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Eine europische Universitt?

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Soeben ist in Straßburg die Gründung der Europäischen Universität beschlossen worden. Jahrelange Debatten fanden über dieses Thema statt, und heftig sind gelegentlich die Diskussionen gewesen, die in den sechs Mitgliedsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft darüber geführt wurden. Dabei waren die Einstellungen von vornherein sehr verschieden. Einzelne Staaten, so Holland und die Bundesrepublik Deutschland, meldeten Bedenken an; andere wieder, wie vor allem Italien und als dessen Wortführer der ehemalige Außenminister Martino, dann aber auch die europäischen Institutionen, vorab der Präsident der EWG, Professor Hallstein, und das „Europaparlament“ befürworteten mit Nachdruck den Gedanken der Gründung einer „Europäischen“ Universität. Besonderes Gewicht kam unter den Gegenstimmen den Einwendungen der westdeutschen Rektorenkonferenz zu, die sich wiederholt mit diesen Plänen befaßt hatte.

Inzwischen ist die Entwicklung weitergeschritten. Es läßt sich aber auch nach den nunmehr vorliegenden Zwischenergebnissen der Beratungen zur Gründung einer Europäischen Universität im Zusammenhang mit dem vorher Gesagten festhalten, daß es so aussieht, daß keineswegs die Gefahren, die die Kritiker des Planes befürchten zu müssen glaubten, gegeben zu sein scheinen. Die Europäische Universität wird keine Super-Universität sein, die durch ihre großen Mittel und durch das Sonderstatut, das ihr verliehen werden wird, in die Lage versetzt wäre, eine überragende Konkurrenz gegenüber den nationalen Universitäten darstellen könnte, die damit zu Institutionen zweiter Ordnung herabgedrückt würden, und die für sich allein den übernationalen Charakter, der stets ein traditionelles Element gerade der bedeutendsten Universitäten Europas war, beanspruchen möchte. Vielmehr ist man gerade in Anbetracht solcher Befürchtungen sehr einfühlend, klug und vorsichtig zu Werke gegangen.

Zum unmittelbaren Anlaß für eine Betrachtung dieses Gegenstandes kann dabei genommen werden, daß nunmehr in Brüssel, dem Sitz der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft, der Bericht eines „Interimsausschusses für die Europäische Universität“ veröffentlicht und den Ministerräten der beiden Gemeinschaften vorgelegt wurde. Damit sind die Pläne in ein aktuelles Stadium getreten, zumal der Ausschußbericht auf die Dringlichkeit eines Beschlusses verweist, der es ermöglichen soll, den Standort der Universität auszuwählen - worum sich, wie hinzugefügt sei, Florenz bewirbt und wofür ein großzügiges, von der italienischen Regierung, die gerne eine europäische Einrichtung in ihrem Lande sähe, unterstütztes Angebot vorliegt. Der Vorsitzende des Interimsausschusses ist der Präsident der Euratomkommission, der Fanzose Etienne Hirsch.

Ihm standen fünf Arbeitsgruppen zur Seite, zusammengesetzt aus Vertretern der sechs Mitgliedstaaten, hohen Ministerialbeamten und Professoren, und der drei europäischen Gemeinschaften, darunter auch wieder Professor Hallstein, der bedeutendste Verfechter des ganzen Planes.

Bei dem Plan geht es um eine vielschichtige Angelegenheit, an sich um drei oder — wenn man will — vier Einzelpläne, unter denen der zur Gründung der Europäischen Universität der auffallendste, wohl aber auch der bedeutungsvollste ist. Das all dies überwölbende Organ institutioneller Art soll ein „Europäischer Hochschul- und Forschungsrat“ werden, bestellt vom Ministerrat, dem von diesem gewisse Zuständigkeiten in den drei Bereichen, dem der Europäischen Universität, dem der Europäischen Hochschul- und Forschungsinstitute und der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und schließlich dem des Austausches von Hochschullehrern und Studierenden sowie der Abstimmung der Lehrpläne übertragen werden. Die eigentlichen Entscheidungen werden jedoch von einem Ministerrat gefällt.

