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Frankreichs Scheinerfolge in der Dritten Welt

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Der aktive Einsatz für die Befreiung der Dritten Welt von allen tatsächlichen oder vermuteten kolonialisierten Resthypotheken zur Förderung ihrer wirtschaftlich-sozialen Entwicklung war einer der wichtigsten Pfeiler des von Francois Mitterrand bei seiner Machtübernahme 1981 gepredigten französischen Sozialismus. Er konnte zwar hiermit einige seinem Prestige schmeichelnde Scheinerfolge erzielen, die Bilanz bleibt aber doch unbestreitbar negativ.

Die stark herausgestellte Sympathie für alle revolutionären Bewegungen, die offiziell die politische Unabhängigkeit und soziale Gerechtigkeit anstrebten, während es ihnen in erster Linie um die Eroberung der Macht ging, erwies sich für Frankreich selbst mitunter als verhängnisvoll.

Das erste Aktionsfeld war für die sozialistische Ideologie Nikaragua und der mittelamerikanische Raum. Höhepunkte bildeten eine pathetische Rede Mitterrands in Mexiko und eine wohlklingende französisch-mexikanische Erklärung. Es mangelte auch nicht an Kontakten mit Kuba, das sich Frankreich als wohlwollender Partner anbot. Zu diesem Elan paßte eine Waffenlieferung an Nikaragua, deren Unüberlegtheit ziemlich schnell von den offiziellen Kreisen diskret zugegeben wurde.

Dieser prorevolutionäre Höhenflug brachte Frankreich nichts ein. Die französische Seite konnte nicht übersehen, daß es Kuba und Nikaragua mit den Menschenrechten nicht sehr ernst nehmen.

Fidel Castro wartet wahrscheinlich nicht mit Ungeduld auf die wiederholt versprochene Einladung nach Paris, weil Mitterrand trotz allem Rücksicht auf den amerikanischen Alliierten nimmt und den Kubaner nicht ohne eine Gegenleistung für ihn selbst aufwerten will. Castro scheint dazu nicht geneigt zu sein. Er weiß allzu genau, daß sein Schicksal ebenso wie dasjenige Nikaraguas weit stärker von Washington als von Paris abhängt.

Mitterrand unterschätzte ferner die Empfindlichkeit der Lateinamerikaner. Selbst Mexiko distanzierte sich schon nach kurzer Frist gegenüber Frankreich, weil ihm dessen Einmischung in die Angelegenheiten der Region wenig zweckmäßig und überhaupt nicht nützlich erschien.

Noch deutlicher war die Verärgerung über die ideologische französische Geschäftigkeit in Venezuela und Kolumbien. Dem französischen Export wurde damit sicherlich nicht gedient. Daher besteht seit einiger Zeit in der französischen Hauptstadt die Tendenz, sich im lateinamerikanischen Bereich möglichst wenig zu exponieren.

Konkrete Auswirkungen besitzt der sozialistische Entkolonialisierungskomplex im Pazifik und in den Antillen. Ohne gründliche Uberprüfung der Verhältnisse und der langfristigen, sicherheitspolitischen Erfordernisse versprach der französische Präsident den marxistisch-revolutionären Kanaken Neukaledoniens, die zunächst kein überragendes politisches Gewicht besaßen, die baldige Unabhängigkeit ihres Territoriums.

Mitterrand löste hiermit eine nationalistische Kettenreaktion aus und gab sich außerdem der geradezu blinden Illusion hin, eine marxistisch orientierte Unabhängigkeitsbewegung nach Erreichung ihres Zieles zu einer Assoziierung mit Frankreich veranlassen zu können. Bekanntlich sollen in einem unabhängigen Neukale-donien Verteidigung, innere Sicherheit und Justiz in französischen Händen bleiben.

Völlig vernachlässigt wurde die Ansteckungsgefahr dieser von Paris offiziell geförderten nationalistischen Welle in den Antillen, die als französische Departements verwaltet werden und deren Einwohner seit langem gleichberechtigte Staatsbürger sind. Die dortige linksradikale Unabhängigkeitsbewegung wurde zunächst als belanglos hingestellt, aber keineswegs energisch bekämpft. Man knüpfte mit ihr sogar diskrete Kontakte an, in der Hoffnung, sie zu einer Zusammenarbeit in gemeinsam äntikolonialistischem Geiste veranlassen zu können.

Inzwischen ist die Insel Guadeloupe zu einem bedenklichen Unruheherd geworden. Martinique könnte folgen. Auch die Afrika vorgelagerte Insel Reunion, ein weiteres überseeisches Departement, wird von linksextremen Separatisten bearbeitet. Die Querverbindungen aller dieser Kräfte mit den korsischen Terroristen und Libyen sind hinreichend bekannt.

Zielscheibe Südafrika

In Afrika spielte Mitterrand nach allen Richtungen hin mit der Karte der Menschenrechte. Seine Appelle zugunsten einer vermehrten Wirtschaftshilfe für die ärmsten Staaten der Welt entsprechen zwar der französischen Tradition und entbehren keineswegs der Berechtigung. Fragwürdig ist aber ihr Unterton, nämlich die Absicht, im Westen ein Schuldbewußtsein zu wecken und zumindest zwischen den Zeilen für die afrikanische Notlage den Kolonialismus verantwortlich zu machen.

Die Bevorzugung der mehr oder weniger revolutionären Regime gegenüber den liberalen und gemäßigten wurde inzwischen aufgegeben, schon weil man erkannte, daß den Afrikanern eine französische Einmischung in ihre Innenpolitik, sei es auch nur durch Werturteile, höchst unangenehm ist. Eine bequeme Zielscheibe ist Südafrika, wobei Paris übersieht, daß dessen Nachbarn mit ihm zusammenarbeiten müssen, wenn sie ihren wirtschaftlichen und möglicherweise auch politischen Zusammenbruch vermeiden wollen.

Alle afrikanischen Regierungen sind zudem klug genug, um zu merken, daß die von der französischen Regierung unlängst angekündigten Strafmaßnahmen gegen Südafrika kaum eine konkrete Auswirkung besitzen und sich hiermit Frankreich etwas bombastisch in eine Rolle versetzt, die ihm nach Ansicht der Afrikaner nicht ohne weiteres zusteht. Umso mehr richten sich ihre Blicke nach Washington, weil allein dort das notwendige Potential vorhanden ist, um Südafrika zu einem vernünftigen Kurs zu veranlassen.

Im schwarzen Afrika hat jedenfalls das Frankreich Mitterrands an Ansehen und Vertrauen verloren. Unabhängig von ihrer politischen Tendenz finden sich die verschiedenen Regierungen in den Irrgängen der französischen Diplomatie nicht mehr zurecht. Abwechselnd werden ihnen kalte und warme Duschen angeboten; auf das Umwerben folgt die Vernachlässigung ihrer Empfindsamkeit.

Sie sind sich außerdem nicht zuletzt des Widerspruchs zwischen den drängenden Appellen an die Industriestaaten für mehr Hilfe und der Verringerung der ihnen von Frankreich zur Verfügung gestellten Mittel bewußt. Mehrere maßgebende afrikanische Regierungschefs halten es daher für zweckmäßig, sich stärker an die USA anzulehnen.

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