6802868-1971_43_09.jpg
Digital In Arbeit

Die nahöstliche Rochade

19451960198020002020

„Nicht wir haben die diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion abgebrochen. Wenn die UdSSR will, so weiß sie, wo wir zu finden sind. Israel ist bereit, offizielle russische Vertreter an jedem von ihnen gewählten Ort zu treffen, um die Wiedereröffnung der Beziehungen anzubahnen“, sagte dieser Tage Israels Ministerpräsident, Frau Goldą Meir, auf die Frage eines Journalisten.

19451960198020002020

„Nicht wir haben die diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion abgebrochen. Wenn die UdSSR will, so weiß sie, wo wir zu finden sind. Israel ist bereit, offizielle russische Vertreter an jedem von ihnen gewählten Ort zu treffen, um die Wiedereröffnung der Beziehungen anzubahnen“, sagte dieser Tage Israels Ministerpräsident, Frau Goldą Meir, auf die Frage eines Journalisten.

Werbung
Werbung
Werbung

Die diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion und den anderen Ostblockstaaten — ausgenommen Rumänien — wurden bald nach dem Sechstagekrieg am 10. Juni 1967 abgebrochen. Seitdem versuchten die Israelis auf verschiedenen Wegen, diese Beziehungen wieder aufzufrischen. In den letzten Wochen schien es jedoch, als ob auch von der Sowjetunion her eine leichte „warme Brise“ wehe.

Am 24. August dieses Jahres begab sich auf Einladung des russischen Friedenskomitees eine sechsköpfige Delegation des israelischen Komitees zur Verbesserung der russisch-israelischen Beziehungen nach Moskau. Es handelt sich hier um ein Institut, welches von der moskautreuen israelischen Kommunistischen Partei ins Leben gerufen wurde und dessen Mitglieder nichtkommunisti- stische Linksintellektuelle sind. Die Teilnehmer an dieser Delegation wurden von dieser Partei ausgewählt und von Moskau endgültig bestätigt. Diese Tatsache hinderte sie nicht daran, zu betonen, auch den Russen nicht genehme Themen anschneiden zu wollen.

„Teillösung“

Vor nunmehr etlichen Wochen bereiste, angeblich aus Gesundheitsgründen, der russische Journalist und KGB-Mann Victor Louis Israel. Er sprach mit dem Leiter des Außenministeriums und mit dem politischen Ratgeber von Ministerpräsident Frau Goldą Meir. Er unterbreitete einen Vorschlag zur Annahme der Teillösung des Nahost-Konfliktes durch Israel, welche in erster Linie zur Wiedereröffnung des Suezkanals führen soll. Der Kreml-Emissär unterbreitete den Israelis für die Wiedereröffnung des Wasserweges folgende Zusagen:

1. Die UdSSR will eine jährliche Auswanderungsquote von zirka 10.000 sowjetischen Juden festlegen.

2. Bei einem israelischen Teilrückzug von der Suezregion wollen sich die Sowjets verpflichten, ihre Truppen oder Berater nicht am Ostufer des Kanals zu stationieren.

Obwohl dieses Angebot einen verlockenden Eindruck machte, verlangten die Israelis nicht den „Laufburschen“, sondern den „Boß“, also den sowjetischen Außenminister Gromyko oder irgendeine andere offizielle Persönlichkeit sprechen zu dürfen, damit solch ein Angebot nachher nicht verschwiegen oder geleugnet werden könne.

Dieser Bitte wurde jedoch kein Gehör geschenkt. Statt dessen trommelte man die obengenannte Delegation zusammen, die kaum mehr als sich selbst vertritt. Solch eine Abordnung genügt, um den arabischen Staaten klarzumachen, daß sie kein Alleinmonopol für sowjetische Freundschaft haben.

Die Beziehungen zur Sowjetunion blicken auf eine lange Geschichte zurück. Bis heute ist der Zionismus in der Sowjetunion verboten. Viele Juden wurden seinerzeit wegen „zionistischer Umtriebe“ nach Sibirien verbannt, ja vielfach zum Tod verurteilt

Diese negative Einstellung änderte sich das erste Mal im August 1942, als der erste Sekretär der russischen Botschaft in Teheran. S. S. Micbai- low und der Presseattachė dieser Botschaft, N. A. Paternikow, sich in das damalige Mandatspalästina begaben, um an der Gründungstagung der Liga für Freundschaft mit der Sowjetunion teilzunehmen.

