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Wir sind Europa, aber müssen wir in die EU?

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„Nachlesen statt nachre- den“, so die Aufforderung von der Plakatwand, sich über den EU-Beitritt angemessen zu informieren, selbstverständlich im „Buch II“ der Bundesregierung. Aber - ist, wer nachliest, auch informiert?

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„Nachlesen statt nachre- den“, so die Aufforderung von der Plakatwand, sich über den EU-Beitritt angemessen zu informieren, selbstverständlich im „Buch II“ der Bundesregierung. Aber - ist, wer nachliest, auch informiert?

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Zur Kennzeichnung der von der Bundesregierung aufgelegten Information: ein handliches, etwa A5-formatiges Buch, 279 Seiten, ein verständlicher Text, farbige Graphiken, einige Bilder, drei Hauptteile: Ein Abschnitt, um die Gemeinschaft zu kennzeichnen, einer um, die Folgen eines EU-Bei- tritts für Österreich abzustecken und eine Art „Europa-Lexikon“.

Beim Lesen der Einleitung fällt mir der Satz auf: „Die Einschränkung des Entscheidungsspielraums Österreichs durch einen Beitritt zur EG wird durch die Möglichkeit der Mitbestimmung in den EG-Institu- tionen weitgehend wettgemacht.“ Eine starke, interessante Aussage: Hinter ihr muß ein ziemlich umfassendes Abwägen von vielfältigen Gegebenheiten stehen. Ich suche im Inhaltsverzeichnis nach näheren Ausführungen - leider umsonst.

Damit ist aber jedenfalls der tjmi- sche Zugang des Werkes zur Behandlung der EG-Problematik gekennzeichnet: nicht zu viel Argumention, dafür aber viel Zuversicht, was die positiven Folgen des Beitritts anbelangt.

Ich blättere weiter: „Nach der Vollendung des Binnenmarkts soll die EG daher stufenweise zu einer Wirtschafts- und Währungsunion ausgebaut werden. Gleichzeitig soll es aber auch zu einer Vertiefung der politischen Zusammenarbeit kommen.“ Damit wird ausgesprochen, was EG- Stoßrichtung ist: die Ausbildung einer Wirtschaftsunion.

Alles andere ist ein - vielleicht notwendiges, vielleicht zustandekommendes - Beiwerk. Es geht nicht vorrangig um Europa, an dem wir „gemeinsam“ bauen oder aus dem wir „einsam“ ausgeschlossen bleiben. Die Verwendung dieser Begriffe ist reines Marketing, das auf unseren Gefühlen Klavier spielt.

Bei der Darstellung der EG-Insti- tutionen wird auf kritische Aspekte der Bürokratisierung und mangelnde parlamentarischen Kontrolle überhaupt nicht hingewiesen. Also suche ich entsprechendes im Abschnitt „Abbau des Demokratiedefizits“. Da lese ich zwar, daß die nationalen Parlamente Kompetenzen verlieren, daß das EG-Parlament

den EG-Ministerrat nur teilweise kontrolliere, daß es direktdemokratische Einrichtungen überhaupt nicht gebe, was alles eher bedenklich ist.

Aber die Beruhigung folgt auf dem Fuß: Der Maastricht-Vertrag verbessere das, heißt es. Das europäische Parlament werde gestärkt. Fragt sich nur: Was darf es dann? Reicht das? Man erfährt es nicht.

Dafür noch eine Beruhigung: die europäischen Regionen würden Mitspracherechte bekommen. Aber welche? Wird das nicht die staatlichen Einrichtungen schwächen? Fragen, die unbeantwortet bleiben.

Die fettgedruckten Worte auf dieser Seite wecken positive Assoziationen: Subsidiarität, Transparenz, mehr Bürgernähe, Schutz der kulturellen Identität…

(S. 52f) Wird Österreich für die Durchsetzung all dessen sorgen können?

Im Abschnitt „Österreich und die EU“ erfahre ich, daß wir einen EG- Kommissar, vier Stimmen im Rat und zwischen 20 und 25 im EG-Parlament haben werden. Welchen Stellenwert das ergibt, ist nicht ersichtlich. Erst ein Blick in den Anhang zeigt, daß unser Einfluß sich in engen Grenzen halten wird: Im EG-Parlament werden rund 540 Abgeordnete (Gewicht 1 zu 20) und in der Kommission 17 Mitglieder (Gewicht 1 zu 18) sitzen - viel Einfluß ergibt das nicht.

