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Washington verlor die Initiative in Mittelost

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Zum besseren Verständnis dessen, was sich derzeit im Mittleren Osten abspielt ist es notwendig, den roten Faden der amerikanischen Außenpolitik freizulegen. Dazu muß man sich in Erinnerung rufen, daß Präsident Carter seine Außenpolitik schon im Wahlkampf gegenüber Ford und Kissinger zu profilieren versuchte, indem er die „Politik der kleinen Schritte“ ablehnte und ein „umfassendes Konzept“ für den Frieden im Mittelmeerraum propagierte. Das hegt in der Gesamtkonzeption seiner Regierung, die sich mit viel Ernst und Energie, und mit ebensoviel Weltfremdheit an die Lösung schier unlösbarer Probleme heranmacht und schließlich hilflos zusehen muß, wie die Wirklichkeit eines ihrer Konzepte nach dem anderen zerschlägt. Das Konzept für den Nahen Osten hatte zum Mittelpunkt die Genfer Konferenz. Es ist mit der etwas naiven Vorstellung gleichzusetzen, daß es schon ein sehr bedeutender Schritt wäre, alle Streitteüe um einen Konferenztisch zu versammeln, Juden und Araber aller Schattierungen, inklusive natürlich die Palästinenser, und daß dann die Druckmittel der beiden Großmächte, aber auch Saudiarabiens, ausreichen würden, um einen Modus vivendi zu erzwingen. Genauso, wie sich bei Kollektiwertragsver-handlungen Unternehmer und Arbeitnehmer einer großen Industrie zu Verhandlungen an einen Tisch setzen.

Monatelang wurde hinter den Kulissen um die für Israel tragbare Zusammensetzung der palästinensischen Delegation gerungen, auch um die Form des Verhandlungstisches und um andere subtile Details.

Und dann wurde mit einer impulsiven Handlung Präsident Sadats das ganze Genfer Konzept hinweggefegt Denn Sadat und Begin haben eines gemeinsam: Sie sind Realpolitiker, sie wissen um die inneren Spannungen im arabischen Lager, sie wissen, daß es einen Köhferenzfrieden überhaupt nicht geben kann, sondern nur eine pragmatische Lösung, basierend auf den tatsächlichen Kräfteverhältnissen in diesem Raum.

Vielleicht wäre aber sogar eine von Carter erträumte Friedenskonferenz möglich gewesen, hätte der Präsident mit seiner Politik nicht einen doppelten Effekt angestrebt: Nicht nur im Nahen Osten Ordnung zu machen, sondern auch das Verhältnis zur Sowjetunion wieder ins Lot zu bringen. Genf, das bedeutete für Carter nicht nur eine Friedenskonferenz, sondern einen Ausgleich mit der Sowjetunion Die Sowjetunion als Signatarmacht einer Genfer Konferenz sollte wieder aus dem Schmollwinkel geholt werden und für diese Einladung erwartete sich Carters Washington ein günstiges Verhandlungsklima bei den Gesprächen um die atomare Abrüstung. Bei diesen SALT-Verhandlungen einen Durchbruch zu erzielen, gilt der Regierung in Washington als primäres Ziel, für das sie bereit ist, nicht nur militärische Konzessionen zu machen, sondern auch die dominierende Position im Mittleren Osten zu opfern, die Kissinger aufgebaut hat.

Man gewinnt den Eindruck, daß dieses Doppelspiel Washingtons zu Sadats und Begins Alleingang mindestens ebensoviel beigetragen hat wie die Erkenntnis des Ägypters, daß es unmöglich ist, die verschiedenen politischen Bestrebungen der Araber unter einen Hut zu bringen Sadat weiß, daß ein Wiederauftreten der sowjetischen Macht im Mittleren Osten seine persönliche Position bedrohen würde und daß Washington heute, nach einem kurzen Intermezzo, in dem es mit den Menschenrechten „herumfuchtelte“, eine Konzessionsbereitschaft gegenüber Moskau zeigt deren Grenzen niemand abschätzen kann. Indem Sadat und Begin die Initiative ergriffen, haben sie sich zu Meistern ihres eigenen Schicksals gemacht. Sadat weiß, daß er mit einem Erfolg aufwarten muß und Begin weiß, daß er ihm zu einem solchen Erfolg verhelfen muß,wenn er ein von sowjetischem Einfluß freies Ägypten als Nachbarn behalten wilL Sadats Zwangslage zwischen Washington, Moskau und den radikalen Arabern, seine schwierige interne Wirtschaftslage, zwangen gleichsam zu dieser Flucht nach vorne.

Angesichts der begeisterten Zustimmung des amerikanischen Elek-torats zu Sadats Initiative, konnte sich eine so stark auf politischen Konsens abgestimmte Regierung wie jene Carters dem psychologischen Durchbruch des Besuches Sadats in Jerusalem nicht verschließen. Man konnte zwar in Washington nicht behaupten, diesen Besuch selbst angeregt zu haben, um politische Dividenden einzustreichen, aber man begrüßte ihn lauwarm, mit einem Auge lachend, während das andere noch über das zerschlagene Genfkonzept weinte. Denn nicht nur hat Washington nun seinen Einfluß auf die radikalen Araber verloren, es steht nun vor Moskau wie ein Schulbub da, der die Prüfung nicht bestanden hat; oder vielleicht, noch schlechter, als ein Schwindler, der Moskau hineinlegen wollte. Angesichts des Mißtrauens, das in Moskau vorherrscht, werden der Detente abholde Kreise dort sicherlich an ein perfides Doppelspiel glauben, was der Regierung Carter tatsächlich zu viel machiavellistische Ehre zugestehen hieße. Außenminister Vances Reise zu den Nervenzentren des Mittleren Ostens in der Absicht, doch noch eine gemeinsame arabische Front aufzubauen, muß als gescheitert angesehen werden Nach Damaskus durfte Vance überhaupt nur reisen, nachdem er versichert hatte, daß er nicht als Ubermittler ägyptisch-israelischer Botschaften komme.

Es ist also im Nahen Osten eine Entwicklung ausgebrochen, die ihren eigenen Gesetzen folgt, und nicht den akademischen Plänen und Entwürfen, die man im State-Department ausgearbeitet hat. Die hauptbetroffenen Mächte, Ägypten und Israel, haben die Initiative des Handelns an sich gerissen, Washington und in zweiter Linie Moskau, müssen sich mit bedeutenden Nebenrollen begnügen. Selbst ein ägyptisch-israelischer Sonderfrieden werden von Washington begrüßt werden, beeilte sich Präsident Carter zu versichern, obgleich noch fieberhaft um syrische, jordanische und palästinensische Mitarbeit gerungen wird. Während so Washington gegen sein besseres - Wollen zu einer positiven Einstellung gegenüber der ägyptischen Initiative gezwungen wird, schürt Moskau das Feuer der radikalen Araber und hofft auf diese Weise Zutritt auf die mittelöstliche Bühne zu erlangen.

Da aber sowohl Begin wie auch Sadat intelligente Realisten sind, haben sie Präsident Carter eine symbolische, sogar glanzvolle Rolle zugedacht: Er möge sie beide nach Washington einladen, um ein Abkommen zu zelebrieren, nach dessen Zustandekommen Christen, Juden und Mohammedaner einander in den Armen liegen können.

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