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Drahtzieher im Libanon

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Aleksandr Alexejewitsch Soldatow ist, im Gegensatz zu seinem kriegerischen Namen, ein typischer Karrierediplomat und ein achtbarer Vertreter seines Standes. 1915 geboren, wollte er zunächst Lehrer werden und studierte am Moskauer Pädagogischen Institut „Karl Liebknecht“. Die Diplomatenkarriere begann er in Australien, 1952 entsandte man ihn dann zur ständigen sowjetischen Delegation bei den Vereinten Nationen. Der Amerikaexperte, zu dem er dadurch geworden zu sein scheint, wurde 1955 Direktor der Amerikaabteilung des Moskauer Außenministeriums. Einem Zwischenspiel als UdSSR-Botschafter in Großbritannien folgte die Ernennung zum Stellvertretenden Außenminister. 1968 wurde er UdSSR-Botschafter in Kuba, und die westlichen Geheimdienste spürten schon bald seine

nach ganz Lateinamerika ausstrahlende Aktivität. Als Soldatow 1971 nach Moskau zurückkehrte, um Rektor des „Instituts für Internationale Beziehungen“ zu werden, hinterließ er auf dem südamerikanischen Subkontinent ein ganzes Netz von Guerrülagruppen.

Der Westen vergaß jedoch, wie so vieles, rasch auch diese Lektion. „Was sucht ein so hochkarätiger Diplomat in einem so unbedeutenden Land?“ fragten sich die westlichen Vertreter, als Soldatow 1974 dem libanesischen Präsidenten Suleiman Frandschiej im Beiruter El-Baabda-Palast sein Beglaubigungsschreiben überreichte. Hätten sie die CIA-Berichte über seine geheimen Aktivitäten auf der karibischen Zuckerinsel aus den Archiven geholt, so wäre ihnen die Antwort nicht schwergefallen. Hätten die Libanesen geahnt, welchen Wolf im Schafspelz sie da über die Freitreppe ins Haus ließen, sie hätten sogar die Hinterpforte vor ihm verriegelt.

Die Exzellenz in der goldbestickten Diplomatenuniform der roten Weltmacht, einer der gefährlichsten Guerrillaspezialisten des KGB, war kaum richtig heimisch geworden in dem supermodernen Botschaftsgebäude hoch über der Beiruter Cor-niche, als; das libanesische „Deu-xieme Bureau“ auch schon das erste unterirdische Donnergrollen registrierte. Die Behörden beobachteten mit Mißbehagen, doch ohne etwas dagegen tun zu können, die sich im Eiltempo anspinnenden regen Kontakte zwischen dem roten Diplomaten auf der einen und dem Oberhaupt der muselmanischen extremen Linken, dem millionenschweren Drusenemir Kemal Dschumblat, der „Palästinensischen Befreiungs-Organisation“ (PLO) unter Jassir Arra-fat und ihren linksextremistischen Randgruppen, wie der „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP) unter dem ehemaligen Kinderarzt Dr. Georges Habache oder der „Demokratischen Volksfront“ unter dem Marxisten Nedschif Hau-etmi sowie politisierenden kriminellen Banden aus dem Beiruter Untergrund, wie den sogenannten „Unabhängigen Nasseristen“ unter dem ehemaligen Zuhälter und Berufs-I

killer Ibrachim Koleitat auf der anderen Seite. Die Ministerialbürokra-ten rümpften zwar die Nase über den unfeinen Umgang des proletarischen Diplomaten, sahen aber zunächst keinen Zusammenhang zwischen diesen mindestens als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Gastlandes anzusehenden Kontakten und den zunehmenden Untergrundaktivitäten der Linken.

Im Frühjahr 1975 kam dann das böse Erwachen. Ein Massaker an den Einwohnern eines muselmanischen Bergdorfes und ein Uberfall auf die christlichen Insassen eines Autobusses wurden die Auslöser eines blutigen Bürgerkrieges.