Diese damals gegründete Liga „V“ sammelte Gelder für den Kampf Sowjetrußlands gegen Nazideutschland.

Ein Jahr später sagte ein Vertreter der russischen Botschaft in Teheran zu einer Delegation der Liga „V“, welche zwei Ambulanzen als Geschenk für die Sowjets nach Persien brachte: „Vor 20 Jahren wurde bei uns beschlossen, daß Zionismus und Reaktion ein und dasselbe sind, doch glaube ich, jetzt hat eine andere Ära begonnen.“ Vier Jahre später, im November 1947, war es der Vertreter der Sowjetunion in der UNO, Andrej Gromyko, welcher die Gründung eines jüdischen Staates in der UNO-Vollversammlung auf das wärmste unterstützte.

Ihm ist es zu verdanken, daß eine Mehrheit in der UNO-Vollversammlung für einen Teilungsplan Palästinas zwecks Errichtung eines jüdi- dischen und arabischen Staates stimmte. Ein halbes Jahr später war die Sowjetunion der erste Staat, welcher am 18. Mai 1948 Israel de facto und de jure anerkannte. — Mit Hilfe tschechischer Waffen, die noch aus den Arsenalen stammten und auf Geheiß der Sowjetunion geliefert wurden, konnte der neugegründete israelische Staat seinen Sieg über sieben arabische Staaten erringen.

Die guten Beziehungen mit der Sowjetunion wurden damals immer besser. Frau Goldą Meir, heutiger Ministerpräsident Israels und der erste Botschafter des Judenstaates in der Sowjetunion, wurde fai Jahr 1948 dort enthusiastisch auf genommen.

Als am 14. April 1949 Frau Goldą Meir diesen Posten verlassen mußte und sich bei dem damaligen Außenminister Andrej Wischinsky verabschiedete, sagte dieser: „Wir Sowjets und der Staat Israel haben einen gemeinsamen Verbündeten, es ist der große jüdische Sozialist Karl Marx…“ Frau Goldą Meir berichtete dem damaligen russischen Außenminister über das Gespräch, welches der israelische Militäratta- chė Jochanan Rathner mit dem russischen Generalstabschef Antonow und seinem Gehilfen Marschall Wa- silewsky geführt hatte. Attache Rathner wollte in der Sowjetunion Kriegsmaterial kaufen und machte den Vorschlag, daß israelische Offiziere in der Sowjetunion ausgebildet werden sollten. Doch Wischinsky hatte schon damals Bedenken und sagte: „Was wird man über uns sagen, wenn die Sowjetunion selbst Waffen an Israel liefern wird?“ Der damalige Leiter der Nahost-Abteilung im russischen Außenministerium sagte einige Wochen vorher zu Frau Goldą Meir: „Viele behaupten, ihr Israelis hättet eure Siege mit

Hilfe russischer Piloten und Offiziere errungen. Obwohl dies nicht stimmt, versuchen viele, diese Gerüchte zu verbreiten.“ Nichtsdestoweniger überreichte der damalige Militärattache einen Wunschzettel an die Sowjetunion. Israel erbat sich: 45 schwere Tanks, 18 leichte Flakgeschütze, 72 schwere Flakgeschütze, 110 fahrbare Artilleriegeschütze sowie 50 Kampfflugzeuge. Frau Goldą Meir betonte, daß Israel eine neutralistische Politik betreiben wolle. Es habe zwar eine Anleihe von den USA erhalten, doch wünsche es auch rege Handelsbeziehungen mit der Sowjetunion.

