6832887-1974_49_03.jpg
Digital In Arbeit

Der Fuß in der Tür

Werbung
Werbung
Werbung

Bei der Beurteilung der ersten großen Auslandsreise Präsident Fords ist zuerst eine Analyse der innenpolitischen Position des Präsidenten und dann eine solche der gegenüber der Nixon-Ära veränderten Weltlage am Platz.

Nicht gewählt, sondern ernannt und vom Kongreß bestätigt und schließlich in den kürzlich abgehaltenen „Halbzeitwahlen“ abgewiesen, scheint Präsident Ford zur Zeit nur eine geringe Verwurzelung im amerikanischen Elektorat zu besitzen. Die Krebsoperation seiner Frau hatte überdies eine Kandidatur für das Jahr 1976 in Frage gestellt. So war es überaus wichtig, daß der Präsident sich noch kurz vor seiner großen Reise in den Fernen Osten und zum Gipfeltreffen mit Breschnjew in Wladiwostok als Präsidentschaftskandidat für 1976 deklarierte, wenn auch die entwaffnende Offenheit der Begründung — es gefalle ihm, Präsident zu sein — charismatischer Töne entbehrt. Aber ein abtretender Präsident, etwas, was man in den USA als lame duck (lahme Ente) bezeichnet, ist für einen sowjetischen Spitzenpolitiker kein Gesprächspartner. Es ist schon unter normalen Umständen schwierig für einen etablierten „Sprecher des sowjetischen Proletariats“, mit einem für begrenzte Zeit gewählten demokratischen Staatslenker längerfristige Abmachungen zu treffen.

War Nixon nicht nur durch sein Verständnis für weltpolitische Probleme, sondern bis zu Watergate auch durch seine starke innenpolitische Verankerung ein echter Gesprächspartner, so scheinen Ford alle diese Voraussetzungen zu mangeln. Das konnte auch der schon unter Nixon so erfolgreiche Außenminister Kissinger nicht wettmachen. Denn — hier schließt sich der Kreis — Außenpolitik ist’ eine Funktion innenpolitischer Verankerung und des weltpolitischen Potentials, richtig eingesetzt.

Man könnte schließlich auch noch die innere moralische Haltung einer Nation, ihre disziplinierte Opferbereitschaft zugunsten äußerer oder innerer Fernziele als wichtigen außenpolitischen Faktor anführen. Aber auch dieser einst in den Vereinigten Staaten so solide Pfeiler scheint bereits von einer tief im Konsumdenken steckengebliebenen Nation ausgehöhlt zu sein. Es ist allerdings unmöglich, den Puls der in den Diktaturen lebenden Völker zu fühlen und einen Vergleich anzustellen. Auch dort scheint nicht alles für die Fahne und das proletarische Gemeinwohl zu leben. Welchen Eindruck schließlich Breschnjew von Ford aus Wladiwostok mitgenommen hat, steht in keinem Kommunique. Dieser Eindruck wird sich jedoch während der nächsten Monate in der sowjetischen Außenpolitik nieder- schlagen.

Wie sieht nun die weltpolitische Analyse nach der Ford-Reise aus? Selten hat sich die Position einer Großmacht innerhalb eines knappen

Jahres so verschlechtert wie jene der Vereinigten Staaten. Das ist zum Teil selbstverschuldet, weil innenpolitisch bedingt, zum wesentlichen jedoch ein Ergebnis von Faktoren, auf welche die amerikanische Außenpolitik keinen Einfluß hat. Eine Analyse dieser Art muß mit der Dreieckstruktur der Weltmächte beginnen, da alle anderen Bereiche, selbst Rohstoffprobleme, die Großmachtinteressen der Sowjetunion, Rotchinas und der USA nur peri- phär berühren. Sogar ein neues Ölembargo würde zunächst an der Großmachtstellung dieser drei nichts ändern.

Doch scheint sich in den Relationen der großen drei untereinander einiges geändert zu haben. Nicht mehr steht die Tür zwischen Moskau und Peking angelweit offen — ein Zustand, der damals dem Team Nixon — Kissinger den berühmten Pekinger Schachzug ermöglichte und damit die Anerkennung der USA als dritte Großmacht trotz militärischer Erfolglosigkeit in Südostasien. Die Sowjetunion und Rotchina scheinen ihre akuten Konflikte in langfristige Differenzen verwandelt zu haben, was der sowjetischen Außenpolitik den asiatischen Rücken freimacht und es ihr erlaubt, wieder stärker nach Westen und Südwesten zu blicken. Rotchina dagegen profitiert, indem es Zeit gewinnt, den Generationswechsel seines Führungsteams unter relativ spannungsfreien Bedingungen durchzuführen. Für die USA ging aber ein wichtiger Zeitvorteil verloren. In der sowjetisch-chinesischen Spannungsphase hätten die USA ihre Stellung zum neuen Europa und zu Japan neu formulieren können, um dann als gefestigte Großmacht ihre weltpolitische Position nicht bloß taktisch, sondern auch machtpolitisch untermauern zu können. Neben dem erlittenen Zeitverlust durch die neuer- ‘ liehe Annäherung zwischen Moskau und Peking hat aber die arabische Ölpolitik eine Konsolidierung des Westens verhindert. Präsident Ford hat nun in Wladiwostok versucht, den Fuß in die sich schließende Tür zu setzen. Inwieweit das gelungen ist, kann erst die nächste Zukunft lehren. Vor allem bleibt abzuwarten, wie die Sowjetunion nach der Erneuerung des Lippenbekenntnisses zur Detente ihre Beziehungen zur arabischen Welt gestaltet.

Denn auch dort hat sich die Situation grundlegend geändert. Schien die Konsolidierung dieses Raumes nach dem Waffenstillstand im vergangenen Herbst Fortschritte zu machen, so ist durch das Einschleusen der Palästinenser in die Weltpolitik eine neue Situation entstanden. Es geht jetzt nicht mehr um eine Neuordnung des Raumes bei Anerkennung Israels, wenn auch auf reduziertem Raum, sondern um die Existenz Israels schlechthin. Waren es bisher die USA, die in der Lage waren, durch sanfte» Appell an die Vernunft und die Realitäten von Israel Konzessionen, auch territorialer Na tur, zu erreichen, so sind die USA jetzt in eine Frontstellung mit Israel gegen die Araber gedrängt. Kein amerikanischer Politiker kann unter diesen Umständen eine proarabische Politik öffentlich vertreten, weil er der Mitverantwortung an der Auflösung des israelischen Staatswesens beschuldigt werden würde. Wirklich proarabische Töne konnte sich daher in letzter Zeit nur der bereits in den Vorwahlen abgewählte Senator Fulbright leisten.

Die USA haben ihre Position als Mittler zwischen Israel und den arabischen Staaten verloren, weil ein Mittler zu beiden Teilen Distanz halten muß. Eine gemeinsame Frontstellung mit Israel ist durch die Koalition der Dritten Welt mit arabischen Interessen erzwungen worden. Als neuer Makler in diesem Raum gewinnt jetzt die Sowjetunion erhöhte Bedeutung. Sie ist relativ unabhängig vom öl und einer der Hauptlieferanten des begehrten Rohstoffes Dynamit. Heute kann daher nur die Sowjetunion Einfluß im Nahen Osten ausüben und diese Rolle — nicht mehr die Ausreisegenehmigung an jährlich 60.000 Juden — wird in Zukunft der neue Prüfstein des in Wladiwostok abgegebenen Bekenntnisses zur Entspannungspolitik sein.

Denn trotz manifestierter innerer

Schwächen der USA und des übrigen Westens, besitzen die USA die einzigen westlichen Lebensmittelüberschüsse in einer zunehmenden lebensmittelknappen Welt, dazu noch einen erheblichen technischen Know- how-Vorsprung vor der Sowjetunion und der arabisch-afrikanischen Welt.

Hier noch ein Wort zu den Hintergründen der neuen Palästinenserbewegung. Dieses Problem existierte seit der Schaffung des Staates Israel, also seit etwa 30 Jahren. Nie jedoch war es so virulent wie heute, niemals hatten sich die gemäßigten arabischen Staaten hinter die radikalen Ziele der Palästinenser gestellt. Aber gerade die Führer der Gemäßigten, Könige, Scheichs und kleinere Potentaten, beginnen den Fluch der Ölmilliarden zu spüren. Ihre Throne und Positionen beginnen auf dem Meer der übersteigerten Hoffnungen und Erwartungen zu wackeln, denen sich die Massen der noch immer Darbenden und Unterentwickelten im arabischen Raum hingeben. „Wir sind die Reichsten“, mag sich mancher Fellach sagen, „aber ich habe nichts davon.“ Daß unter diesen Massen die Palästinenser das radikalste, revolutionärste Element darstellen, ist bekannt. Wer Kinder hinschlachtet, hat auch keine Skrupel, wenn es darum geht, Könige umzulegen, was König Hussein oder der König von Marokko bestätigen können. So scheint die Bewegung für einen palästinensischen Staat ein gewaltiges Ablenkungsmanöver darzustellen, das früher oder später scheitern oder im Kompromiß enden muß. Eine Auflösung Israels bedeutet den Dritten Weltkrieg — und den wird die Sowjetunion sicherlich nicht Palästinas wegen führen wollen. Früher Oder später wird daher die arabische Einheit zerbrechen, sowohl an der Ölpreisfront als auch

- in der Vertretung der palästinensi- e sehen Interessen nach außen.

Es verbleibt die Frage, ob sich der i Westen doch noch einigen kann — i zumindest in der ölfrage.

Gewöhnlich erzeugt Druck Ge- i gendruck und die extremen Forde- . rungen der Palästinenser haben be-

- reits erste schüchterne proisraelische

- Reaktionen der Westeuropäer her-

- vorgerufen. „So geht das denn doch

- nicht“, war der Tenor der deutschen, i britischen, französischen und anderer _ westeuropäischer Stellungnahmen vor den Vereinten Nationen.

Aber von solchen Äußerungen zur aktiven Teilnahme an der von Kis- Singer angeregten Ölkonsumge- meinschaft ist für Staaten, die um I ihre wirtschaftliche Existenz und fi- I nanzielle Gesundheit bangen, ein weiter Weg. Immerhin besteht aber I diese Organisation und der für ge- I wohnlich kopflose arabische Sturm und Drang wird das Seine dazu bei- I tragen, die disparaten Interessen zu I einigen. Denn es dürfte sich Ulzwi- sehen auch bei den europäischen Opportunisten herumgesprochen ha- I ben, daß selbst Speichellecken — um ■ eine drastischere Formulierung zu I vermeiden — im vergangenen Winter I das Ölembargo nicht beendet hat. Kann man den Würgegriff der Ara- ber nicht, oder noch nicht, durch zu- I sätzliches Energieangebot brechen, I so muß eben die Nachfrage gedros- seit werden. Das mag zwar temporär I zu wirtschaftlichen Rezessionser- scheinungen führen, es bedingt aber zugleich eine Änderung des schran- j kenlosen Konsumdenkens und eine

Rückführung auf das Wirtschaftlich- Essentielle. Es ist zwar ein teurer Preis, um die Inflation herabzudrük- ken, aber es ist jene force majeure, die man im Westen anerkennen muß. Es wird sich auch bald heraussteilen, daß jene Politiker populär werden, die ein gutes Krisenmanagement organisieren können, und daß jene abgewählt werden, die Augen- auswischerei betreiben. So gesehen, mag Präsident Fords Orientreise einen tieferen Sinn haben. Die Gespräche in Tokio haben über den symbolischen Zweck einer Bestätigung der bestehenden Freundschaft hinaus dem Team Ford — Kissinger die Möglichkeit gegeben, Japan an seinen Standort an der Seite der westlichen Nationen zu erinnern und um einen wichtigen Bundesgenossen in der Front der ölkonsumierenden Nationen zu werben.

Es wird sich in Kürze zeigen, ob Japan als ausschließlich konsumierender Industriestaat die Kissinger- Front der Ölkonsumenten verstärken wird oder ob es den französischen Lockungen folgt, die für den bilateralen Weg mit den Ölproduzenten werben und offensichtlich gemeinsam mit den Arabern bemüht sind, eine Schließung der Ölkonsumentenfront zu vermeiden.

In Wladiwostok dagegen wurde Breschnjew darauf aufmerksam gemacht, daß ein von sowjetfeindlichen Kräften dominierter Kongreß heute in den USA entscheiden kann, ob der momentan einseitig zum Vorteil der Sowjetunion geführte Handel im derzeitigen Umfang bestehen bleiben, ausgebaut oder erheblich eingeschränkt werden soll. Denn es ist ein interessantes und heilsames Legat der Nixon-Jahre, daß heute die Kritiker und Feinde der Sowjetunion in der Demokratischen Partei sitzen und daß momentan der vielleicht aussichtsreichste demokratische Präsidentschaftskandidat, Senator Jackson, in seinem Stil und seinen außenpolitischen Ansichten eher an Dulles als an Roosevelt erinnert. Wenn Fords Mahnungen ernstgenommen werden, wenn der Präsident innenpolitisch eine klare und gerechte Politik der Einschränkung verfolgt, könnte er seine Position im Inneren wesentlich festigen und damit auch außenpolitisch breitere Anerkennung finden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung