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Interventionen mit hohem Risiko

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Über 10.000 französische Soldaten sind augenblicklich in Afrika und im Libanon engagiert. Dieses Wahrnehmen seiner weltpolitischen Rolle ist mit erheblichen Risiken für Frankreich verbunden.

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Über 10.000 französische Soldaten sind augenblicklich in Afrika und im Libanon engagiert. Dieses Wahrnehmen seiner weltpolitischen Rolle ist mit erheblichen Risiken für Frankreich verbunden.

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Es ist in der freien und auch wohl in der kommunistischen Welt einmalig, daß die Entscheidung über derartig weitreichende militärische Interventionen dank einer elastisch angewandten Verfassung der Staatspräsident allein treffen darf, dies sogar ohne vorherige Diskussion innerhalb einer Regierung.

Für das Engagement im Tschad hatte Präsident Francois Mitterrand lediglich seinen Verteidigungsminister beratend hinzugezogen, während der Außenminister hierbei überhaupt keine Rolle spielte. Erst mit Verspätung erfolgte eine Unterrichtung des zu-

ständigen Parlamentsausschusses, der sich dann mit einem recht akademischen Meinungsaustausch begnügte.

Es steht noch nicht fest, wann die Vollversammlung des Parlaments Zeit für eine umfassendere Debatte über die französischen Aktionen auf dem schwarzen Erdteil und in Nahost haben wird. Der Präsident sah auch keine Veranlassung, sich vor seiner Entscheidung mit den Verantwortlichen der beiden Regierungsparteien zu unterhalten.

Selbst ein autoritärer Machthaber wie Andropow muß sich für militärische Interventionen die Zustimmung seines Politbüros sichern und zusätzlich auf einige andere Mechanismen des verzweigten kommunistischen Apparats Rücksicht nehmen. Nach den in Frankreich gültigen Regeln benötigt die Regierung für die Entsendung von Soldaten ins Ausland die Zustimmung des Parlaments lediglich, wenn es sich um Wehrdienstpflichtige handelt.

Die Berufssoldaten unterstehen der selbstherrlichen Befehlsgewalt des Staatspräsidenten.

Darüber hinaus entfällt die Kontrolle des Parlaments für Wehrdienstpflichtige, die sich für derartige Missionen freiwillig melden. Uber den Grad dieser Freiwilligkeit kann man verschiedenartiger Meinung sein. Man muß auch feststellen, daß Mitterrand von seiner ausschließlichen Entscheidungsgewalt in weit großzügigerem Maße Gebrauch macht als seine Vorgänger und die bitteren Vorwürfe vergessen hat, die er Giscard d’Estaing machte, als jener eine kleine Gruppe von Fallschirmjägern vorübergehend nach Zaire entsandte.

Wie dem auch sei, die französische Öffentlichkeit nahm bisher die Entsendung französischer Truppen in ferne Gefahrenzonen gelassen hin. Es erscheint ihr immer noch selbstverständlich, daß Frankreich eine weltpolitische Rolle spielt. Es käme einer Abdankung gleich, wenn es Tschad und Libanon passiv ihrem Schicksal überließe. Von einem nationalen Konsensus zu sprechen wäre aber übertrieben. Das gegebene Risiko wird nicht übersehen.

Man stellt sich auch die Frage, ob von Mitterrand nicht mehr unternommen wurde, als es das nationale Potential zuläßt. Außerdem stehen die Kommunisten — gelinde gesagt — in kritischer Ab-

seitsstellung. Ihr-Herz schlägt für Libyen und die mit ihm verbundene Sowjetunion.

Einem guten Teil der sozialistischen Partei widerstrebt jede militärische Interventionspolitik. Es ist nicht vorauszusehen. Was in ihren Reihen geschehen wird, wenn es zu Kämpfen und schweren französischen Verlusten kommen sollte.

