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Superstar Kissinger

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Die erste Runde der auf den militärischen Konflikt im Nahen Osten folgenden diplomatischen Auseinandersetzung ging einstimmig an die USA. Ob es nun Außenminister Kissingers Geschick oder Präsident Nixons hektische Bemühungen waren — der Ausbruch neuer Kämpfe wurde vermieden, Ägypter und Israelis haben zum erstenmal nach direkten Verhandlungen ein Stück Papier unterzeichnet. Das allein, weniger der Inhalt der Abmachung, hat Gewicht.

Die Eile, mit der diese Unterzeichnung förmlich durchgepeitscht wurde, hat die andere Großmacht in diesem strategischen Raum, die Sowjetunion, so überrascht, daß sie bis jetzt noch keine Stellungnahme abgegeben hat, außer die Bedeutung des Vertrages herabzukommentieren und über Marschall Tito, einen alten Alliierten der Araber, neue Friedenskonzepte zu lancieren. Die amerikanische Diplomatie wiederum hofft, daß aus diesem Vertragsnukleus echte direkte Friedensverhandlungen entstehen, für die schon die Termine und der Verhandlungsort ventiliert werden. Die Bereitwilligkeit Ägyptens, die amerikanische diplomatische Initiative so schnell zu akzeptieren, beweist aber auch, daß neben der Sorge um die Erhaltung der eingekesselten 3. ägyptischen Armee das Bestreben vorherrscht, den sowjetischen Einfluß in diesem Raum zu neutralisieren.

Bisher hat Ägyptens Präsident Sadat sein Spiel sehr geschickt gespielt. Nach der vernichtenden Niederlage des Jahres 1967 hat er die sowjetische Waffenhilfe und die Ausbildung der ägyptischen Armee durch russische Instruktoren bis zu einem Punkt gefördert, der seine selbständige Außenpolitik bereits bedrohte. Dann eliminierte er mit einem überraschenden Zug die auf bereits 20.000 Mann angewachsenen sowjetischen Kader, um seine Unabhängigkeit wieder zurückzugewinnen. Sadat wollte weder ein sowjetischer Satellit werden, noch traute er der sowjetischen auf eine Detente mit den USA orientierten Außenpolitik. Ein Einlenken der amerikanischen und der israelischen Politik in diesem Augenblick hätte dem jüngsten Konflikt vermutlich vorgebeugt.

Sadat jedoch riskierte den Angriff gegen militärisch wie diplomatisch versteinerte Fronten. Nach anfänglichen Erfolgen stand er nach einigen Tagen des Krieges vor einer vernichtenden Niederlage. Wieder kam die Sowjetunion zu Hilfe und verhinderte durch massiven Druck auf Washington die Aufreibung der eingekesselten ägyptischen Elitetruppen, der 3. Armee; vor die Alternative einer echten Konfrontation mit der sowjetischen Atommacht im Nahen Osten gestellt, zog Washington es vor, die Israelis vom letzten Vernichtungsschlag abzuhalten und den Ausgangspunkt für eine diplomatische Friedensoffensive zu sichern. Sofort entsandte Sadat einen Sonderbotschafter nach Washington, während Golda Meir in die amerikanische Hauptstadt kam, um die weiteren amerikanischen Pläne zu sondieren. In Washington wurde nun in hektischen Verhandlungen die Grundlage für den Waffenstillstand gelegt, wobei Außenminister Kissinger zwischen den Quartieren der beiden Antipoden pendelte und Nixon seine Überredungsgabe einsetzte.

In Ägypten wurde dann die amerikanische Intervention bei den Israelis durch die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Kairo und Washington honoriert. Die Normalisierung der Beziehungen zu anderen arabischen Staaten wurde durch Blitzbesuche Kissingers in Marokko, Jordanien und Saudi-Arabien untermauert. Tschu Enlai, der auf dieser Reise auch besucht wurde, nannte Kissinger den „Nahosthurrikan“.

Was bedeutet nun der Waffenstillstand, der schon am ersten Tag seines Inkrafttretens fragwürdig wurde? Er erspart Ägypten die Demütigung seiner 3. Armee, die zwar fürs erste eingekesselt blieb, deren Versorgung mit Lebensmitteln jedoch gesichert wurde. Außerdem wahrt sie symbolisch einen Brückenkopf auf dem israelischen Ufer. Die Israelis erhalten ihre Kriegsgefangenen wieder, ein Faktor, der in einem kleinen Land, das in diesem Krieg mehrere tausend Mann verloren hat, schwer wiegt. Vor allem israelische Piloten sind kaum ersetzlich, da die israelische Armee Hebräisch als Kommandosprache hat, was den Einsatz freiwilliger Piloten, wie auf der arabischen Seite, ausschließt.