Rußland unterstützte ungefähr zur gleichen Zeit in der UNO die Inter- nationaliserung Jerusalems. Doch als die Israelis klarmachen konnten, daß bei einem internationalen Jerusalem die Gefahr fremder Einmischung bestehe, unterstützte der Kreml > den israelischen Standpunkt. Schon damals — im Jahr 1949 — schnitten die Israelis das heutige Problem der Auswanderung russischer Juden nach Israel an. Der inzwischen verstorbene Außenminister A. Wischinsky antwortete damals Frau Goldą Meir: „Es geht nicht nur um die Juden der Sowjetunion, sondern auch um die der anderen Volksdemokratien. Rumänien und Ungarn kämpfen gegen eine starke innere Reaktion an. Die Juden sind dem neuen Regime am ergebensten. Eine halbe Million regierungstreuer Bürger sind keine Kleinigkeit, auf die man verzichten kann. Ich sage nicht, daß man prinzipiell die Auswanderung verbieten muß, doch ist dies ein kompliziertes Problem.“ Auch Wi- schinskys Vorgänger, Molotow, zeigte sich Israel gegenüber freundschaftlich. Als bei der Oktoberparade Frau Goldą Meir zu ihm sagte: „Ich wollte, wir hätten wenigstens einen kleinen Teil der Ausrüstung, die ich heute auf dem Roten Platz gesehen habe.“, erwiderte Molotow: „Das kann ich Ihnen versichern, sie werden sie bestimmt haben, auch wir haben klein angefangen.“

Die Flitterwochen der russischisraelischen Beziehungen dauerten nur einige Monate. Die Israelis entpuppten sich für die Russen als zu prowestlich. Der damalige Ministerpräsident, David Ben Gurion, war schon immer amerikafreundlich eingestellt, Außenminister Moshe Sha- rett war es auch. Die amerikanischen Juden schickten zwar keine Einwanderer, aber viel Geld, und gegen alle Erwartungen setzte Israel immer mehr auf den Westen, obwohl gerade das westliche England die Araber seinerzeit in ihrem Kampf gegen Israel unterstützt hatte.

Das Ringen um den „westlichen Charakter“ begann bereits während des Befreiungskrieges im Jahr 1948/49.

Die tschechoslowakische Republik lieferte nicht nur Waffen und bildete Piloten aus, sondern gründete auf ausdrücklichen Wunsch Moskaus eine besondere jüdische Brigade, die unter dem Kommando tschechischer Offiziere in voller Ausrüstung nach dem damaligen Palästina kam, um an dem Kampf des neuen Israel gegen die arabischen Staaten teilzunehmen. Ben Gurion roch Lunte und sah in einer kommunistisch organisierten Brigade die Gefahr einer Privatarmee. Er ließ sie sofort nach Ankunft auflösen und stellte den Soldaten und Offizieren anheim, sich einzeln der neuen israelischen Armee zur Verfügung zu stellen. Der Kommandant dieser Brigade begab sich unverrichteter Dinge in die Tschechoslowakei zurück. Die Soldaten, es handelte sich zum größten Teil um tschechische Juden, kamen der Aufforderung Ben Gurions nach.

Die Beziehungen Israels mit der Sowjetunion hängen nicht nur von dem Verhältnis der Sowjets zu den Arabern ab, sondern auch vielfach von der Minderheitenpolitik der Sowjetunion. Bekanntlich sind von den zirka 225 Millionen Einwohnern der Sowjetunion nur ungefähr 52 Prozent Russen, gegenüber den verschiedenen Minderheiten, unter denen sich drei Millionen Juden befinden.

Im Jahr 1948 beschloß der damalige russische Diktator Josef Stalin eine neue Politik gegenüber den Juden. Viele jüdische Schriftsteller und Intellektuelle wurden verbannt und viele sogar hingerichtet.

Im Jahr 1952 begann in Prag der Slansky-Prozeß. Der frühere Generalsekretär der Kammunistsischen Partei der Tschechoslowakei, Rudolf Slansky, sowie viele seiner prominenten Kollegen waren Juden.

Plötzlich erinnerte man sich dieser Tatsache und betonte „die bürgerlichen nationalistischen Elemente, die dem Zionismus und dem Imperialismus dienten“. Der Kampf gegen die angebliche Reaktion in den Ostblockländern artete sehr schnell in einen Kampf gegen die „jüdischen Elemente“ in den kommunistslschen Parteien aus.