Nun im einzelnen zum Plan der Gründung einer Europäischen Universität, deren besondere Aufgabe „unter Berücksichtigung der an den bestehenden Hochschulen und Instituten vermittelten Ausbildung und der an ihnen betriebenen Forschungstätigkeit darin bestehen würde:

• die Lösung der Probleme im Zusammenhang mit der (europäischen) Integration und Zusammenarbeit in konkreter Weise zu erleichtern;

• zur Ausbildung der Kräfte beizutragen, die einmal im öffentlichen Dienst ihrer Länder, in den europäischen Institutionen selbst und überhaupt im geistigen und wirtsc'haftiicheti'rLiiBe1i Europas an der genannten Integration und Zusammenarbeit mitwirken sollen;

• die Probleme zu untersuchen, die auf europäischer Ebene eine Zusammenfassung aller Bemühungen erfordern“.

Dabei soll besonderes Gewicht auf die Zusammenhänge zwischen den Disziplinen der Sozial- und Geisteswissenschaften einerseits und den Disziplinen der exakten Wissenschaften anderseits gelegt werden. Mit Nachdruck wird in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit und der Wille zur Zusammenarbeit mit den bestehenden Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen betont.

Was das Niveau für die Zulassung und die Ausbildung betrifft, so sollen nur Studierende aufgenommen werden, die bereits ein drei- bis vierjähriges Studium abgeleistet haben. Die Ausbildung an der Europa-Universität umfaßt grundsätzlich einen Zyklus von zwei Jahren. Die Universität steht zunächst Studierenden aus den sechs Mitgliedstaaten offen, doch können auch Studierende aus dritten Ländern, „die besondere Beziehungen zu einem der Mitgliedstaaten unterhalten“, zugelassen werden. Darüber hinaus will man auch Studenten aus den überseeischen Ländern und Gebieten als Hörer sehen. Voraussetzung ist in allen Fällen das Beherrschen mindestens zweier der vier Amtssprachen der Gemeinschaft. Interessant ist hier noch, daß angeregt wird, daß die Zahl der Studierenden einer Staatsangehörigkeit ein Drittel der Gesamtzahl nicht überschreiten darf.

Dieser nationale numerus clausus gilt im übrigen auch hinsichtlich der Aufschlüsselung der Professoren, Dozenten, Assistenten und Lehrbeauftragten. Auch hier soll eine Nationalität nicht mehr als ein Drittel der Gesamtzahl in jeder dieser vier Kategorien des Lehrkörpers überschreiten.

Die Europäische Universität wird keine vollständige Universität im herkömmlichen Sinne sein. So werden denn auch hier keine Fächer gelehrt, deren Wissensstoff im wesentlichen nur für den jeweiligen nationalen Bereich von Wichtigkeit ist, wie etwa einige Zweige der Rechtswissenschaften. Dagegen werden jene Fächer betont, bei denen ein Unterricht unter dem europäischen Aspekt besonders fruchtbar zu werden verspricht, zum Beispiel Energiewirtschaft, Verkehrswirtschaft oder das Recht der europäischen Gemeinschaften. So sind, ohne daß man damit einen limitierten Katalog von LIntcrrichtsfächern für alle Zeiten aufgestellt hat, folgende sechs Abteilungen, Departements, vorgesehen, wobei man von dem Grundgedanken ausgeht, daß diese Universität vor allem der Forschung, nicht sosehr der Lehre dienen soll: eine juristische Abteilung, eine für wirtschaftswissenschaftliche Disziplinen, eine für Sozial- und politische Wissenschaften, eine für Geschichte und Entwicklung der Kultur, eine für theoretische Physik und schließlich eine für reine und angewandte Mathematik. Die Universität wird keine normalen Abschlußexamen vornehmen. An akademischen Graden verleiht sie einzig und allein den Doktorgrad nach im einzelnen noch nicht festgelegten Promotionsordnungen, jedenfalls auf Grund der Annahme einer Dissertation, wie es Tradition ist.

Man hat auch schon hinsichtlich der Größe bestimmte Vorstellungen. Es sollen jährlich etwa 250 Studenten für diese zusätzlichen Studien aufgenommen werden. Das würde bedeuten, daß man mit einer Gesamtzahl von 500 Hörern rechnet; der weiteren Entwicklung bleibt es vorbehalten, nach der Anlaufzeit von fünf Jahren die erforderlichen Erhöhungen der Zahl der Studenten und die entsprechende Vergrößerung des Lehrkörpers vorzuschlagen.

