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Österreich darf sich nicht seiner Kleider entledigen

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FURCHE: Die Situation der UNO in Wien sieht negativ aus. Warum?

PETER JANKO WITSCH: Ich halte die Lage für sehr ernst. Wir müssen uns im klaren sein, daß die seinerzeitige automatische Österreich-Freundlichkeit vorüber ist. Was immer man über Altbundespräsident Kurt Waldheim sagen kann, bei der UNO war er - in Zusammenarbeit mit Bruno Kreis-ky - unser großes Asset. Heute müssen wir uns diese Sympathiewerte neu erkämpfen. Wir beginnen von vorne. Für UNO-Generalsekretär Boutros Ghali spielt Österreich im Nahostkonflikt keine bedeutende Rolle mehr. Und dann passieren noch solche Sachen wie mit dem Gesetz übers Tropenholz, das uns fast einen Handelsboykott seitens Malaysias eingebracht hätte, oder das Nein Österreichs zu einer Beteiligung an einer UNO.-Aktion in Somalia. Momentan war die Entscheidung vielleicht richtig, aber auf lange Sicht schadet sie uns. Österreichs Bild ist schwankend, unscharf geworden.

FURCHE .Aber gerade das UNO-Engagement ist für Österreich doch wesentlich.

JANKOWITSCH: Vor kurzem haben wir das Budget fürs Außenministerium beschlossen. Praktisch sind alle freiwilligen Beiträge an internationale Organisationen gekürzt worden. Die Aktivität eines Landes wird nicht an Lippenbekenntnissen, sondern daran gemessen, welche Beiträge man leistet. Das alles sollte Anlaß sein, diese Politik zu überdenken und neue Aktivitäten zu entwik-keln. So sollten schon längst Emissäre der Stadt Wien in aller Welt unterwegs sein, um wieder ein bißchen Propagandawind für die Stadt zu machen. Als Beispiel habe ich Genf vor Augen, das derzeit eine gigantische Kampagne führt, weil es Umwelthauptstadt der Welt werden will. 20 Diplomaten sind momentan unterwegs - wer macht das für Wien?

FURCHE: Was ist der Grund für diese Inaktivität?

JANKOWITSCH: Das ist eine allgemein zu beobachtende, in Österreich besonders grassierende Krankheit: Wir leben in einer Phase der Nabelbeschau. Der Reiz, sich mit den Nachbarn zu beschäftigen, ist derzeit besonders groß. Wir müssen uns natürlich mit Kroaten und Slowaken auseinandersetzen, aber bitte nicht unter Ausschluß des Restes der Menschheit, sonst bleiben wir übrig mit ein paar Freunden in Bratislava und Zagreb. Das ist verheerend.

Es gibt 50 afrikanische Staaten, man könnte sagen, sie sind unbedeutend und korrupt, aber in ihrer Masse stellen sie schon etwas dar. Und wieviele afrikanische Botschaften gibt es noch in Wien? Zwei. Deswegen ist auch die Attraktivität Wiens als Konferenzstadt beträchtlich zurückgegangen. Niemand geht gerne in eine Stadt, in der er sich nicht vertreten fühlt.

FURCHE: Entsprechen wir nicht der Rolle, in derwir uns gerne sehen?

JANKOWITSCH: Man muß globales Profil zeigen...

FURCHE: Wir haben eben regionales Profil gezeigt.

JANKOWITSCH: Ja, das ist anerkennenswert, aber es genügt nicht. Wir haben zum Beispiel auch aus unserem Sitz im Sicherheitsrat zu wenig gemacht. Na gut, wir haben für Bosnien gekämpft, das ist sehr gut, aber letztlich ist die Zeit der Mitgliedschaft nicht so genützt worden, wie man das hätte tun können.

FURCHE: Also weg von Zentraleuropäischer Initiative, die Ende vergangener Woche unter Außenminister Mock in Graz wieder ein kräftiges Lebenszeichen gab?

JANKOWITSCH: Schaun Sie, das ist keine Außenpolitik. Die UNO hat 180 Mitglieder. Das ist eine riesige Sache. Und die UNO war immer der Ort, wo wir uns der Welt dargestellt haben - das geht nicht, indem wir ununterbrochen von Bosnien reden. Keine Frage, das ist wichtig. Aber wo bleibt Somalia, wo Zentralamerika, Kambodscha oder Afghanistan? Jetzt hat die Regierung 500.000 Schilling an Flüchtlingshilfe für Afghanistan mit Ach und Krach genehmigt. Wir hätten aber Chancen, gewisse Entwicklungsaufgaben zu übernehmen.

FURCHE: Hinsichtlich der EG hat man den Eindruck, daß Österreich aber auch wirklich alles zu tun gedenkt, was Brüssel verlangt.

JANKOWITSCH: Ich bin ein überzeugter Anhänger der Integration. Aber ich halte es für sehr fragwürdig, ob wir, so wie bisher, jede Bewegung in der EG mitmachen müssen. Konkret: Maastricht ist heute in der EG eine ungemein kontroversielle Sache. Ich frage mich, ob es gescheit ist, sich total auf Maastricht einzuschießen. Es kommt vielleicht gar nicht so - und wir haben uns schon unserer Kleider entledigt.

