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Wiener Europa

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Retrospektives Denken feiert im Europa der Umbrüche fröhliche Urständ. Hinter der Begegnung Bush-Gorbatschow am 2. und 3. Dezember vor Malta sieht man ein neues Jalta heraufdämmern. Der Freiheitsprozeß im zweiten Deutschland wird mit Ängsten vor einer „Wiedervereinigung“ und der Schreckensvision eines „Vierten Reiches“ begleitet. Nationaler Eigensinn dominiert die europäische Integration.

Kaum vernehmbar hat in diese Situation hinein Ungarns Außenminister Gyula Horn von der Ablösung Jalta-Europas durch das Wiener Europa gesprochen: Mitden Wiener KSZE-Konferenzen werde das alte Europa aufgehoben.

Der Koordinator der Wiener Verhandlungen, Botschafter Rudolf Torovsky - „Ich bin sehr vorsichtig mit kecken Bewertungen“ - konstatierte gegenüber der FURCHE eine Aufbruchsstimmung in Europa, die bei den Abrüstungsgesprächen bereits „positiven Niederschlag“ gefunden habe. „Wir befinden uns auf einem vielversprechenden Weg zu einer substantiellen Abrüstung auf konventionellem Gebiet in Europa.“ Grund dafür ist das „zunehmend konzeptionelle, fast philosophische konvergenzdenken der Gesprächspartner“ (Torovsky). Ein in Ansätzen spürbares Abgehen vom Blockdenken erleichtere zwar nicht immer das Gespräch, fordere aber jede Gruppe (es verhandeln hier die 23 paktgebundenen Staaten) zu neuem Denken auf.

Trotz dieser Vision von einem neuen, erweiterten, blockunabhängigen Europa drängt Österreich vehement ins EG-Europa. Die Avancen seitens der EG gegenüber der DDR haben Österreich aufgerüttelt.

Österreichs Außenpolitik reagiert aber ohne Angst. Außenminister Alois Mock vertrat gegenüber der FURCHE die Auffassung, daß die EG (so übrigens auch ihre Eigendefinition) eine für demokratische

Länder offene Gemeinschaft sein solle. Die Aussagen von EG-Kommissionspräsident Jacques Delors zur DDR sollten also nur als positive Gesten gegenüber den Vorgängen und den Bürgern in der DDR verstanden werden. Wenn Delors damit den offenen EG-Charakter unterstreiche, dann könne dies Österreich nur willkommen sein. Im übrigen sei die DDR „noch lange kein demokratisches Land“.

Der Generalsekretär im Außenamt, Thomas Klestil, sieht durch die Umwälzungen in Europa die Richtigkeit von Österreichs bisheriger Außenpolitik voll bestätigt: „Zu einer Zeit, als es noch Boykottüberlegungen gab, als viele nur die

Mauer sahen, haben wir in aktiver Nachbarschaftspolitik eine Öff-nungs- und Kooperationspolitik gegenüber Osteuropa neben der EG-Integrationspolitik betrieben.“

Mock unterstreicht noch, daß diese zwei Säulen bestehen bleiben. Österreichs Außenpolitik habe jetzt aber mehr Wirkmöglichkeiten bekommen. Die Vorbildfunktion Österreichs in vielen osteuropäischen Ländern bedeute den Ausbau der Dialog- beziehungsweise Brückenfunktion des Landes (übrigens sollte nach Auffassung der renommierten „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ auch die Bundesrepublik Deutschland diese Funktion vermehrt wahrnehmen).

Bei aller Sympathie für eine regionale Kooperation zwischen Ungarn, Jugoslawien, Italien und Österreich - wie sie unlängst in Budapest von den Vize-Regierungschefs und Außenministern der vier Länder vereinbart wurde - sei dies, so Klestil, „nicht der Platz, wo Österreichs Zukunft liegt“. Dieser Platz sei für das demokratische Österreich, das nicht irgendwo im ideologischen Niemandsland angesiedelt, sondern ein westlich orientierter Staat sei, in der EG.

„Was gibt es der Sachertorte vergleichbares in Brüssel?“ fragt dazu diese Woche der Londoner „Economist“ und ortet eine „Instandsetzung Mitteleuropas“ beim Budapester Vier-Länder-Treffen.

Allerdings ist keine Trendwende, keine verklärte Nostalgie, sondern eine Erweiterung der österreichischen Außenpolitik angesagt. Das übersehen viele politische Kommentatoren, die in die Geschichte verliebt sind; aber auch jene, die -wie der BBC-Moderator Alexander Macleod -, offenbar unbeleckt von der Geschichte, in Österreichs Neutralitätspolitik nur eine Funktion sowjetischer Außen- und Sicherheitspolitik sehen.

Österreich versteht seine Mittlertätigkeit zwischen Osteuropa und der EFTA einerseits und dem Europarat andererseits als durchaus politische Aufgäbe, „wenngleich das“ - so Mock - „nur vorübergehende Funktionen sind, die jetzt aber zahlreicher werden“.

Die europäischen Veränderungen haben das österreichische Selbstbewußtsein nicht beeinträchtigt. Mock fordert selbstbewußtes Herangehen an die weiteren EG-Verhandlungen, ein Agieren auf der Grundlage eines neuen Patriotismus.

Vielleicht werden Bush und Gorbatschow bei ihrer Begegnung vor Malta einen KSZE-Gipfel vorschlagen und damit jene Kräfte bestätigen, die in die Zukunft Europas schauen. Zur Bewältigung der europäischen Probleme sind mittlerweile alle Europäer herausgefordert: Die dafür notwendige Solida--rität darf nicht nur von denen immer wieder eingefordert werden, die das Sagen in Europa an sich reißen, sondern muß gemeinsam - mit Rechten und Pflichten, Mitdenken und Mitentscheiden - von allen - ob Ost oder West, ob Helfer oder Hilfeempfänger-geleistet werden. Das einzubringen, muß Aufgabe künftiger österreichischer Außenpolitik sein.

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