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Reiches ölland und Terroristenzentrale

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Das einst bitterarme Wüstenland Libyen gehört dank seiner Erdölschätze heute zu den reichen Ländern. Die Häfen von Tripolis und Benghasi sind chronisch verstopft, Haufen von Waren lagern unter freiem Himmel. In dieses reiche ölland zieht es Firmenvertreter und Fachleute aus allen Industrieländern der Welt. Und es kommen Gastarbeiter aus den ärmeren arabischen Ländern, um in dem Konjunkturstaat Libyen ihr Glück zu machen.

Sie kommen in ein Land, das eine Führungsrolle in der arabischen Welt spielen möchte. Libyens Staatschef Ghadafi hat sich der „Wiedergeburt des arabischen Volkes” verschrieben. „Wenn jedermann die Regeln des Islam befolgte, könnten alle Probleme der Welt gelöst werden”, ließ er nach seinem Machtantritt im Jahre 1969 verlauten. Ghadafi, Vorsitzender des Revolutionsrates, ließ damals alle bestehenden Gesetze in Libyen außer Kraft setzen, um sie nach den Geboten des Koran neu zu fassen. Die koloniale Vergangenheit versuchte er durch eine systematische Arabisierung zu bewältigen. Die lateinische Schrift wurde von Straßen-, Verkehrs- und Firmenschildern verbannt, christliche Gottesdienste wurden untersagt, ausländische Kulturinstitute geschlossen. Alles wurde verboten, was den Putschoffizieren um Oberst Ghadafi als Ausgeburt westlicher Dekadenz erschien: Alkoholgenuß, Glücksspiele, Miniröcke, Bikinis, lange Haare und kurze Hosen. Der Koran wurde zum Maß aller Dinge. Staatschef Ghadafi geriet in den Ruf eines unberechenbaren Exzentrikers. Überall in libyschen Städten und Dörfern sieht man sein Porträt, meist neben dem Konterfei seines Mentors Nasser, garniert mit Kernsätzen aus dem „Grünen Buch”.

Schon in der libyschen Botschaft, dann an der Grenze, in Hotels und Restaurants findet man kostenlose Exemplare dieses „Grünen Buches”. Es trägt den Titel „Lösung des Demokratieproblems”. Angeblich hat Ghadafi darüber in der Wüste lange meditiert. Er verwirft den Parlamentarismus, das Ein- wie das Mehrparteiensystem, die Herrschaft einer Klasse, auch des Proletariats, und die Referendumsdemokratie als gleichermaßen „undemokratisch” und „diktatorisch”.

Diktatorisch, wenn auch in demokratischer Verkleidung, sind nach Ghadafis Ansicht auch alle aus Wahlen hervorgehenden „Regierungsapparate”, weil die Wähler der unterlegenen Parteien von einem Regime regiert würden, dem sie die Stimme nicht gegeben hätten. Ghadafis lapidare Schlußfolgerung lautet: „Repräsentation ist Betrug!”

Wahre Demokratie, meint er, lasse sich nur durch „Basis-Volkskongresse” mit einem „Allgemeinen Volkskongreß” als oberster Entscheidungsinstanz verwirklichen. Über Funk- tions- und Verfahrensfragen äußert sich Ghadafi reichlich verschwommen. Auf der Basis des Islam will er seinen „dritten Weg” beschreiten.

Für die Verbreitung seiner Ideen ist dem Diktator Libyens auch die lateinische Schrift recht und kein Geld zu schade. Ansonsten sind Druckwerke in lateinischer Schrift rar. Erst in letzter Zeit tauchten wieder nichtarabi- sch^Publikationen auf, freilich zensuriert und vor allem auf wissenschaftliche Literatur beschränkt. Im übrigen wird Ghadafi Mühe haben, sein Volk, das noch zu fünfzig Prozent aus Analphabeten besteht, mit den komplizierten Begriffen seines „Grünen Buches” vertraut zu machen. Den eher gleichmütigen Libyern wird alles andere als revolutionärer Elan nachgesagt.

Der Kampf gegen Israel und die Vereinigung der arabischen Welt sind für Ghadafi zur fixen Idee geworden. Wo immer ein Terrorunternehmen, ein Putschversuch stattfindet - meist wird Libyen der Mithilfe verdächtigt. Tripolis wurde zu einem Schlupfwinkel für Flugzeugentführer und Terroristen. Zu den Organisationen, die Ghadafi mit Geld und Waffen unterstützt, zählen nicht nur verschiedene radikale palästinensische Partisanengruppen, sondern auch muslimische Rebellen im Tschad, in Eritrea und auf den Philippinen. Zu seinen Kostgängern gehören nordirische Untergrundkämpfer und sardische Separatisten. Idi Amin, Gewaltherrscher von Uganda, rechnet sich zu seinen besten Freunden. Zugeknöpft zeigt sich Ghadafi gegenüber den armen Entwicklungsländern, die am meisten unter der i Ölpreispolitik zu leiden haben. , Auch die Dürrehilfe, die Libyen des Sahelländern gewährte, fiel ziemlich kläglich aus. Dagegen erwarb das sozialistische Libyen einen zehnprozentigen Aktienanteil am italienischen Fiat-Konzern.

Ebenso widerspruchsvoll ist die Anlehnung Libyens an die Sowjetunion. Ghadafi, der früher gegen die starke sowjetische Präsenz in Ägypten gewettert hatte, zeigte sich in den letzten Jahren zunehmend um Waffenlieferungen aus dem Ostblock bemüht. Sein Land, erklärte er, wolle die „stärkste Militärmacht und die erste Atommacht Afrikas” werden. Auf westliche Unterstützung kann er dabei kaum rechnen. Die Sowjets indes wollen nach ihrem Hinauswurf aus Ägypten einen Fuß in der nordafrikanischen Tür behalten.

Während andere arabische Staaten die Existenz Israels anzuerkennen geneigt sind, fordert die libysche Propaganda nach wie vor die Vernichtung des Judenstaates. Ghadafi kann aber den „heiligen Krieg” gegen Israel nur mit Worten führen, denn militärisch ist sein Land zu schwach. Er hat zwar die Mittel, kostspielige Waffensysteme anzuschaffen, aber ihm fehlt ein gut- ausgebildetes Militär, das mit modernem Kriegsgerät umzugehen versteht.

Daß es auch in Libyen eine Opposition gibt, zeigten Studentenunruhen in Benghasi und Tripolis. Trotzdem gewinnt man den Eindruck, daß die Mehrzahl der Libyer hinter Ghadafi steht, aus dem einfachen Grunde, weil es ihnen heute materiell besser geht als je zuvor. Die Grundnahrungsmittel, wie Milch und Brot, sind staatlich subventioniert und billiger als in den Nachbarländern. Alkoholika freilich gibt es im puritanischen Libyen nur zu phantastischen Schwarzmarktpreisen. Die Verkäufer von Transistorradios, Klein- und Mittelklassewagen machen ausgezeichnete Geschäfte. Das Ausland liefert schlüsselfertige Fabriken, Supermärkte, Hotels, Schulen und Kraftanlagen. Damit soll ein Grundstein für die Zeit nach dem Ölboom gelegt werden. In vierzig Jahren, so schätzt^nan, werden nämlich die libyschen Erdölvorräte erschöpft sein.

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