Offensichtlich wurden ferner die Grenzen des militärischen Potentials Frankreichs, während die Finanzierung der beiden Expeditionen noch im dunklen liegt. Die für den Einsatz außerhalb Frankreichs vorgesehenen Einheiten verfügen über rund 11.000 Mann. Hierzu kommen 4.000 Fremdenlegionäre, ständig im Zwergstaat Dschibuti, am Ausgang des Roten Meeres, stationiert.

Im Tschad sowie als Reserve in der Zentralafrikanischen Republik und in Gabun befinden sich

5.0 bis 6.000 französische Soldaten, im Libanon 2.000, neben einem Flottenverband von rund

4.0 Mann. Die Einsatzdivision war nur mit leichtem Material ausgestattet.

Zur Verstärkung der Feuerkraft mußte die in Ostfrankreich und in der Bundesrepublik Deutschland liegende 1. Armee Kanonen, Panzerfahrzeuge aller Art und Hubschrauber bereitstellen. Und selbst die Waffenlieferungen an die legitime Regierung des Tschad gingen zu Lasten der normalen Bestände des fran zösischen Heeres. Infolge der knappen Finanzen gibt es keine Reserven von Rüstungsgütern. Die Ausstattung der Einheiten bleibt sowieso seit langem hinter den Planungszielen zurück.

In Afrika ist das französische Potential stark genug, damit Paris einen militärischen Zusammenprall mit den Libyern nicht zu befürchten braucht. Die Lage im Libanon ist weit heikler, schon weil dort für die Sowjetunion mehr auf dem Spiel steht und sie daher Syrien kräftig unter die Arme greifen könnte.

Das Risiko befindet sich aber für Mitterrand weniger auf der militärischen als auf der politischen Ebene. Wenn Frankreich sein Truppenkontingent aus dem Libanon zurückzöge, würde es in der arabischen Welt das Gesicht verlieren. Im Tschad ist der prestigemäßige Einsatz noch höher. Das schwarze Afrika erwartet von seinem französischen Partner eine wirkungsvolle Garantie seiner Sicherheit. Eine Enttäuschung hätte bittere und langwierige Folgen.

Bereits die Möglichkeit einer militärischen Verwicklung in der einen oder anderen Zone verursacht innenpolitische Alpdrücke. In diesem Falle wäre ein Ausscheiden der Kommunisten aus der Regierungskoalition ebenso vorstellbar wie eine Krise innerhalb der sozialistischen Partei.

In den letzten Jahrzehnten hat leider die Erfahrung bewiesen, daß für militärische Auseinandersetzungen weder im Tschad noch im Libanon ein Ende abzusehen ist. Die fatale Entwicklung der französischen Kolonialkriege in Indochina und Algerien ist immer noch gegenwärtig. Die öffentliche Meinung billigt zwar eine prestigeorientierte Politik, es ist aber unwahrscheinlich, daß sie hierfür zu größeren Opfern bereit ist.

Im Tschad steht Paris vor einem Dilemma. Es kann und will eine militärische Konfrontation mit Libyen nicht provozieren, das heißt, Mitterrand lehnt eine Offensive zur Vertreibung der libyschen Truppen aus dem Lande ab. Es besteht die Gefahr, daß sich Gaddafi mit dem eroberten Nordteil begnügt und so Frankreich zwingt, während einer unbestimmten Frist ein starkes Truppenkontingent im Lande zu belassen. Für die Krise gäbe es demnach keine Lösung.

Ohne es zuzugestehen, betrachtet daher die französische Seite eine bewegliche Front mit einer möglichen Klärung der Verhältnisse als das kleinere Übel. Inzwischen erstrebt man mit allen Kräften eine diplomatische Lösung sowohl im Libanon, wo man hofft, daß die multinationale Streitkraft nicht mehr beschossen wird, und im Tschad, wo mit noch erheblicheren Schwierigkeiten gerechnet werden muß. Denn das unumgängliche Ziel ist der Abzug der Libyer.

In beiden Fällen zwingt sich für den Erfolg der diplomatischen Bemühungen erhebliche Skepsis auf. Es ist demnach nicht sicher, daß es Frankreich gelingt, sich aus einer ihm schicksalshaft auferlegten Sackgasse rechtzeitig

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