Die Rückkehr zu den Kampflinien, wie sie zum Zeitpunkt der ersten Waffenstillstandsdeklaration vom 22. Oktober bestanden, wird kaum durchführbar sein und sollte durch die folgenden Friedensgespräche überholt werden. Aber der Weg dorthin, auch wenn bereits Dezemberdaten ventiliert werden, ist noch lang und steinig. Der Waffenstillstandsvertrag ist absichtlich mehrdeutig gehalten, damit jede Seite imstande sei, sich das Ihrige herauszuholen. Ohne diesen verschwommenen Charakter wäre er wohl nie unterzeichnet worden. Aber er ist ein wirkungsvolles Instrument, um die Kampfhandlungen zu beenden und um Zeit zu gewinnen. Wenn sich erst einmal die Leidenschaften gelegt haben, werden beide Seiten einsehen, daß sie ihre Ziele nicht kompromißlos durchsetzen können. Überdies gilt es, nach Ansicht der amerikanischen Diplomatie, die Dinge in Fluß zu halten. So ist auch die etwas phrasenhaft anmutende Erklärung Präsident Nixons zu verstehen, daß er den Augenblick günstiger für eine dauerhafte Lösung im Mittleren Osten halte als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt der letzten Jahre. Solange die militärischen und diplomatischen Fronten nicht wieder so erstarren wie zwischen 1967 und 1973, sieht Washington Möglichkeiten für einen erträglichen Ausgleich. Diese Auffassung impliziert die etwas machiavellistische Sicht des jüngsten Krieges als eine nicht total negative Sache und unterstreicht die Notwendigkeit direkter arabisch-israelischer Gespräche. Diese Gespräche sind nun periodisch im Gang. Sie sind nur dadurch möglich geworden, daß Ägypten durch anfängliche militärische Erfolge aus seiner Trotzhaltung gelöst wurde und Israel einsehen mußte, daß es sich in einer diplomatisch sehr isolierten Position befindet. Israel mußte des weiteren erkennen, daß Zeit nicht unbedingt ein hilfreicher Faktor sein muß, da man mit der Zeit das Kriegshandwerk erlernen und sich mit Ölgeldern Waffen jeglicher Art kaufen kann. Auch das Axiom von der inneren Zerrissenheit der Araber hat sich in nichts aufgelöst, da Israel als Katalysator wirkt. Dagegen hat sich eine Zersplitterung des Westens entwickelt, die der israelischen Lage sehr nachteilig sein muß. Daß diese Aufsplitterung durch brutale Erpressung mit Hilfe des arabischen Öl-Monopols entstanden ist, ändert nichts an der Tatsache. Die Wirtschaft der freien Welt wird noch mehrere Jahre lang vom arabischen öl abhängig sein.

Daß Israel territoriale Konzessionen machen muß, wird auch in Washington nicht verneint. Man Ist sich aber auch darüber im klaren, daß Israel, wie es in der oft zitierten UNO-Resolution heißt, Grenzen erhalten muß, die man verteidigen kann. Denn wenn Israel den Vorteil des Raumes verlöre, müßte seine Verteidigung nach den jüngsten Erfahrungen permanent auf Präventivangriff angelegt sein, was eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung des Landes und eine Rückkehr zu zivilen Verhältnissen ausschließt. Ein so kleiner Staat kann überdies nicht jahrzehntelang im Zustand militärischer Bereitschaft leben.

Kissinger ist in einem Interview auf diese Argumentation eingegangen und hat von amerikanischen Garantien gesprochen, die Israels Grenzen absichern müßten. Es ist jedoch gar nicht so sicher, daß der Kongreß nach den Erfahrungen mit Vietnam solchen Garantien zustimmen wird, und gerade die letzten Wochen haben bewiesen, daß Washington gegenüber der Sowjetunion konfrontationsscheu ist. Es hat wohl seine Streitkräfte in Alarm versetzt, zugleich aber die Israelis zurückgepfiffen, um jeden Anlaß einer Konfrontation zu vermeiden. Kissingers akrobatische Diplomatie wird daher in der nächsten Zukunft noch stärker getestet werden als bisher, wenn es gilt, die durch Ölerpressung gestärkte arabische Position mit israelischen Sicherheitsbestrebungen unter einen Hut zu bringen. Im letzten wird ein Erfolg davon abhängen, ob die beiden Großmächte den Nahen Osten als potentiellen Konfliktherd entschärfen wollen oder ob die Sowjetunion es vorzieht, diese weiche Stelle der westlichen Front einer längerfristigen Irritation auszusetzen.

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