Schließlich in diesem Zusammenhang auch ein Wort zur vorgesehenen finanziellen Ausstattung der Neugründung. Für die ersten fünf Jahre sollen 12 Millionen EWA-Rechnungsein-heiten (= Dollar) zur Verfügung gestellt werden, davon 5 Millionen für Betriebs- und 7 Millionen für Investitionsausgaben.

Von besonderer Bedeutung, gerade für Österreich, ist der offene Charakter der Universität, der die Möglichkeit des Beitritts weiterer Staaten bietet. Es sei wegen der eines Tages sicherlich gegebenen Aktualität dieser Frage im Wortlaut wiedergegeben, was diesbezüglich im Ausschußbericht gesagt wird. Dies geschieht zudem auch aus dem verpflichtend empfundenen Bemühen heraus, den ganzen Gedanken einmal in Österreich ausführlich bekanntzumachen; denn hier handelt es sich um Fragen rein wissenschaftlichen und kulturellen Charakters, und hier brauchen nicht eines Tages jene Befürchtungen erwartet werden, die einen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aus bekannten Gründen als nicht opportun erschienen ließen.

Es heißt somit bezüglich des Beitritts und der Assoziierung: „Nach den Konzeptionen, die ihren Niederschlag in den Verträgen zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften gefunden haben, soll der Beitritt den europäischen Staaten offen stehen, während für die Assoziierung ':jeurW'^difttei!:-? europäirscHe toder'Tireht europäische — Staat in Betracht >korttrnt.“ Und dann wird weiter geregelt: „Der Beitritt eines dritten Staates zum Statut der Universität öder zu den Abkommen kann kraft eines Abkommens zwischen dem beitretenden Staat einerseits und dem einstimmig beschließenden Ministerrat anderseits erfolgen. In diesem Abkommen sind die Beitrittsmodalitäten zu regeln.

Es wird zweckmäßig sein, dem Ministerrat die Befugnis zu übertragen, das Statut der Universität und die Abkommen sowie die institutionelle Struktur zu ändern, jedoch darf dadurch das Gleichgewicht zwischen den Gründerstaaten nicht gefährdet werden.“

Daraus ergibt sich wohl, daß Staaten, die ihr Interesse an einer Beteiligung an der Universität bekunden, erwarten können, entgegenkommend und in einem absolut partnerschaftlichen Geiste aufgenommen werden zu können; ist doch sogar von der Möglichkeit der Notwendigkeit einer allerdings nicht das Grundsätzliche berührenden Änderung des Statuts, nicht nur der institutionellen Struktur, die Rede. Diese Gedanken seien mit Nachdruck hier eingeflochten.

Betrachtet man dies alles nochmals zusammenschauend zurückblickend, so darf wohl, ohne daß damit noch immer skeptische Stimmen überhört werden sollen, festgehalten werden, daß hier Großes im Werden begriffen ist, daß hier einmal die Integration Europas nicht ausschließlich aus den Perspektiven betrachtet wird, aus denen man dies sonst zu tun pflegt, sondern aus den Perspektiven der „communaute spirituelle et culturelle“, wie Robert Schumann Europa einmal bezeichnet hat. Bei einem Gelingen all dieser Pläne sollte es gelingen, abgelöst von nationaler Sicht und nationaler Beengung zu einer noch intensiveren internationalen Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem Gebiet zu kommen, besonders in einzelnen Fächern, die sich vor allem dafür anbieten und diese erheischen. Gewiß, es werden mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden sein, trotz aller moralischer und materieller Unterstützung, die gewährt werden wird. Man denke etwa nur an die Sprachenfrage, bei der man jedoch hofft, daß sich die Dinge einpendeln. Doch die ganzen Vorschläge, und nur um solche handelt es sich zunächst, noch nicht um Beschlüsse, die aber bei der nun schon oft bewiesenen Dynamik des europäischen Zusammenschlusses kaum lange auf sich warten lassen werden, sind jedenfalls auch in einem Staate, der zunächst nicht unmittelbar betroffen ist, der sich aber doch eindeutig zu diesem europäischen Kulturkreis bekennt und dessen untrennbarer Bestandteil ilrrf'der^eifc'ritung frfer •sthr'^fälr^rP&Äi

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