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Gewagtes Spiel mit Libyen

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Frankreich ist das Wagnis eingegangen, Libyens Präsidenten Ghaddafi Vertrauen zu schenken. Der damit vereinbarte parallele Abzug der französischen und libyschen Truppen aus dem Tschad bis 10. November ist von einem Vabanque-Spiel nicht allzuweit entfernt.

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Frankreich ist das Wagnis eingegangen, Libyens Präsidenten Ghaddafi Vertrauen zu schenken. Der damit vereinbarte parallele Abzug der französischen und libyschen Truppen aus dem Tschad bis 10. November ist von einem Vabanque-Spiel nicht allzuweit entfernt.

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Es ist ziemlich belanglos, wie es zustande gekommen ist, wenn auch die auf verschiedenen Wegen in die Medien geschleusten Informationen an der Aufrichtigkeit und dem seriösen Charakter der heutigen Diplomatie zweifeln lassen. Es begann mit den stolzen Erklärungen verschiedener französischer Regierungsmitglieder, ihr Land sei groß und stark genug, um seine Probleme mit Libyen ohne Vermittler regeln zu können.

Dann meldeten sich der Reihe nach gute Geister, die ihre wohlwollende Hilfestellung der Öffentlichkeit nicht vorenthalten wollten und natürlich an ihr Prestige dachten. Der erste war Österreichs Altbundeskanzler Bruno Kreisky, der zweite der griechische Regierungschef Papandreou und der dritte mit etwas Abstand Marokkos König Hassan II. In Wirklichkeit waren diese angeblichen Vermittler nur Briefträger, die beiden Seiten gut zuredeten, jedoch nichts zu regeln vermochten.

Nach der offiziellen französischen Version war die Einigung mit Ghaddafi das Ergebnis einer geduldigen und eifrigen Pariser Verhandlungstaktik. In der Tat mangelte es nicht an französischen Sendboten, die immer wieder versuchten, den libyschen Präsidenten von der Zweckmäßigkeit der beiderseitigen Räumung des Tschads zu überzeugen.

Der allein entscheidende Faktor ist dann ein plötzlicher Gesinnungswandel des stets unberechenbar gewesenen Ghaddafi gewesen. Als er wissen ließ, daß er es endlich mit dem Truppenabzug ernst meint, flog überstürzt Außenminister Claude Cheysson nach Tripolis, wo er während vieler Stunden mit ihm verhandelte, um anschließend sofort das Ergebnis mitten in der Nacht Präsident Mitterrand zu unterbreiten.

Dann flog Cheysson erneut nach Libyen und unterschrieb ein Abkommen, das sich ziemlich schnell als unvollständig, um nicht zu sagen, als Improvisation erwies.

Die Beweggründe des libyschen Präsidenten entziehen sich der sachlichen Analyse. Alle Akteure und Beobachter sind auf Spekulationen angewiesen. Bis zum letzten Augenblick wollte er die französischen Soldaten unter schmählichen Umständen aus dem Tschad vertreiben. Er verkündete auch offen nicht nur seine Sympathie, sondern seine Unterstützung für die separatistischen Kräfte in den überseeischen Departements und Territorien Frankreichs.

Welche Bedeutung besitzt es, wenn der gleiche Ghaddafi jetzt nur noch von französisch-libyscher Freundschaft spricht und sich jede Einmischung in die rein innerfranzösischen Angelegenheiten der überseeischen Departements versagt? Für diese Liebeswelle gibt es einige Präzedenzfälle, die sich sehr schnell wie Seifenblasen im Nichts aufgelöst hatten.

Eines ist sicher: Ghaddafi ist auf die französische Freundschaft nicht angewiesen. In Afrika gibt es weiterhin zwischen Frankreich und Libyen einen scharfen Interessenkonflikt, übrigens ebenso wie zwischen Libyen und Marokko.

Die wohlwollende Erklärung der taktischen Kehrtwendung Ghaddafis ist die realistische Erkenntnis seiner augenblicklichen Schwächen: wirtschaftliche

Schwierigkeiten, innere Spannungen, doppelte Isolierung in Afrika und in der arabischen Welt, sowie nicht zuletzt die Aussichtslosigkeit seines militärischen Abenteuers im Tschad, wo die Zahl seiner Anhänger stark zusammengeschrumpft ist.

Es wäre gewagt, aus diesen Argumenten zu schließen, daß der libysche Präsident auf seine expansionistischen Ziele verzichtet, um nunmehr wirklich als ehrlicher Partner seiner neuen — wie man sagen möchte — Gelegenheitsfreunde Marokko und Frankreich zu handeln. Schon wiederholt ist er zurückgewichen, um dann besser springen zu können.

Inzwischen bestehen in Afrika und in Frankreich Zweifel an der Möglichkeit, den libyschen Truppenabzug zuverlässig zu kontrollieren. Es gibt keine klare Trennungslinie zwischen den libyschen Elementen und der Gefolgschaft Gukunis, des Rivalen des legitimen Tschad-Präsidenten Hissen Habre.

Die französische Schätzung des libyschen Truppenkontingents von 5.000 bis 6.000 Mann weicht von allen bisherigen Angaben Ghaddafis erheblich ab. Lediglich der Abzug schweren Rüstungsmaterials, insbesondere Flugzeugabwehrraketen und Panzer, vermag einigermaßen glaubwürdig ermittelt zu werden.

Nichts hindert jedoch Ghaddafi daran, Gukuni die nötigen Mittel für einen militärischen Vorstoß nach Süden zu überlassen, während auf der anderen Seite Hissen Habre fest entschlossen ist, zur Wiederherstellung der Einheit seines Landes so bald wie möglich nach Norden zu ziehen. Was ist von Frankreich und Libyen zu erwarten oder zu befürchten, wenn so der Tschad wieder zum Hexenkessel wird?

Diese Frage stellen sich vor allem die Regierungen des schwarzen Erdteils aller politischen Tendenzen. Sie bringen zwar Verständnis für den Wunsch Frankreichs auf, sich von den schweren militärischen Last im Tschad zu befreien. Sie bangen aber gleichzeitig um ihre Sicherheit gegenüber einem von ihnen stets mit großem Mißtrauen beobachteten Libyen. Augenblicklich geht Frankreich das Risiko ein, daß ihm die Afrikaner vorwerfen, sie etwas leichtfertig, und vielleicht sogar vorwiegend und für einen vorübergehenden Prestigeerfolg, im Stich gelassen zu haben.

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