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DAS EG-RECHT -EIN MOTOR FÜR DIE FRAUEN

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Was bringt der EG-Beitritt den Frauen? Wo haben sie von den Auswirkungen des Gemeinsamen Marktes Nachteile/ Vorteile zu erwarten? Existieren überhaupt Bereiche, in denen die EG-Zukunft für Frauen anders aussieht als für Männer? Gefährdete Frauenarbeitsplätze, Wegfall des NachtarbeitsVerbots, höhere Grenzwerte im Umweltschutz, eine laxere Lebensmittelkennzeichnung sind einige der Aspekte, die hier diskutiert werden.

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Was bringt der EG-Beitritt den Frauen? Wo haben sie von den Auswirkungen des Gemeinsamen Marktes Nachteile/ Vorteile zu erwarten? Existieren überhaupt Bereiche, in denen die EG-Zukunft für Frauen anders aussieht als für Männer? Gefährdete Frauenarbeitsplätze, Wegfall des NachtarbeitsVerbots, höhere Grenzwerte im Umweltschutz, eine laxere Lebensmittelkennzeichnung sind einige der Aspekte, die hier diskutiert werden.

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Seit dem österreichischen Antrag auf Mitgliedschaft vergeht kein Tag ohne Berichterstattung über die Europäische Gemeinschaft. Vom 17. Juli 1989 bis heute wurden wir ausführlich über die vier Freiheiten - den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital - innerhalb der Gemeinschaft, über Kartellrecht und Handelsverflechtungen informiert. Von Sozialpolitik lasen wir wenig, von der Gleichstellungspolitik zwischen Mann und Frau kaum etwas, von den Auswirkungen des B innenmarktes auf Frauen gar nichts. Dieses Informationsdefizit ist kein Zufall, denn erst in den letzten Jahren hat die Europäische Gemeinschaft die Notwendigkeit der Frauenförderung erkannt.

Immer wenn der EG Frauenfeindlichkeit vorgeworfen wird, verweisen ihre Beamten darauf, daß schon 1957 in Artikel 119 des Gründungsvertrages der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft der Grundsatz „Gleiches Entgelt für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit" festgelegt worden ist.

Bezeichnenderweise gab es für diesen Artikel 119 einen handfesten wirtschaftlichen Grund: Die französische Textilindustrie zahlte so niedrige Frauenlöhne, daß Frankreich Kleidung viel billiger produzierte als jedes andere EG-Land. Da einer der Grundpfeiler der EG darin besteht, „Wettbewerbsverzerrungen" zu verhindern, zwang man mit diesem Artikel 119 die Franzosen zu höheren Frauenlöhnen im Textilgewerbe.

Heute bietet der Artikel 119 für Frauen die Möglichkeit, gegen Diskriminierungen beim Europäischen Gerichtshof zu klagen, Forderungen zur Gleichberechtigung im Berufsleben - aber eben nur im Berufsleben -

können sich rechtlich auf Artikel 119 stützen.

Fast zwanzig Jahre vergingen allerdings, bis die Europäische Gemeinschaft nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale Ziele festlegte. Erst 1974 wurde ein sozialpolitisches Aktionsprogramm erstellt. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Entscheidungen der EG, die Frauen betreffen. In den siebziger Jahren wurden fünf Gleichbehandlungsricht-linien verabschiedet, auf deren Einhaltung Frauen in den EG-Mitgliedsstaaten bestehen können. Dazu gehö-

ren unter anderem:

□ für gleiche Leistung muß gleiches Gehalt gezahlt werden;

□ bei einer Bewerbung um einen Arbeitsplatz darf eine Frau nicht wegen ihres Geschlechts abgewiesen werden;

□ im Bereich der sozialen Sicherheit müssen Frauen gleichbehandelt werden.

Aber bezeichnenderweise sind auch einige Vorschläge für Richtlinien, die erhebliche positive Auswirkungen auf die Lage der Frauen hätten, seit Jahren nicht beschlossen worden. So wäre gerade die Richtlinie zur Umkehr der Beweislast wichtig: Derzeit müssen nämlich Frauen beweisen, daß sie diskriminiert worden sind. Wäre die Beweislast umgekehrt, müßte der Arbeitgeber beweisen, daß die klagende Frau unrecht hat.Besonders wichtig für Frauen sind die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, der für Mitgliedstaaten die höchste Gerichtsinstanz darstellt, was bedeutet, daß EuGH-Urteile in allen Mitgliedsstaaten gelten. Das Rechtsinstrumentarium der EG kann daher durchaus ein Motor für die Gleichberechtigungspolitik der Frau am Arbeitsplatz sein, vorausgesetzt Juristinnen kennen und nützen es.

Für teilzeitarbeitende Frauen fällte der EuGH im Februar diesen Jahres eine wichtige Entscheidung: Die ungleiche Behandlung von Ganztagsund Teilzeitbeschäftigten ist demnach verboten, und zwar auch indirekte Diskriminierungen. Aufsehen erregte das Urteil vom Juli 1991, in dem der EuGH ein allgemeines Nachtarbeitsverbot für Frauen als Verstoß gegen die Gleichbehandlung der Geschlechter wertete.

Das Problem der hier aufgegriffenen Fälle liegt darin, daß sie von einem abstrakten Gleichbehandlungs-begriff ausgehen. Diese Feststellung ist zu banal, als daß sie nicht auch Verantwortlichen innerhalb der EG-Kommission aufgefallen wäre. Daher gibt es nun bereits das „Dritte Mittelfristige Aktionsprogramm der Gemeinschaft", gültig von 1991-1995, das Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit anregen soll.

Es ist offensichtlich, daß diese halbherzigen Maßnahmen allein nicht genügen. Da sich gerade Frauen gegen eine mögliche Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen im Binnenmarkt rechtzeitig wehren müssen, wurde Anfang 1990 eine „Europäische Frauenlobby" Frauenorganisationen und autonome Frauengruppen) gegründet. Ziel dieser Gruppe ist es, Druck auf EG-Institutionen auszuüben. Die Europäische Gemeinschaft ist eine Wirtschaftsgemeinschaft. Als solche ist sie auf den ersten Blick geschlechtsneutral, tatsächlich jedoch von Interessen geleitet, die in weiten Teilen männerdefiniert sind. Die vier Freiheiten des Binnenmarktes, die ab 1993 voll verwirklicht werden sollen

- der freie Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital

- bieten für Frauen nur dann einen Anreiz, wenn sie diese „Freiheiten" auch nützen können.

Derzeit gelten die Vorteile der sich vertiefenden europäischen Integration fast ausschließlich für Männer - welche Frau kann denn schon den Vorteil der Arbeitsaufnahme in einem anderen EG-Staat nützen, wenn es zuwenig Kinderbetreuungseinrichtungen gibt und sie als durchschnittlich schlechtei Qualifizierte wenig Chancen auf einen Arbeitsplatz hat?

Schon vor dem tatsächlichen EG-Beitritt müssen Österreichs Frauen versuchen, sich über Frauenförderungsmaßnahmen und die für Frauen relevante EG-Gesetzgebung zu informieren. Erst das Wissen eröffnet Handlungsmöglichkeiten, egal ob man EG-Befürworterin oder Gegnerin ist.

(Literatur: Zeitschrift: Frauen Eu ropas. Herausgegeben von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, erscheint zirka vier bis fünf Mal pro Jahr; Gratis-Bezug bei: Office des Publications Officielles des Communautes europeennes; Service Courrier, Enquetes SG. B. 4., 2 rue Mercier, L-2985 Luxembourg.

Hortense Hörburger: Europas Frauen fordern mehr. Herausgegeben von derHans-Böckler-Stiftung. Marburg: Sp-Verlag, 1990.)

Die Autorin studierte Geschichte und Germanistik in Graz, absolvierte die Diplomatische Akademie in Wien und ist derzeit Referentin für internationale Frauenangelegenheiten im Bundeskanzleramt.

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