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Pingpong mit Jarring

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Bei den von Gunnar Jarring seit Jahresanfang wieder geführten Nahostverhandlungen hat es anfangs weder Sensationen noch zur Schau gestellte Fortschritte oder Rückschläge gegeben. Lediglich die Begleitmusik aus Israel, Ägypten und Jordanien ließ vermuten, welche Schachzüge hinter der Fassade der diesmal ausgesprochen sachlichen und konstruktiven Arbeitsatmosphäre geführt wurden. Über der Konferenz schwebte die Drohung eines neuen Nahostkrieges nach dem 5. Februar, bis das Statement von Guerillachef Arafat („Abkommen mit Israel möglich…“) sowie Israels gewandelter Standpunkt („Rückgabe eines Großteils der besetzten Gebiete möglich …’) eine völlig neue Lage schufen.

Jordanien, das wieder voll mit seinen inneren Wirren (und Palästinensern) beschäftigt ist, spielt nur als Anhängsel der VAR eine Rolle, ebenso Syrien, das weniger offiziell als stillschweigend an Waffenstillstand und Jarring-Runde partizipiert, ohne Verbindlichkeiten auf sich zu laden.

Die ägyptische Reaktion auf den Wiederbeginn der im September unterbrochenen indirekten Verhandlungen ist zuerst recht paradox ausgefallen. Obwohl die Kairoer Diplomaten den ganzen Herbst hindurch auf allen erdenklichen Konferenzen die israelische Rückkehr zum Gesprächstisch gefordert und bei fast allen Regierungen deren Einflußnahme auf ‘Israel angeregt hatten, wurde dann das Silvester- Einlenken der Regierung Golda Meir mit rauhen Tönen honoriert. Diese kamen auch nicht mehr aus der glatten Kehle von „Friedens- ministerpräsident“ Mahmud Fawzy, der sich seit Nassers Tod als Bahnbrecher einer politischen Lösung offeriert hatte, sondern direkt vom neuen Staatschef Anwar El-Sadat, der plötzlich ein unermüdliches Rednertalent zu entwickeln begann.

Vor Beamten, Lehrern, Offizieren und Richtern, nilabwärts bis Tanta und stromaufwärts nach Assiut, bei der Einweihung des Assuan-Dammes und im Heimatdorf Gamal Abdel Nassers ließ er seine Stimme erschallen und drohte mit Krieg, Revanche und Raketen. Man konnte nach den ersten Ansprachen glauben, Sadat wolle seinem New Yorker Verhandlungsteam eine gute Ausgangsposition herausreden, indem er auf das Wiedererstarken seiner 600.000-Mann-Armee, die lückenlose Luftabwehr und den festen Halt an der Sowjetunion hinwies. Der Präsident steigerte sich aber in einen immer aggressiveren Ton hinein, Ausdrücke wurden unkontrollierter, und von jeder Sadat-Rede zirkulierten in Kairo verschiedene, mehr oder weniger überarbeitete Ausgaben, während die arabischen Originalaufnahmen unzugänglich blieben.

Für Ägyptens ebenso schlauen wie gewandten UN-Botschafter Doktor Zayyat waren diese Auslassungen schon lange keine Gesprächshilfe mehr, und auch die internationale Reaktion entwickelte sich dement sprechend. Nur aus der Nähe zeichnete sich ab, daß Sadats militante Anwandlungen in recht geringem Zusammenhang mit der Palästinafrage standen. Sie erwiesen sich als fast ausschließlich innenpolitisch motivierte Taktiken, die mit der erst nachträglich > auf gehellten Machtver- breitung Sadats und dem Eingreifen der seit dem Führungswechsel politisch zurückhaltenden Armee in den Lauf der Dinge in Zusammenhang standen. Der bei seiner Bestellung im Oktober als „Repräsentationsfigur“ unterschätzte Präsident hat inzwischen sowohl nach den Zügeln der sozialistischen Einheitspartei wie ins ägyptische Wirtschaftsgefüge gegriffen und sich bei den letzten Großkundgebungen in eine Nasser- Pose hineingesteigert.

Daß dabei das Militär so herausgestrichen wurde, lag keineswegs an dessen ausgeprägter Angriffslust. Sadat mußte sich bei seinem Aufbruch zur Regimespitze auf eine neue Komponente stützen, da alle zivilen und polizeilichen Machtmittel nach Nassers Tod schon zwischen den starken Männern in Regierung und Partei, Scharawi Gomaa und Abul Nur, verteilt worden waren. In Betracht kam nur das ohnedies schon über seine Ausschaltung murrende

Offizierskorps, dessen erster Vertreter jetzt als neuer Minister für Zivilluftfahrt seinen Einzug in das Kairoer Kabinett halten konnte. Weitere Ministerwechsel bahnen sich an. Als Datum für eine eventuelle komplette Regierungsumbildung werden die Tage nach dem 5. Februar betrachtet, wobei im Friedensfalle selbst Sadat dem mächtigen Innenminister Gomaa die Übernahme der Ministerpräsidentschaft kaum mehr verwehren kann. Eine Krisensiituation dürfte hin gegen Generalstabschef Sadek auch als Regierungschef sehen, falls Sadat dieses Amt nicht, wie seinerzeit Nasser, an sich zieht. In jeder der drei Varianten ist mit zahlreichen jüngeren Offizieren auf den Ministersesseln zu rechnen.

Daß diese innerägyptischein Macht- kombinationen und die auf sie berechneten Äußerungen Sadats beinahe schon den Anfang der Nahostinitiative verdorben hatten, an die sich die Spekulationen aller Dia- dochen vom Nil knüpften, mußte auch dem VAR-Präsidenten und seinen Beratern schließlich auffallen. Und je höher Sadat seine Kundgebungen den Nil entlang hinaufzog, um so tiefer sank sein kriegerisches Barometer, bis er in Assiut bei der Formel haltmachte: Ohne Zeittafel des israelischen Rückzuges kein neuer Waffenstillstand, aber beileibe kein Krieg. Denn der Sadat, der zum Ausland spricht, ist ein anderer Sadat. Ein Sadat, der weiß, was Worte bewirken können, der weiß, wie gefährlich die Lage ist und der keine neue Niederlage Ägyptens in einem durch leichtfertige aggressive Äußerungen vom Zaun gebrochenen Krieg verschulden will. Offensichtlich haben beide Seiten gelernt.

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