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Frankreich auf atlantischem Kurs

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Bei der ersten Pariser NATO-Tagung seit dem Austritt Frankreichs aus dem militärischen System der Allianz 1966 strich die sozialistische Regierung unter Mitterrand erneut demonstrativ ihre atlantische Orientierung heraus: zum Leidwesen der KPF und der Sowjetunion.

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Bei der ersten Pariser NATO-Tagung seit dem Austritt Frankreichs aus dem militärischen System der Allianz 1966 strich die sozialistische Regierung unter Mitterrand erneut demonstrativ ihre atlantische Orientierung heraus: zum Leidwesen der KPF und der Sowjetunion.

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Die Eröffnungsansprache bei der traditionellen Frühjahrskonferenz der NATO-Außenminister hielt der französische Premierminister Pierre Mauroy, der erneut auf die Notwendigkeit der NATO-Nachrüstung hinwies. Präsident Francpis Mitterrand empfing anschließend die Minister zu einem politisch orchestrierten

Abendessen. Um seine atlantische Solidarität mit den USA verständlich zu machen, führte er außerdem mit dem amerikanischen Außenminister Shultz ein vertrauliches Gespräch.

Kurz vorher benützte der französische Außenminister Claude Cheysson das Forum der Parlamentarischen Versammlung der Westeuropäischen Union (WEU) zu der provozierenden Frage, ob es die nichtatomaren westeuropäischen Länder hinnehmen könnten, daß ihnen das Recht'verweigert werde, über die NATO- Nachrüstung in den Genuß des Abschreckungspotentials ihres Verbündeten jenseits des Atlantiks zu gelangen. Damit würden sie der Sowjetunion das Recht auf Überlegenheit zugestehen und einer Bedrohung ausgesetzt werden, auf die es augenblicklich keine Antwort gebe.

Gleichzeitig lehnte Cheysson erneut energisch die Einbeziehung des französischen und britischen Atompotentials in die Genfer Abrüstungsverhandlungen über die Mittelstreckenraketen ab. Nach seiner These war dieses Potential nie eine Antwort auf gegnerische Mittelstreckenraketen, sondern soll in der Strategie des Schwachen gegenüber dem Starken den Gegner davon abhalten, die Gesamtheit seines Arsenals einzusetzen oder nur damit zu drohen.

Frankreich befindet sich demnach in völligem Widerspruch zur Sowjetunion. Man braucht sich nicht zu wundern, daß die bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern an einem Tiefpunkt angelangt sind, wobei offensichtlich weder die eine noch die andere Seite vorläufig die Absicht hat, irgend etwas daran zu ändern. Moskau kritisiert neuerdings auch in scharfer Form die französische Afrikapolitik.

Die lange gern als Trost für Meinungsverschiedenheiten in den Vordergrund gerückte, weitgehende Übereinstimmung in der Nahostpolitik ist einer deutlichen französischen Annäherung an den amerikanischen Standpunkt gewichen.

Den sowjetischen Beobachtern ist es natürlich auch nicht entgangen, daß die französische Regierung ihr ehrgeiziges Rüstungsprogramm für die Jahre 1984 bis 1988 mit der aggressiven Haltung Moskaus rechtfertigt. Dies veran- laßte die französischen Kommunisten, sich bei der Abstimmung über den ersten Paragraphen des Programms der Stimme zu enthalten.

Mißfallen erregt natürlich im Kreml auch die in die Wege geleitete engere militärisch-strategische Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik Deutschland, schon weil sie sich für die sowjetische Seite mit dem Risiko eines atomaren Schutzes des deutschen Territoriums durch das französische Potential verbindet. Selbst wenn Frankreich in diesem Sinne keine festen, juristisch verbindliche Zusagen macht, entsteht für Moskau ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor.

In Paris, ebenso wie in Washington und Moskau, sucht man nach den Gründen dieser von Mitterrand zunächst keineswegs erwarteten harten Politik zugunsten des atlantischen Bündnisses und gegen die sowjetische Bedrohung. Ein persönlicher Faktor, die unverkennbar antisowjetische Einstellung des französischen Präsidenten, dürfte eine nicht geringe Rolle spielen.

Weit schwerwiegender sind aber wohl echte Sicherheitsbefürchtungen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb Frankreich bei der Bewertung des west-östlichen Gleichgewichts zu anderen Ergebnissen gelangen sollte als die USA oder die NATO. Schon zu Zeiten de Gaulles setzte die Unabhängigkeit der französischen Verteidigungspolitik ein glaubwürdiges amerikanisches Engagement in Europa voraus. Daran hat sich nichts geändert.

Hierzu kommen als neuer und in mancher Beziehung entscheidender Faktor die pazifistischen und neutralistischen Strömungen in der Bundesrepublik Deutschland: Ein mehr oder weniger einseitiger Verzicht auf die NATO- Nachrüstung würde diesen Kräften einen gefährlichen politischen Auftrieb geben und die Sowjetunion ihrem alten Ziel eines mehr oder weniger neutralen Deutschland näherbringen.

Eine derartige Perspektive war für Frankreich stets ein Alpdruck. Damit wtjrde die europäische Einigungspolitik in Stücke gehen und mit ihr auch die so hochgeschätzte nationale Unabhängigkeit Frankreichs. Die Stationierung neuer amerikanischer Raketen im Nachbarland ist für Paris die beste Vorbeugungsmaßnahme gegen die neutralistische Gefahr. Die früher so oft gefeierte traditionelle Freundschaft mit der Sowjetunion ist daneben in der politischen Waagschale federleicht.

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