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„Wer in die EG will, muß auch Maastricht akzeptieren"

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An „Maastricht" scheiden sich zur Zeit die Geister. So heftig wie jetzt wurde selten in der Öffentlichkeit über die Einigung Europas diskutiert. Martin Bangemann, ehemaliger deutscher Wirtschaftsminister (FDP) und derzeitiger Vizepräsident der EG-Kommission, beschreibt Zukunftsperspektiven der „EG nach Maastricht".

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An „Maastricht" scheiden sich zur Zeit die Geister. So heftig wie jetzt wurde selten in der Öffentlichkeit über die Einigung Europas diskutiert. Martin Bangemann, ehemaliger deutscher Wirtschaftsminister (FDP) und derzeitiger Vizepräsident der EG-Kommission, beschreibt Zukunftsperspektiven der „EG nach Maastricht".

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Was hat sich mit dem Vertrag von Maastricht in der Europäischen Gemeinschaft geändert? Vieles. Nicht nur, daß es eine Wirtschafts- und Währungsunion sowie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik geben soll. „Maastricht" steht auch für eine massive Europa-Skepsis. Die Stimmung der EG-Bürger ist anders geworden. Früher hieß es immer: „Die Völker wollen das gemeinsame Europa. Die Politiker müssen es vorantreiben." Jetzt hat sich der Wunsch schon umgekehrt. Die Ablehnung der Dänen zum Vertrag hat gezeigt, daß es auch ein „Nein Danke" zu ausgefeilten Plänen der Europa-Politiker geben kann. Ganz Europa blickt daher gespannt nach Frankreich, wo kommendes Wochenende in einem Referendum ebenfalls über das Vertragswerk von Maastricht abgestimmt wird.

In Brüssel ist man zuversichtlich, daß die Ablehnung des Vertrages nicht das Ende der Integration bedeutet. Der Grund für diese Zuversicht ist wohl, daß der Gang der Geschichte unbeirrt weitergeht, daß der Einigungsprozeß schon so weit fortgeschritten ist, daß ein Rückfall nicht mehr möglich ist.

Auch für Martin Bangemann ist die derzeitige Euro-Skepsis kein unlösbares Problem. Man habe schon viele Krisen in der EG überstanden, meinte er gegenüber der FURCHE. Er sieht in der derzeitigen Krisenstimmung sogar einen positiven Aspekt: „Wir

Europäer können jetzt lernen, miteinander umzugehen und einander zu verstehen". Vieles, was bisher unausgesprochen blieb, kommt jetzt zur öffentlichen Diskussion.

Die halbjährlichen Umfragen der EG-Kommission zeigen aber auch, daß sich die EG-Bürger zunehmend uninformiert fühlen (siehe FURCHE 37/1992). Müßten die Politker nicht auch ihre eigene Aufklärungsarbeit kritisch überdenken?

Das sei schwierig, gab sich Bangemann der FURCHE gegenüber sorgenvoll. Vor allem deshalb, „weil uns Politikern offensichtlich niemand mehr glaubt". Allerdings liege der Grund für das wachsende Mißtrauen

Umfragen zufolge meinen bis jetzt erst 38 Prozent der Österreicher, sie seien bezüglich der EG gut informiert und nur 31 Prozent sind der Ansicht, der EG-Beitritt sei eine gute

Sache. Die Befürworter innerhalb der EG-Bewerber haben also noch eine erhebliche Überzeugungsarbeit zu leisten, wenn sie die Bürger ihrer Länder überzeugen wollen.

wohl nicht so sehr an den Politikern, sondern an den Bürgern. „Die Europa-Integration hat jetzt einen Punkt erreicht, wo die Lebenssphären der Menschen betroffen sind, da werden sie eben skeptisch."

Keine Krisenpläne

Hat die EG-Kommission trotzdem schon vorgesorgt für den Fall eines Nein der Franzosen? Daß es dafür schon fertige Krisenpläne gibt, stellt Bangemann im FUR-CHE-Gespräch in Abrede: „Wir haben darüber keine Überlegungen angestellt, weil wir von einem Ja überzeugt sind". Wenn die Abstimmung dennoch negativ ausgeht? „Dann werden wir zunächst einmal gar nichts tun, sondern eine Denkpause einle-gen.

Daß eine Ablehnung auch die Situation des Beitritts-Kandidaten Österreich erschweren würde, schrieb Bangemann auch gleich jenen heimischen Politikern ins

Stammbuch, die sich auf ein Scheitern Hoffnungen machen: „Wer glaubt, die Beitrittsverhandlungen werden bei einem Nein der Franzosen leichter, der irrt." Denn dann werden sicher in der EG diejenigen Aufwind bekommen, die ohnehin einer Erweiterung skeptisch gegenüberstehen. Damit versetzte Bangemann diesbezüglichen heimischen Überlegungen einen Dämpfer. Brüssel wird von seinen anspruchsvollen Plänen keine Abstriche machen, die wir Österreicher für unsere Beitrittverhandlungen nutzen könnten. Diesen Eindruck erweckte jedenfalls der Vizepräsident.

Nach dem Willen einiger Beteiligter soll Europa ein Bundesstaat werden. Einigung wurde darüber in Maastricht nicht erzielt, weil einige Länder strikt dagegen sind. Wenn aber der Vertrag in Kraft gesetzt wird, dann wird man schon bald mit einem neuen Anlauf in Richtung Europäischer Bundesstaat rechnen müssen. Denn im Vertrag steht, daß in wenigen Jahren die nächste Verfassungsreform vorgesehen ist.

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