktisch die Freigabe des gesamten besetzten syrischen Gebietes, Jerusalem kann jedoch aus Sicherheitsgründen gerade hier wichtige strategische Faustpfänder kaum freigeben.

Eine besonders harte Nuß erwartet den USA-Außenminister diesmal in Jordanien. König Husein hat sich überraschend weitgehend an Syrien angelehnt und ist auf dem Weg zu einer Versöhnung mit den Palästina-Guerrilleros. Der Monarch ist zudem enttäuscht über die Verweigerung amerikanischer Waffenlieferungen. Wird sie nicht revidiert, will er bei seinem bevorstehenden offiziellen Besuch in Moskau um sowjetische Waffenhilfe nachsuchen und soll sogar die Stationierung sowjetischer Techniker und Militärs in seinem Land erwägen.

In Beirut spricht man davon, daß Kissinger diesmal auch die „Palästinensische , Befreiungs-Organisation“ (PLO) in seine Verhandlungen direkt einbeziehen will, die Voraussetzung dafür habe ein geheimes Gespräch einer PLO-Delegation mit USA-Präsident Gerald Ford während dessen kürzlicher Europareise geschaffen. In Washington sei man nunmehr davon überzeugt, daß sich auch die Arafat-Leute in ein umfassendes Nahost-Agreement einbeziehen lassen würden. Sollte Kissinger Erfolg haben, würde um die Jahreswende wieder die Genfer Friedenskonferenz einberufen werden.

Der mexikanische Präsident trat kürzlich in Israel als Sprecher einer „Weltmeinung“ auf, als er für eine „gerechte“ und „moralisch einwandfreie“ Lösung der Palästinenser-Frage plädierte. Über „gerecht“ und ^moralisch“ werden wohl auch hier — wie in manchem anderen Bereich der Politik — die Meinungen weiter differieren.

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