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Der Clan

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Die Beziehungen zwischen Ägypten und Libyen, die schon lange nicht mehr durch diplomatische Vertreter auf Botschafterebene in ihren gegenseitigen Hauptstädten vertreten sind, erreichten jetzt einen neuen Tiefstand. In Kairo wiederholte Präsident Mohammed Anwar es-Sadat seinen Vorwurf, der libysche Militärdiktator Oberst Mo'ammer el-Gaddafi sei hundertprozentig verrückt. Die Kairoer Presse behauptete, aus dem Nachbarland würden laufend Verbrecher und Mörder in das Niltal eingeschleust. Kenner der Verhältnisse argwöhnen jedoch, daß die Ägypter die libyschen Einflüsse übertreiben, um die katastrophale innerpolitische und wirtschaftliche Situation ihres Landes außenpolitisch bemänteln zu können.

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Die Beziehungen zwischen Ägypten und Libyen, die schon lange nicht mehr durch diplomatische Vertreter auf Botschafterebene in ihren gegenseitigen Hauptstädten vertreten sind, erreichten jetzt einen neuen Tiefstand. In Kairo wiederholte Präsident Mohammed Anwar es-Sadat seinen Vorwurf, der libysche Militärdiktator Oberst Mo'ammer el-Gaddafi sei hundertprozentig verrückt. Die Kairoer Presse behauptete, aus dem Nachbarland würden laufend Verbrecher und Mörder in das Niltal eingeschleust. Kenner der Verhältnisse argwöhnen jedoch, daß die Ägypter die libyschen Einflüsse übertreiben, um die katastrophale innerpolitische und wirtschaftliche Situation ihres Landes außenpolitisch bemänteln zu können.

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Fest steht, daß libysche Beauftragte mehrfach Kontakt aufnahmen mit den Scheichs jener Beduinenstämme, deren Weidegründe sich beiderseits der ägyptisch-libyschen Grenze in der nordafrikanischen Wüste erstrecken. Tripolis ließ diesen Stämmen auch gewisse Geldsummen zu-kommen, um ihre Loyalität zu gewinnen, daraus wurde in Kairoer Augen sogleich eine gezielte Konspiration gegen die ägyptische Zentralgewalt. Dabei weiß man am Nil wie In Tripolis sehr gut, daß diese Beduinen sich weder als Ägypter noch als Libyer fühlen und jeweils dem zuneigen, der ihre kargen Einnahmen etwas aufzubessern bereit ist. Möglicherweise läßt Oberst el-Gaddafi nasseristischen Untergrundgruppen in dem Nachbarland sporadische Spenden zugehen. Beweise dafür gibt es bislang jedoch nicht. Im Gegenteil: Der libysche Rohölexport stagniert beinahe, und Meldungen aus Tripolis besagen, daß die libyschen Staatskassen chronische Leere aufweisen. Mit el-Gaddafis Spendenfreudigkeit kann es also nicht weit her sein. Hinzu kommt, daß auch die orthodoxen Nasseristen am Nil in dem Obersten keineswegs eine mögliche personelle Alternative für Präsident es-Sadat sehen.

Fest steht aber auch, daß eben die orthodoxen Nasseristen in Ägypten wieder großen Zulauf und daß sich mehrere gegen es-Sadat gerichtete militante Untergrundgruppen gebildet haben. Diese Entwicklung hat jedoch innerpolitische Ursachen. Einmal sind viele Ägypter davon enttäuscht, daß die Außenpolitik des Präsidenten — also Abkehr vom Ostblock, Hinwendung zum Westen, friedliche Revision im Nahostkonflikt — bislang keinerlei erkennbare oder nicht ausreichende wirtschaftliche Vorteile gebracht hat. Die Wirtschaftslage ist katastrophal, und die Versorgungsschwierigkeiten nehmen trotz horrender Preissteigerungen und Rationierung der Grundnahrungsmittel überhand. Zum anderen macht man der Familie es-Sadats und „der clique um ihn“ eindeutige Korruptionsvorwürfe.

Die Abneigung konzentriert sich vor allem auf es-Sadats zweite Frau, die Halbengländerin Dschihan. Ihr kreidet man nicht nur den überdurchschnittlichen Einfluß an, den sie auf die Politik ihres Präsidentengatten ausübt. Man kritisiert vor allem, daß sie es verstanden hat, ihren Familienclan an den finanziellen- Segnungen der staatlichen Macht teilhaben zu lassen. Es-Sadats Schwiegersohn beispielsweise soll sich an Geschäften mit Landmaschinenimporten auf Staatskosten unverschämt bereichert haben. Dieser Korruptionsfall soll auch der wahre Grund für das kürzliche Revolverattentat auf Ali Rauf, so heißt der Schwiegersohn, gewesen sein.

Die Vorwürfe gegen die Sadat-Fa-milie sind so präzise, daß sie kaum widerlegt werden können. Sie stammen vorwiegend von einer orthodox-nasseristischen Untergrundorganisation, die sieh „Bewegung zur Verteidigung der Revolution vom 23. Juli 1952“ nennt. An diesem Tag stürzte die ägyptische Monarchie. Diese Gruppe verfügt offenkundig über eine gewisse Gefolgschaft bis in die höchsten Führungskreise und besitzt hervorragende Informationsquellen selbst in der engsten Umgebung des Staatschefs. Sie übernahm unter anderem die Verantwortung für die kürzlich gelegten drei Brände von kommunalen Einrichtungen der ägyptischen Hauptstadt. Für die nächsten Wochen rund um den dreizehnten Jahrestag der nasseristischen Machtergreifung haben die Widerständler noch mehr Sabotageakte in Aussicht gestellt. Ihr Nahziel scheint zu sein, es-Sadats groß angekündigtes Liberalisierungsprogramm, mit dem es ohnedies nicht weit her ist, zu stoppen und den Druck einer zusehends in die Enge getriebenen Staatsführung in Massensympathien für sich selbst umzumünzen.

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