Am 13. Jänner 1953 erreichte dieses absurde Teufelsspiel seinen Höhepunkt, als von Stalin behauptet wurde, daß jüdische Ärzte sowjetische Politiker und Offiziere vergiften wollten.

Am 9. Februar 1953 warfen einige israelische Extremisten eine kleine Bombe in den Garten der Russischen Botschaft in Tel Aviv. Vier Botschaftsmitglieder wurden verletzt. Die Regierung und das israelische Parlament distanzierten sich einstimmig von diesem Gewaltakt; aber vergebens. Die Sowjetunion benützte die Gelegenheit, die diplomatischen Beziehungen mit Israel abzubrechen.

Am 4. April 1953 — ungefähr ein Monat nach Stalins Tod (7. März 1953) erklärte die russische Regierung, daß die jüdischen Ärzte unschuldig verurteilt seien und ließ sie frei. Kurz danach wurden die Verhandlungen zwecks Wiedereröffnung von Beziehungen aufgenommen. Am 20. Juli 1953 wurden die vollen diplomatischen Beziehungen endgültig wieder hergestellt Als neuer russischer Botschafter wurde A. M. Abra- mow ernannt, der vorher als Botschafter in Finnland fungiert hatte.

Am 17. März 1956 Unterzeichnete Israel ein Abkommen, wonach die Sowjetunion den Großteil des israelischen Petroleumbedarfs decken sollte. Die Israelis verhandelten mit den Sowjets auch über den Ankauf von Erdöl-Bohr-Apparaturen.

Im Juli 1956 öffnete Polen nach langen Zögern wieder die Tore für seine Juden, die das Land verlassen wollten. Auch Ungarn ließ mehr Juden heraus. Die vermeintliche Freundschaft mit dem Ostblock dauerte jedoch nur bis zum Sinaifeldzug im Oktober 1956. Die Sowjetunion verurteilte die „israelische Aggression“ auf das schärfste. Der russische Botschafter wurde zurückgerufen und fünf Monate lang wurde die Botschaft von einem Bevollmächtigten geleitet.

Israel ließ nichts unversucht, die Beziehungen zur Sowjetunion zu verbessern, doch stießen diese Bemühungen im allgemeinen auf kaltes Schweigen.

Im Jahre 1966 kam in Syrien das moskaufreundliche Baath-Regime ans Ruder. Die Sowjetunion beschloß, dieses Regime mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen. Schon im Mai 1966 behauptete die Sowjetunion, daß ein Drittel des israelischen Militärs an der syrischen Grenze stehe und Weltkriegsgefahr im Anzug sei.

Nach Chruschtschow begann im Mittleren Osten wieder der kalte Krieg. Dadurch, daß mit Hilfe sowjetischer Geheimdienste Falschinformationen über Konzentrierung des israelischen Heeres an den Grenzen an die arabischen Nachbarn geliefert wurden, nahm der 6-Tage-Krieg im Juni 1967 seinen Anfang.

Dieser Tage begab sich eine israelische Ärztedelegation nach Moskau. Auch einige andere Wissenschaftler wurden in die Sowjetunion zu wissenschaftlichen Kongressen eingeladen. Fast könnte es scheinen, als ob die Sowjets wirklich wieder mit den Israelis ins Gespräch kommen wollten. Doch viele erinnern daran, daß in den letzten Monaten die Sowjets innerhalb der arabischen Welt erhebliche Schläge erlitten haben. Im Sudan wurde von General Numeiri ein prokommunistischer Umsturz niedergeschlagen, danach begann eine Welle der Kommunistenverfolgungen. In Ägypten unterstützte Staatspräsident Sadat das sudanesische Staatsoberhaupt und ließ ebenfalls seine rußlandhörigen Kollegen verhaften. Sie stehen dieser Tage vor Gericht.

Und in der Föderation zwischen Ägypten, Syrien und Libyen gibt sich der libysche Staatspräsident Muam- mar Gaddafi, das dritte Glied im Bunde, betont antikommunistisch.

Vielleicht will die Sowjetunion die Araber aber nur daran erinnern, daß es auch andere Möglichkeiten gibt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung