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Was nun, Uncle Sam ?

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Im Mai 1989 hielt US-Präsident George Bush zwei programmatische Reden. Mitte des Monats verkündete er in Texas das Ende der US-Politik der „Eindämmung“ (Containment) und den Beginn einer Politik der Integration mit dem Endziel „die Sowjetunion wieder in der (demokratischen) Weltordnung zu begrüßen“, und verlangte: „Reißt den Eisernen Vorhang nieder“. Ende des Monats anläßlich eines Besuches in der Bundesrepublik sprach er die obligate amerikanische Forderung auch aus. Seine Vision war nicht ein gemeinsames europäisches Haus ä la Gorbatschow, sondern global: „eine demokratische Heimat - die Gemeinschaft freier Nationen“.

Angesichts der dramatischen Entwicklungen in Osteuropa scheinen Bushs Forderungen auf dem Wege der Verwirklichung zu sein beziehungsweise wirken nahezu schon Uberholt. Man kann sich fragen, inwiefern die amerikanische Außenpolitik zu diesen Veränderungen beigetragen hat, und ob sie, angesichts der Entwicklungen in Ost- und Westeuropa, imstande sein wird, die neuen europäischen Herausforderungen, das heißt die Umwälzungen im Osten und den EG-Binnenmarkt 1992, mitbestimmen zu können.

Rückblickend muß man feststellen, daß die Außenpolitik Ronald Reagans eine nicht zu unterschätzende außenpolitische Wende darstellt, deren Dynamik die Bush-Administration bisher nicht imstande war fort- oder umzusetzen.

Die gängige konservative Auffassung der Errungenschaften der Außenpolitik Reagans ist, daß die Stärke und Konsequenz der konfrontativen Außenpolitik mithalf, die Voraussetzungen für die sowjetischen Reformen zu schaffen. Angesichts der Aussichtslosigkeit des Wettrüstens, das die UdSSR volkswirtschaftlich erheblich mehr kostete als die USA, und die Strukturkrise der sowjetischen Wirtschaft zuspitzte, schlug die UdSSR ab 1985 unter Gorbatschow den sowohl wirtschaftlich notwendigen wie auch politisch vielversprechenderen Weg der Abrüstung und des Dialogs ein. Konfrontation, so meinen die Konservativen, führe zwar zu Kooperation, aber es fragt sich, ob es nicht höchste Zeit für eine „postkonfrontative“ beziehungsweise tatsächlich integrative US-Außenpolitik sei.

Wie anderswo, sind auch die US-Außenpolitiker durch die Ereignisse überrumpelt worden. Das, was man seit Jahrzehnten polemisch gefordert und sehnsüchtig gewünscht hatte, tritt jetzt mit einer Geschwindigkeit ein, die zur Vorsicht mahnt, und jene Vorsicht wird teils mit Konzeptlosigkeit verwechselt, teils durch Konzeptlosigkeit gesteigert.

Die Beziehungen der USA zu Ost-, West- und Gesamteuropa stehen wohl im kommenden Jahrzehnt vor einer Neubestimmung.

Was die UdSSR betrifft, scheinen die außenpolitischen Entscheidungsträger und ihre Berater sich zu sehr mit der Frage beschäftigt zu haben, wie und wann Gorbatschow scheitern wird und was man danach zu tun gedenke, anstatt sich konkret mit den Möglichkeiten neuer Formen der Kooperation auseinanderzusetzen. Der Risikobereitschaft Gorbatschows - auch wenn sie durch Zwänge entstanden ist - stellt die USA nichts Entsprechendes gegenüber. Was die USA

durch eine Nicht-Beschleunigung des Entspannungsprozesses faktisch verlieren konnten, kann bloß vermutet werden. Beim bevorstehenden Gipfel Bush-Gorbatschow am 2. und 3. Dezember vor Malta werden die Pragmatiker der US-Außenpolitik für ein gemäßigtes, nicht entstabilisierendes Vorgehen plädieren und auf verifizierbare Ergebnisse beharren. Es besteht aber die Gefahr, daß diese Haltung der USA von den Europäern als ein Mangel an Entspannungsinitiative interpretiert werden könnte. Auf jeden Fall sind die etablierten Verfechter der „nationalen Sicherheit“ der USA nicht zu großen Sprüngen bereit, solange die Ergebnisse der Experimente im Osten noch offen sind.

Was Osteuropa betrifft, mangelt es derzeit nicht an moralischer, wohl aber an weitreichender finanzieller Unterstützung für die Reformregierungen Polens und Ungarns, wobei man sich nicht dem Vorwurf der „Einmischung“ aussetzen will. Lieber jetzt zu wenig als zu früh zu viel scheint die vorsichtige außenpolitische Devise der USA zu sein; denn wenn Not die Reformbewegungen ausgelöst hat und mitträgt, wie manche US-Beobachter meinen, wäre es verfehlt, sie zu lindern, eher sie - in Form von Reformen -ihre politischen Früchte trägt. Unverkennbar bleibt aber die Tatsache, daß die Lockerung im Ostblock die Existenzberechtigung der NATO in ihrer derzeitigen Form langsam untergräbt; und um so mehr die Wahrscheinlichkeit einer (militärischen) Ost-Westkonfrontation schwindet, desto größer wird das Potential für (außen- und wirtschaftspolitische) Interessenskon-flikte zwischen dem amerikanischen und dem europäischen Westen.

Da Sicherheitspolitik aber noch immer Blockpolitik ist, ist es derzeit kaum vorstellbar, daß entweder die USA oder die UdSSR bereit wären, auf ihren jeweiligen deutschen Bündnispartner zu verzichten. Ob und wie die Wiedervereinigungsdebatte geführt werden soll, bleibt - unabhängig davon, daß nur ein deutscher Staat davon redet -unbeantwortet; aber hierin schlummert die Möglichkeit, daß die Bundesrepublik erstmals ihre nationalen Interessen als nicht konform mit den sicherheitspolitischen Interessen der USA interpretieren könnte. Oder, daß es gar eine westeuropäische Bereitschaft geben könnte, das „europäische Problem“ ohne maßgebliche Beteiligung der

USA lösen zu wollen. Pessimisten neigen dazu, der vor kurzem abgehaltenen außerordentlichen EG-Gipfel über Osteuropa und die Vorstellung einer „EG-Bank“ für Osteuropa als andeutungsreiche Beispiele hierfür zu interpretieren.

Dazu kommt im wirtschaftlichen Bereich ein gewisses amerikanisches Mißtrauen in bezug auf die Freiheit des vorgesehenen EG-Marktes 1992 auf. Die Befürchtung besteht, daß die liberalen Spielregeln der EG-Staaten untereinander womöglich nicht eingehalten werden, wenn es um den Zugang Außenstehender zum 320-Millio-nen-Markt geht. Man redet schon von der „Festung Europa“.

George Bushs Vision einer Gemeinschaft freier Nationen bedarf dringend innovativer kurz- und mittelfristiger Strategien, um die Position der USA in und die Rolle der USA für ein Europa nach dem Ende des Kalten Krieges bestimmen zu können, sonst wird sich die Vorstellung einer Europapolitik ohne die USA breitmachen.

Der Autor ist Associated Director des Institutes für Europäische Studien in Wien.

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