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Schwere Zeiten fur die EG

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Die Europäische Gemeinschaft durchläuft augenblicklich wohl eine der entscheidendsten Phasen ihrer Geschichte. Seit Jahren schon muß sie sich mit zweierlei Problemen herumschlagen: einerseits mit dem britischen Budgetbeitrag, den die Regierung Margaret Thatchers als übertrieben erachtet, andererseits mit den fast bodenlosen Agrarausgaben, die für sich allein etwa 60 Prozent des Gemeinschaftsbudgets ausmachen.

Hinzu kommt jetzt ein drittes Problem: das Erreichen der Finanzierungsobergrenze, anders gesagt, die Erschöpfung der Eigeneinnahmen.

Seit dem Luxemburger Vertrag von 1970 verfügt die Gemeinschaft über drei Einnahmequellen:

• die an den Grenzen der EG auf Waren aus der übrigen Welt erhobenen Einfuhrzölle;

• die Abgaben, die bei der Einfuhr in die Gemeinschaft auf landwirtschaftliche Erzeugnisse zum Ausgleich der Differenz zwischen Weltmarktpreisen und Gemeinschaftspreisen erhoben werden;

• eine alljährlich entsprechend den Bedürfnissen errechnete Summe, die von den Mitgliedsstaaten bis zu einer Höchstgrenze von einem Prozent der von ihnen vereinnahmten Mehrwertsteuer aufzubringen ist.

Bereits 1979 gab die britische Regierung bekannt, ihr aus dieser Art der Berechnung sich ergebender Beitrag sei, verglichen mit dem wirklichen Reichtum des Landes, viel zu hoch. In der Tat stand Großbritannien mit seinem EG-Nettobeiträgen an erster Stelle, wohingegen sein Sozialprodukt pro Einwohner eines der niedrigsten der Gemeinschaft ist.

Premierministerin Thatcher betonte in diesem Zusammenhang, zu einer „Gegenleistung“ sei die Gemeinschaft gar nicht in der Lage, da ja von den riesigen Summen, die für die Agrarpolitik ausgegeben werden, nur ein geringer Teil Großbritannien zugute komme. Die britischen Landwirte ihrerseits, oft sehr fortschrittlich und leistungsfähig, hatten den Eindruck, sie unterstützten eine veraltete europäische Landwirtschaft.

Um das Gleichgewicht zugunsten Großbritanniens wiederherzustellen, beschlossen die Staatsund Regierungschefs 1980, bis zu einer endgültigen Neuordnung der EG-Finanzen jährlich einen Teil der britischen Beiträge zurückzuerstatten. Auch an die Bundesrepublik Deutschland wurden Ausgleichszahlungen zur Finanzierung energiewirtschaftlicher Vorhaben getätigt.

Das Europäische Parlament, das gemeinsam mit dem Ministerrat die Budgethoheit ausübt, hatte dem Prinzip zugestimmt, beharrte jedoch auf der Notwendigkeit einer Gesamtreform mit Rücksicht auf den kommenden Beitritt Spaniens und Portugals, sowie auf die unerläßliche Entwicklung neuer Politiken, die ein Gegengewicht zur Agrarpolitik abgeben und gleichzeitig den Briten den vermißten Vorteil bringen sollen.

Vorrangig sollte demnach die Gemeinschaft auf den vier Gebieten der Regional-, der Sozial-, der Industrie- und der Energiepolitik tätig werden.

Im Mai 1983 hat nun die EG- Kommission einen Entwurf zur Reform der Finanzierung der Gemeinschaft vorgelegt. Dies war um so dringender geworden, als seit einigen Jahren die Obergrenze der im Vertrag von 1970 vorgesehenen Eigenmittel immer näherrückte. Für die Gemeinschaft bestand die Gefahr, eines Tages ihre Zahlungen einatellen zu müssen; hierzu genügte ein Jahr außerordentlich hoher Ernteerträge, mit der Konsequenz eines übermäßigen Anschwellens der zur Stützung der Agrarmärkte erforderlichen Ausgaben.

In ihrem Entwurf hatte die Kommission vorgeschlagen, zur Beitragsberechnung einerseits den Mehrwertsteuer-Höchstsatz von einem auf 1,4 Prozent anzuheben, andererseits die Anteile der Mitgliedstaaten so abzustimmen, daß für alle Ausgaben, die 33 Prozent der Agrarfonds-Garantie überstiegen, die Hauptnutzer auch die Hauptbeitragenden sein sollten, wobei die Aufschlüsselung nach einem spezifischen Index erfolgen würde.

Der Ministerrat hat sich in letzter Zeit wiederholt über diesen Vorschlag gebeugt, ohne daß sich jedoch eine Einigung abzeichnete. Die britische Regierung, wenig geneigt, einer Heraufsetzung des Mehrwertsteuer-Satzes zuzustimmen, drängt vielmehr auf eine tiefgehende Reform der Agrarpolitik, der Quelle aller Übel.

London hat daher einen als „Sicherheitsnetz“ bezeichneten Vorschlag eingebracht, der das zweifache Ziel verfolgt, einmal den ärmsten Ländern der Gemeinschaft die Sicherheit zu geben, daß sie niemals zu Nettobeitragenden des Gemeinschaftsbudgets würden, und zum andern dafür zu sorgen, daß die Agrarausgaben nicht schneller anwüchsen als die Eigenmittel.

Ein dänischer Vorschlag zielt darauf ab, für die Dauer von fünf Jahren einen „Konvergenzfonds“ mit dem Zweck zu schaffen, den Mitgliedsländern, die aus dem EG-Budget Zahlungen in geringerer Höhe als ihr Sozialproduktanteil in der Gemeinschaft erhalten, eine Kompensation zu sichern.

Das Parlament jedenfalls hat bei seiner zweiten Oktober-Tagung den Vorschlag der Kommission verworfen, indem es einem Änderungsantrag zustimmte, nachdem die von der Kommission gewünschte Modulation der MWSt-Abgabe aufgrund eines spezifischen Agrar-Indexes abgelehnt wird.

Der niederländische Abg. Wolt- jer, der den Antrag einbrachte, begründete ihn'damit, daß eine derartige Modulation überhaupt nichts ändere und die gemeinsame Agrarpolitik nach wie vor denselben Platz einnehme.

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