Szenenwechsel: Locker wird

Österreichs Nettobeitrag an die EU von 13 Milliarden Schilling weggesteckt: „Bei einem EG-Beitritt hat Österreich einen ,Mitgliedsbeitrag1 zum EG-Gesamthaushalt zu entrichten. Nach… Berechnungen liegt dieser Beitrag auf Basis 1992 jährlich bei rund 27 Milliarden Schilling. Davon werden… 14 Milliarden Schilling wieder zurückfließen… Den Budgetbelastungen stehen aber auch Entlastungen gegenüber, so etwa bei staatlichen Subventionen, durch die Verbilligung der Kreditzinsen und die Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens.“

Wie EG-freundlich das „Informationsbuch“ ist, merkt am besten, wer die Zusammenfassung des Kapitels über die Landwirtschaft liest: „Als EG-Mitglied • erhält Österreichs Agrarwirtschaft freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Gleichzeitig wird der eigenständige agrarpolitische Spielraum Österreichs geringer. Die Öffnung des Österreichischen Markts für EG-Agrarprodukte wird zu mehr Wettbewerb führen und eine Verbilligung der Betriebsmittel und Vorleistungen nach sich ziehen. Die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse werden sinken, als Ausgleich sollen die Bauern

direkte Einkommenshilfen und zusätzliche Strukturförderungen erhalten…“ Klingt harmlos. Man merkt kaum, daß es hier um die wirtschaftliche Zukunft von -zigtausend Österreichern geht?

Rosig wird die Zukunft auch auf dem sozialen Sektor gemalt: „Österreich bleibt auch im Falle einer EG- Mitgliedschaft für seine Sozialpolitik selbst verantwortlich. Das hohe Niveau unserer Sozialstandards bleibt erhalten, in einigen Bereichen wird es auch zu Verbesserungen kommen….“ Kein Gedanke wird darauf verschwendet, daß in einem großen Raum mit Freizügigkeit, die Unternehmen langfristig dorthin übersiedeln, wo die Kosten günstig, also

auch die Sozialstandards

nicht so hoch sind.

Und ähnlich „blauäugig“ wird das Thema Umwelt abgehandelt. Zwar wird zugestanden, daß die EG auf diesem Sektor nachhinkt, höhere Standards am Veto einzelner Staaten scheitern. Aber sofort wird auch in dieser Frage schöngefärbt: Umweltschutz genieße hohe Popularität in der EG; diese sei „Vorkämpferin grenzüberschreitender und effizienter Maßnahmen“; mit dem Inkrafttreten des Maastricht-Vertrages werde alles besser, denn dann werde in Umweltfragen mit qualifzierter Mehrheit entschieden…

Die EG selbst scheint da kritischer zu sein. So liest man im Task-Force- Report „Umwelt und Binnenmarkt“: „Ohne starken politischen Willen und ohne ein Umdenken in den bisher gültigen Wirtschaftsmechanismen wird der schrankenlose Binnenmarkt mit einem schmutzigen Wachstum verbunden sein.“

Daß dies nicht aus der Luft gegriffen ist, kann man aus den EG- Plänen, weitere 12.000 Kilometer Autobahnen zu bauen, schließen. Brüssel rechnet nämlich bis 2010 mit einer Verdoppelung des LKW- Verkehrs. Auch in dieser Frage tritt „Das Buch II“ leise: „Österreich kann durch eine konsequente Umweltschutzpolitik ein Umdenken in der europäischen Verkehrspolitik bewirken,“ heißt es optimistisch. Zum Wie - keine Details. Dafür aber: „Ein reibungsloses Funktionieren des europäischen Warenaustausches wird unser Land aber nur dann garantieren können, wenn wir auch die Bedürfnisse des gemeinsamen Bin- nemarkts nach freiem Verkehrsfluß akzeptieren.“

Echte Auseinandersetzung ist das nicht. Wer „Das Buch II“ liest, erkennt aber eines: Nachlesen ist nur dann besser als Nachreden, wenn die Lektüre gediegene Information bietet. Leider ist dies aber nicht der Fall. So bleibt der seichte Slogan „Nachlesen, statt nachreden“.

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