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Verlierer — die PLO

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Im Libanon, wo die fünfzehn-monatigen Bürgerkriegskämpfe trotz der syrischen Intervention und des Eintreffens der ersten Einheiten der gemischten panarabischen Friedenstruppe mindestens in der Hauptstadt Beirut weiterhin unvermindert anhalten, geraten die Linksradikalen muselmanischen Milizen und mit ihnen die Palästina-Guerillas nach monatelanger offensiver Kriegsführung zunehmend in die Defensive. Sie, die sich schon als die sicheren Sieger der blutigen Auseinandersetzung fühlten, werden zu den eigentlichen Verlierern. Während sich der libysche Ministerpräsident Abdessa-lam ed-Dschallud in pausenlosem Einsatz um das Zustandekommen von direkten Gesprächen zwischen dem gewählten Staatspräsidenten Elias Sarkis auf der einen und dem Linkspolitiker Emir Kemal Dschum-blat und der PLO-Führung auf der anderen Seite bemüht, bombardierten syrische Kampfflugzeuge mehrere Flüchtlingslager, in denen früher schon die Israelis Basen der Guerilleros vermuteten, und verhinderten syrische Truppen und Einhei-. ten der unter syrischem Oberbefehl stehenden^ «“palästinensischen Frei-schärleivßrganis&tion „es-Saika“ („der Blitzstrahl“) das Hereinkommen von Waffenlieferungen auf dem Land- und Seeweg. Den „Fedaijin“ ist der Nachschub weitgehend abgeschnitten, und sie kämpfen auf verlorenem Posten.

In Damaskus klagt man jetzt lauthals über den Undank der PLO. „Wir haben den PLO-Funktionären und ihren Familien jahrlang sicheres Asyl gewährt. Ohne uns wären sie in der ganzen arabischen Welt Gejagte gewesen. Ohn« uns hätte es auch niemals ein Auftreten Jassir Arafats vor der UN-Vollversammlung gegeben. Wir haben uns als einziger arabischer Staat entschieden für die Teilnahme einer eigenen palästinensischen Delegation an den Genfer Friedensverhandlungen eingesetzt“. So sagt man bitter in Damaskus, um gleich hinzuzufügen, daß man sich von den einstigen Ziehkindern getreten fühlt.

Die Freischärler sehen das verständlicherweise etwas anders. Sie argumentieren heute, Damaskus sei der Hauptgegner einer Gründung eines unabhängigen arabischen Staates in Palästina. Ein solcher Staat schade außer den Zionisten niemandem mehr als den syrischen Machtinteressen in Ostarabien. Damaskus habe die Träume von der Wiedergeburt eines „Groß-syrischen Reiches“ niemals aufgegeben.

Die Tatsachen sind freilich prosaischer. Das Anhalten der Bürgerkriegskämpfe im Libanon ist mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Schäden für Syrien verbunden. Beirut war früher der wichtigste Transithafen für den Güterverkehr unter anderem nach Syrien und Jordanien. Seit Monaten fällt es nahezu völlig aus. Die Hafeneinrichtungen an der syrischen Mittelmeerküste reichen aber noch keineswegs aus, um den syrischen Importbedarf hinreichend zu befriedigen. In Damaskus ist zudem niemand gegen einen arabischen Staat in Palästina. Die Annäherung Syriens an Jordanien hat allerdings den Blick dafür geschärft, daß die PLO unvermittelt zur revolutionären „Fünften Kolonne“ auch im eigenen Land werden könnte. Das möchte man vermeiden. Hier bestreitet man schlankweg, daß es einen palästinensischen Weg zur panarabischen Revolution geben

könne, so wie er den Gegnern Arafats in seiner eigenen Organisation vorschwebt. Die Unterschiede zwischen Syrien und den anderen Araberstaaten, darunter Ägypten, seien einfach zu groß.

Nacktes Unverständnis bringt man der Haltung des ägyptischen Präsidenten Mohammed Anwar es-Sadat entgegen. Obgleich er sich abrupter, als man es hier jemals im Sinn hat, von der Sowjetunion ab und zum Westen hinwandte, macht der bauernschlaue Fellache aus dem Nildelta jetzt gemeinsame Sache mit der PLO. „Ob es Sadat denn nicht weiß“, fragt man sich in Damaskus, „daß die Arafat-Leute ihm ungerührt an die Gurgel springen werden, sobald sie stark genug dazu sind?“

Diese Reaktionen selbst des ein- 1 fachen Mannes auf der Straße in der syrischen Hauptstadt lassen darauf schließen, daß die Araber langsam einzusehen beginnen, wie falsch es war, mehr als ein Vierteljahrhundert die Palästina-Flüchtlinge in primitiven Lagern zu belassen, bloß, um ein Faustpfand gegen Israel in der Hand zu behalten. Das Ergebnis ist, „Stfie sich jetzt herausstellt, daß man “Geiteraüonea. von politisierenden Kriminellen herangezogen hat, die jedes arabische Nachbarland nachhaltiger in Gefahr bringen als den Staat Israel. Die Konsequenz daraus zieht man bislang nach dem jordanischen Beispiel aus dem „Schwarzen September“ von 1970 nur in Syrien. Damaskus scheint unter seinem Präsidenten el-Assad eisern entschlossen zu sein, die palästinensische Lunte mit Gewalt auszutreten, bevor Syrien in Brand gerät. „Solange die PLO für ihr Palästina kämpft, werden wir sie unterstützen“, sagt man in Damaskus, „aber jeder Versuch der Freischärler, in einem anderen arabischen Land die Macht an sich zu reißen, bringt uns auf die Barrikaden“. Syriens Einsicht aus dem Ammaner „Schwarzen September“ kommt spät, aber nicht zu spät. Denn aus dem langsamen Zustandekommen der sogenannten „Panarabischen Streitmacht“ zur Befriedung des Libanon schließt man hier durchaus nicht zu Unrecht, daß alle arabischen Regierungen, vielleicht mit Ausnahme der Radikalen in Tripolis und Bagdad, nur darauf warten, daß endlich einer von ihnen das Palästinenser-Problem ein für allemal durch die Ausschaltung der PLO aus der arabischen Politik löst.

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