Das Bekenntnis zur EG ist eine Sache, aber der vorauseilende Gehorsam geht mir zu weit. Man muß der EG schön langsam begreiflich machen, daß sie mit dieser Strategie nicht vorankommt. Die halten uns ja zum Narren. Das Europa-Parlament hat eine Resolution beschlossen, erst muß Maastricht ratifiziert und das Delors-Paket angenommen sein, bevor Verhandlungen aufgenommen werden. Worüber soll man dann noch verhandeln? Und das sind immer dieselben, die uns ins Gesicht sagen, Österreich sei ein natürliches Mitglied der EG, und hinter unserem Rücken flüstern, daß zwölf eigentlich eine ganz gute Zahl ist und man uns gar nicht braucht.

FURCHE: Will die EG Ihrer Meinung nach eigentlich wirklich erweitern?

JANKOWITSCH: Es gibt nach wie vor eine Schule, die das nicht will. Dabei bildet der Europäische Wirtschaftsraum ein großes Problem. Denn wenn es keine EG-Mitgliedschaft gibt, dann ist der EWR-Vertrag in dieser Form auf Dauer unerträglich. Der Zwang, jede Norm nachzu-vollziehen, ist unerträglich. Das kann man ein paar Jahre machen, auf Dauer nicht.

FURCHE: Was erwarten Sie von Österreichs EG-Politik?

JANKOWITSCH: Wir sind ein zu gefügiger Partner geworden - und das erfüllt mich mit zunehmendem Unbehagen, weil's gar nicht honoriert wird.

FURCHE: Man hat den Eindruck, jede EG-Erklärung Österreichs wird in Brüssel dankbar zur Kenntnis genommen - aber es tut sich nichts.

JANKOWITSCH: Absolut nichts. Es kommt höchstens einer und sagt, gut, aber ihr müßt noch mehr machen. Man muß selbstbewußter auftreten, Österreich hat seinen Preis. Die EG lebt ja von ihrer Attraktivität. Was wäre, denke ich mir, wenn einmal Beitrittsansuchen ausblieben? Österreich sollte signalisieren, daß man es nicht so leicht haben wird. Die Mehrheit der Bevölkerung sieht das ja zunehmend differenzierter. Man müßte der EG sagen: Leutl, spielt's euch nicht.

FURCHE: Neben aller berechtigten EG-Hoffnung gibt's aber auch Angst vor einem Identitätsverlust.

JANKOWITSCH: Das hängt davon ab, wie man an die EG herangeht. Sprache und Kultur kann uns keiner nehmen. Die Erhaltung der Identität hängt davon ab, wie man seine Rechte verteidigt. Das sind zum Teil immaterielle Werte - aber man muß eine klare politische Linie verfolgen, indem man sagt, daß manche Dinge für uns unverzichtbar sind. Dazu gehört eine gewisse Autonomie in den auswärtigen Beziehungen, auch Eigenheiten der österreichischen Gesellschaft wie Föderalismus, Gemein-de-Autonomie, bestimmte Ausdrucksformen der Sozialpartnerschaft, der Art, wie wir hier zur Meinungsbildung kommen. Das alles darf nicht verloren gehen.

FURCHE: Neutralität würden Sie nicht dazu zählen?

JANKOWITSCH: Würde ich sehr wohl, natürlich eine gewandelte, den heutigen Zeiten entsprechende. Ursprünglich war Neutralität das, was die Schweizer gemacht haben. Heute ist Neutralität auch das, was wir machen, also Neutralität nicht im Sinne von stillsitzen. Eigentlich paßt der Begriff nicht mehr: es handelt sich dabei um Humanität, Solidarität, sicher auch Gewaltfreiheit, Dialog, Ausgleich, um den Vorzug von politischen vor militärischen Mitteln ; deswegen höre ich auch nicht gerne, wir müssen in Bosnien einmarschieren, das ist nicht unser Stil. Also, das müssen wir in die EG einbringen können. Wenn ich gezwungen würde, einem Militärbündnis beizutreten, ginge das nicht.

Und wir gewinnen nur Achtung in der EG, wenn wir dieses Profil aufrecht erhalten. Schlimm ist das Verwaschene, wenn man nicht weiß, wofür dieses Österreich steht. Auch die künftige EG wird immer ein Europa der Vaterländer bleiben.

FURCHE: Eine NATO-Mitgliedschaft ist nicht erstrebenswert?

JANKOWITSCH: Alle Funktionen, die die NATO hat, sind für uns entbehrlich oder können wir auf andere Art bewerkstelligen. Ganz abgesehen davon, daß wir unser Verteidigungsbudget verdreifachen müßten. Warum sollten wir soviele Panzer kaufen, wo ist die Gefahr? Aus einigen Ecken des Koalitionspartners wird so eine Sicherheitshysterie erzeugt. Es kann natürlich ethnische, nationale Konflikte geben, aber nie in der Geschichte sind solche nach außen getragen worden. Und selbst wenn das Unglück passieren und Serben und Albaner im Kosovo kämpfen sollten, wird sich das nicht in der Steiermark abspielen. Das ist ja unsinnig. Da spricht man von Bedrohung und fragt, wer könnte uns beschützen: natürlich die NATO. Dabei ist die NATO noch viel hermetischer zu als die EG. Die sagt ja ehrlich, daß sie keine neuen Mitglieder will, weil in der NATO ja Beistandspflicht herrscht. Dabei hat sie im eigenen Bereich alle Hände voll zu tun und will keine neuen Verpflichtungen.

Auszüge eines Gespräches von Franz Gansrig-ler mit Außenminister a.D. Peter Jankowitsch.

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