Ein Jahr später lag Beirut, das einst blühende „Paris des Orients“, in Trümmern, das Land war geteilt und man beklagte rund 50.000 Tote. Die Linke forderte die revolutionäre Umgestaltung des Libanon in eine sozialistische Volksdemokratie, und die Palästina-Guerrilleros, die sich zunächst zurückgehalten hatten, beteiligten sich immer aktiver an den Kämpfen gegen die in Bedrängnis

geratenen Christen. Besonders taten sich dabei die schon erwähnten „Unabhängigen Nasseristen“ Ibrachim Koleitats hervor.

Die Sowjetbotschaft blieb übrigens während des ganzen Bürgerkrieges eine der wenigen Oasen der Ruhe. Fast alle anderen ausländischen Missionen, die samt und sonders in dem hart umkämpften muselmanischen Westen Beiruts lagen, wurden früher oder später vorübergehend oder dauernd Kampfzonen und mußten daher geräumt werden. Um die Sowjetbotschaft zogen Palästina-Guerrilleros einen dichten Schutzkordon. Im Sommer 1976 entdeckte man schließlich, daß das Gebäude vor allem ein umfangreiches Waffenarsenal war und daß außer Geld auch Waffen und Munition laufend den schließlich ins Hintertreffen gedrängten Linksextremisten zuflössen. Nach der Schließung des Beiruter Flughafens und der Blockade der Seeverbindungen bauten sowjetische Techniker in dem von den Moslems beherrschten Gebiet sogar Landebahnen für den Waffen- und Munitionsnachschub aus der Luft.

Die Rechnung Soldatows wurde ironischerweise letztlich nur von einem bis dahin als zuverlässig geltenden arabischen Verbündeten der Sowjets durchkreuzt. Syrien war jahrelang mit sowjetischen Waffen versorgt worden und verfügte schließlich über die disziplinierteste und höchstgerüstete Armee des arabischen Orients. Damaskus erinnerte sich, als sich die Waagschale im libanesischen Bürgerkrieg unaufhaltsam zugunsten der Linksextremisten zu senken schien, jedoch der Lehre des jordanischen „Schwarzen September“ vom Jahre 1970. Damals standen die Palästina-Guerrilleros kurz vor der gewaltsamen Machtübernahme in Amman. Erst im allerletzten Augenblick gab König Hussein seinen Streitkräften den Schießbefehl und rettete dadurch seinen Thron. Syrien stand damals noch ganz auf der Seite der „Fedajin“. Als die Palästinenser sechs Jahre darauf nochmals die gewaltsame Machtübernahme in einem arabischen Gast- und Nachbarland Israels riskierten, statt sich auf den Kampf um die Rückeroberung ihrer Heimat zu beschränken,

machte man in Damaskus eine einfache Rechnung: Würde der Libanon ein maßgeblich von den Palästinensern mitbeherrschtes, revolutionär orientiertes Land, so zöge das Syrien unweigerlich in den Strudel eines neuen Nahostkonfliktes, in dem Israel wieder einmal die militärische Oberhand behalten könnte, und das würde höchste Gefahr auch für die ohnehin nur mühsam aufrecht zu erhaltende innerpolitische Stabilität in Syrien bedeuten.

Präsident Hafis el-Assad erwies sich in diesem gefahrvollen Augenblick nicht als Parteigänger der Sowjetinteressen in Arabien. Er entschloß sich zur militärischen Intervention im Nachbarland. Damit stieß er zwar auf die harte Kritik des Kremls und, erstaunlicherweise, auch des mit ihm um die panarabische Führungsrolle konkurrierenden

Ägypten sowie der sogenannten „fortschrittlichen Kräfte des arabischen Lagers“, doch er verschaffte den bedrängten libanesischen Christen Luft zur Gegenwehr. Soldatow stand plötzlich auf der Verliererseite. Die Zeche bezahlten allerdings nicht er und die Sowjetunion, sondern die von ihnen mißbrauchten Palästina-Guerrilleros. Sie standen nach ihren vorangegangenen diplomatischen Siegen auf der Genfer Friedenskonferenz und bei den Vereinten Nationen vor ihrer ärgsten Belastungsprobe und kämpften nur noch um das nackte Überleben. Gescheitert war die Politik einer Überordnung revolutionärer politischer und sozialer Veränderungen in der arabischen Welt über die Politik einer politischen und militärischen Wiedergewinnung der verlorenen Heimat.

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