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Weniger nationale Bastionen

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Zehn Tage lang befaßte sich der französische Präsident bevorzugt mit der Verteidigungspolitik, um sich mit ihren Gegebenheiten vertraut zu machen und über die notwendigen sowie überhaupt möglichen Veränderungen gründlich nachzudenken. Er empfing eine große Reihe qualifizierter Personen, denen er vor allem Fragen stellte, ohne ihnen seine eigenen Ansichten mitzuteilen. Den Abschluß bildete eine geheime Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates, der unter dem Vorsitz des Präsidenten von vier Ministern und fünf hohen Offizieren gebildet wird.

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Zehn Tage lang befaßte sich der französische Präsident bevorzugt mit der Verteidigungspolitik, um sich mit ihren Gegebenheiten vertraut zu machen und über die notwendigen sowie überhaupt möglichen Veränderungen gründlich nachzudenken. Er empfing eine große Reihe qualifizierter Personen, denen er vor allem Fragen stellte, ohne ihnen seine eigenen Ansichten mitzuteilen. Den Abschluß bildete eine geheime Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates, der unter dem Vorsitz des Präsidenten von vier Ministern und fünf hohen Offizieren gebildet wird.

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Das letzte Mal trat er im Oktober 1973 zusammen und sollte die strategischen Richtlinien für die taktische französische Atomwaffe verabschieden. Auf Beschluß des damaligen Präsidenten Pompidou wurde die Entscheidung vertagt, weil ihm die politischen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben schienen. Die Atomwaffe bleibt also des „Pudels Kern“. Ihr galten die meisten Fragen des Präsidenten an seine Besucher. Das Nuklearwaffenthema ist auch wichtig im Blick auf das Verhältnis Frankreichs zur Bundesrepublik und zur NATO.

Abgesehen davon: Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Koordinierung der französischen Streitkräfte im europäisch-atlantisehen Rahmen und der Organisation des Militärdienstes. Frankreich kann nicht allein das zukünftige Gewicht der Territorialverteidigung in seinem strategischen „System“ bestimmen Eine Rationalisierung des Militärdienstes ist ohne eine sinnvolle Aufgliederung des jährlichen Rekrutenkontingents auf Einsatzdivisionen und Territorialverbände kaum denkbar.

Zweitrangig erscheinen dagegen seriösen französischen Beobachtern die Spannungen innerhalb der Armee. Die mitunter außerhalb Frankreichs vermutete Kluft zwischen den konventionell und den atomar ausgerüsteten Einheiten gehört in das Reich der Phantasie. Es bestehen keine Trennungslinien, es gibt keinen „frustrierten“ Teil der Armee.

Reichlich übertrieben wird auch die Unzufriedenheit der Wehrdienstpflichtigen, die meistens sehr intensiv ausgebüdet werden Bekanntlich besitzen , die französischen Einsatzdivisionen innerhalb der NATO einen ausgezeichneten Ruf. Das Unbehagen des Offizierskorps hat schließlich vorwiegend materielle Gründe. Nicht unerhebliche finanzielle Aufbesserungen sind im nächsten Staatshaushalt vorgesehen.

Richtungsgebend ist für den französischen Präsidenten die Erkenntnis, daß die verfügbaren Mittel nur dann für eine angemessene Besoldung der Soldaten und für die Modernisierung der Rüstung einschließlich der Atomwaffe ausreichen, wenn sich die Europäer zu einer gemeinsamen Rüstungsproduktion durchringen Um dieses Ziel zu erreichen, muß Frankreich logischerweise auf eine rein nationale Verteidigungspolitik verzichten. Der entscheidende Test in diesem Zusammenhang sind 300 Flugzeuge, die Holland, Belgien, Dänemark und Norwegen demnächst kaufen müssen, um den amerikanischen Star-fighter zu ersetzen. Beharrt Frankreich hier auf einer nationalen Position in Sachen Verteidigung, dann dürfte es sich kaum mit seinem Mirage-Modell durchsetzen, obwohl es technisch einwandfrei und preislich durchaus konkurrenzfähig ist.

Daneben erfordert die für Einsparungen unumgängliche Arbeitsteilung innerhalb Europas eine Koordination, die weit über das Bisherige hinausgeht. Alle Vorschläge Frankreichs zugunsten einer europäischen Verteidigung bleiben unglaubwürdig, solange Paris nicht deutlich wissen läßt, daß es unter Einschränkung seiner nationalen Entscheidungsfreiheit sein Atompotential in den Dienst der gemeinsamen Sache stellt. Der französische Präsident muß sich daher darüber klar werden, in welcher Form er seinen Partnern eine Zusammenarbeit anbieten kann, um Frankreichs Atomstrategie aus dem Rahmen nationaler Isolierung herauszulösen. Nicht weniger wichtig ist eine Definition der französischen Haltung gegenüber der „Eurogruppe“ der NATO, die zwar nach Ansicht nicht nur französischer Beobachter nicht allzu viel Wirksamkeit besitzt, aber eben auch infolge der Pariser Abseitsstellung nicht voll wirksam werden kann.

Verschiedene Schwierigkeiten dürfen hierbei von Giscard nicht übersehen werden. Die zu erwartenden innenpolitischen Widerstände, besonders aus dem gaullistischen Lager, sind wahrscheinlich am wenigsten störend, besonders wenn keine sensationellen Entscheidungen angekündigt werden sondern die „strategische Eingliederung“ in ein europäisch-atlantisches System schrittweise erfolgt. Weit ernster zu nehmen sind gewisse Bedenken der Sowjetunion und — wenn auch auf Grund anderer Motive — den USA. Gehemmt wird nicht zuletzt die europäische Entwicklung durch destruktives Verhalten Großbritanniens.

Die Zeit einseitiger nationaler Beschlüsse ist aber jedenfalls für Paris vorbei. Die erste Etappe nach der internen Definition der möglichen zukünftigen Verteidigungspolitik bildet eine gründliche Aussprache mit dem deutschen Partner, um zu ermitteln, welche europäischen Gemeinschaftslösungen erreichbar sind und welche Zugeständnisse an die Atlantische Allianz gemacht werden müssen.

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