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Keine Zahlmeister

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Gerade in dem Augenblick, in dem mit Außenminister Walter Scheel die Bundesrepublik Deutschland die Präsidentschaft im EG-Ministerrat übernahm, ist das Verhältais zwischen der Bundesrepublik und der EG in eine kritische Phase getreten. Die Verhandlungen über den sogenannten Europäischen Regionalfonds, mit dem wirtschaftlich schwach entwickelte Gebiete der EG gefördert werden sollen, haben zwischen etlichen EG-Mitgliedsländern und der Bundesrepublik eine Kluft entstehen lassen.

Ungeschicktes Taktieren des deutschen EG-Kommissars Haferkamp, eine zunächst auch sonst nicht eindeutige bundesdeutsche Haltung in der Frage des Regionailfonds, aber auch überhöhte Erwartungen und Hoffnungen auf britischer Seite haben dazu geführt, daß die Bundesrepublik mit ihrer etwas überraschenden Härte bei der Festsetzung der Höhe der finanziellen Beteiligung der EG-Mitgliedsländer am Regionalfonds ein Zerwürfnis mit ihren Partnern herbeiführte.

Staatssekretär Hans Apel, der durch seine offene und harte Verhandlungsführung für Aufsehen sorgte, ließ erkennen, daß die bundesdeutsche Geduld mit der EG an ein Ende gekommen war: „Wir können nicht länger die Zahlmeister Europas sein!“

Der konkrete Anlaß für die Belastungsprobe der Europäischen Gemeinschaften spielt dabei eine relativ geringe Rolle. Willy Brandt hat denn auch lakonisch gemeint, über dem vorläufigen Nichtzustandekom-men des Regionalfonds werde die EG nicht zerbrechen. Bonn ist ohnedies beredt, die Höhe seiner Zahlung für diesen Fonds, der nach deutschen Vorstellungen vor allem den Notstandsgebieten Großbritanniens,Italiens und Irlands zugute kommen soll, zu verdoppeln.

Entscheidend an dem Streit um den Regionalfonds ist aber, daß an ihm sichtbar wird, daß auch in der Bundesrepublik der Impetus der Baager EG-Konferenz von 1969, bei der Willy Brandt mit einem klaren Bekenntnis zur europäischen Einigung den Durchbruch schaffte, im Schwinden begriffen ist. Brandt war damals mehrfach zu einer deutlich pro-europäischen Politik motiviert.

Die neue Ostpolitik mußte, sollte sie nicht als skeptisch und ängstlich betrachtete bundesdeutsche Annäherung an Moskau verstanden werden, mit einer starken Betonung der westeuropäischen Bindungen der Bundesrepublik abgesichert werden.

Auch die Neuordnung des Verhältnisses zu den USA konnte nur im Verein mit den westeuropäischen Partnern geschehen. Dazu kam, daß Brandt als ein „Adenauer der Ostpolitik“ nicht dessen Westpolitik aufgeben wollte. Auch sollte damals demonstriert werden, daß die erstmals an die Macht gekommenen bundesdeutschen Sozialdemokraten keine schlechteren Europäer seien als die Konservativen, die die westeuropäische Einigung nach dem Krieg mit Erfolg betrieben hatten.

Inzwischen ist in der Bundesrepublik angesichts der Krise in der Ostpolitik und des Energiemangels und damit drohender Probleme in der Wirtschaft, eine reserviertere Haltung gegenüber der EG eingekehrt. Vor allem der Nahost-Krieg und die Erdölkrise haben eine Umkehr, wenn auch noch lange keine Abkehr, bewirkt.

Ein nüchterner junger Politiker, dem in der Europafrage jede Schwärmerei abgeht, betrat für die Bundesrepublik die Brüsseler Bühne: Hans Apel. Mit seinem Wort von den bundesdeutschen EG-Zahlmeistern und seinen Auslassungen über die geringe Effizienz der EG-Behörden und Spitzengremien, mit einer unerbittlichen Verhandlungsweise gegenüber dem britischen Außenminister Douglas-Hame signalisierte er die neue Linie.

Er kann sich dabei nicht nur der Unterstützung durch die Bonner Regierung sicher sein, sondern auch der Zustimmung weiter Bevölkerungskreise.

Leichtgemacht wird den bundesdeutschen Pragmatikern in der Europafrage ihr Vorgehen durch die Haltung einiger anderer EG-Länder, vor allem Frankreichs. Während noch hie und da die neue Linie Bonns in Brüssel kritisiert wurde und CDU/CSU-Oppositionschef Carstens Apel wegen seiner „rüden Verhandlungsmethoden“ kritisierte,platzte die Bombe von Frankreichs Freigabe des Franc-Wechselkurses. In diesem Augenblick stand die Bundesrepublik trotz ihrer neuen Zurückhaltung in EG-Fragen noch immer als harter Kern der europäischen Einigung da.

Die sich immer öfter in Alleingängen dokumentierende Eigensucht der anderen EG-Staaten erlaubt es der Bonner Regierung, auch innenpolitisch ihren neuen Kurs ohne große Gefährdungen zu steuern. Der Oppositionsvorwurf, die SPD-FDP-Koalition nehme es mit der Europa-Treue nicht ernst, verliert angesichts der europäischen Treulosigkeit anderer Staaten an Schärfe.

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