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Hochschule fur Politik?

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Seit vor einigen Monaten die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft in Wien mit dem Plan der Schaffung einer „Hochschule für Politik“ in Oesterreich an die Oeffentlichkeit getreten ist, ist die Diskussion darüber nicht mehr abgebrochen. Die Beratung des Kapitels Unterricht in der letzten Budgetdebatte hat zudem auch Gelegenheit gegeben, diesen Plan im Parlament zu erörtern. In Oberösterreich im besonderen setzen sich die maßgebenden Persönlichkeiten 'des Landes für die Realisierung des Projektes ein, so auch dem Gedanken Rechnung tragend, daß Linz, wie es dieser Stadt als der drittgrößten Oesterreichs zusteht, wenn schon nicht, wie einmal gewünscht, eine Technische Hochschule, so doch eine Hochschule, eine solche eines zumindest für Oesterreich völlig neuen Typs, bekommen könnte.

Eine „Hochschule für Politik“ oder — unter welchem Titel nunmehr das Projekt läuft — eine „Hochschule für Sozialwissenschaft und Politik“ erscheint nun tatsächlich als eine Notwendigkeit in einem Zeitalter, in dem die Politik alle Teile des Lebens in immer stärkerem Maße erfaßt und den Gang der Dinge, selbst jener des Alltags, entscheidend beeinflußt.

Gewiß, eine Wissenschaft im traditionellen Sinne ist die Wissenschaft von der Politik nicht. Man kann sie nicht als autonome Wissenschaft deklarieren. Denn sie ist, zumindest im jetzigen Stadium der Entwicklung, weder in ihrem Gehalt noch in ihren Zielsetzungen und vor allem auch nicht bezüglich ihres Arbeits- und Forschungsgebietes klar umrissen, wie dies bei den anderen Wissenschaften der Fall ist. Sie erschöpft sich auch keineswegs — für die amerikanischen „Political Science“ möge dies eher gelten — in der Behandlung von Gegenwartsfragen, sondern sie zieht alles, was für die Politik, für das öffentliche Gemeinwesen und dessen Kenntnis und Erkenntnis wesentlich ist, in den Kreis ihrer Betrachtungen. In diesem Bestreben nimmt sie den Stoff aus anderen Wissenschaften aus dem Recht, besonders aus dem öffentlichen und dem Völkerrecht, aus der Philosophie, der Geschichte, der Soziologie. ■ der Psychologie, der Geographie und der Geopolitik; oder aus dem großen Gebiet der Wirtschaftswissenschaften, die so sehr an Bedeutung gewonnen haben. Indem die Wissenschaft von der Politik so auf die verschiedensten Gebiete der eigenständigen Wissenschaften übergreift, bemüht sie sich, ein zusammenhängendes Bild der politischen Einrichtungen, Ideologien, Vorgänge und Betrachtungsweisen zu vermitteln.

Ein weiterer Gedanke, der uns diese Pflege so wünschenswert erscheinen läßt: die Klagen über die Spezialisierung der Wissenschaften und deren gegenseitige Isolierung sind bekannt. Es fehlt — das humanistische Bildungsideal konnte dies früher noch herstellen — weitgehend die Verbindung, der überspannende Bogen. Hier kann nun die Wissenschaft von der Politik eine besondere Wirksamkeit als Gegenmoment zur Zersplitterung und als Beitrag zur Schaffung eines abgerundeten Weltbildes entfalten.

Eine weitere Aufgabe der Pflege der Politischen Wissenschaft scheint uns darin gegeben, daß sie zweifellos die Möglichkeit hat, einen wesentlichen Beitrag zur politischen Bildung und Erziehung zu leisten. Dies ist gewissermaßen ihr sofort in die Praxis umzusetzender Wert. Das möge so aufgefaßt werden, daß sie nicht nur dem Berufspolitiker, dem Funktionär, der etwa in Kammern oder Gewerkschaften oder in politischen Parteien tätig ist, oder dem Journalisten bestes Rüstzeug zur Bewältigung der Aufgaben in die Hand gibt. Sie bietet darüber hinaus jedem die Möglichkeit, die richtige Ordnung des öffentlichen Lebens zu erkennen, die lichtige Einordnung zu finden, sich zu orientieren in dem oft unübersehbaren, weil so vielfältig verschachtelten politischen, wirtschaftlichen, sozialen, ja selbst kulturpolitischen Leben unserer Tage.

Unter den ausländischen Vorbildern hat Frankreich 1872 mit der „Ecole libre des sciences politiques“ das erste Institut dieser Art geschaffen. Es fand nach der Liberation seine Fortsetzung in der „Ecole nationale d'admini-stration“, der Ausbildungsstätte für hohe Beamte par excellence, und in einer Reihe von „Instituts d'Etudes politiques“, so an der Sorbonne, aber auch an einer Reihe anderer Universitäten, auch des überseeischen Frankreichs. Diese Institute politischen Wissenschaften N E R, derzeit Saarbrücken weisen einen zwei- oder dreijährigen Ausbildungsgang auf, an dessen Abschluß ein staatliches Diplom erworben werden kann, das für verschiedene berufliche Laufbahnen sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft einen guten Start gibt. Die einzelnen Vorlesungsgruppen des Pariser Instituts — dessen begehrtes Diplom im Jahr etwa 300 bis 400 Studenten erwerben — sind: Allgemeine Geschichte; Allgemeine Geographie; Staatenkunde; Internationale Beziehungen; Probleme der Kolonien und Ueberseegebiete; Verwaltungswissenschaften (einschließlich Ideologienlehre); .Sozialwissenschaften; Wirtschaftswissenschaften.

Neben diesen Instituten, deren Gesamthörerzahl bei etwa 3800 Studenten liegt, bestehen an manchen französischen Universitäten „Cen-tres universitaires d'etudes politiques et administratives“, deren Lehrpläne und Methode denen der „Instituts d'etudes politiques“ ähneln; sie stellen jedoch keine in sich abgeschlossene Institute dar, sondern stehen meistens mit den juristischen Fakultäten in Verbindung. Schließlich gibt es noch einige Spezialinstitute, wie etwa das bekannte „Institut des Hautes Etudes Internationales“ der Universität Paris oder die „Ecole nationale de la France d'Outre Mer“ u. a.

In der Bundesrepublik Deutschland ist zuvorderst die „Deutsche Hochschule für Politik“ in Berlin zu nennen, im Jahre 1920 erstmals und im Jahre 1948 wieder gegründet, seit 1952 in einer gewissen Verbindung mit der Freien Universität Berlin, in die sie nunmehr dem Vernehmen nach als autonomes „Otto-Suhr-Institut“ übergeführt werden soll. Ihr Lehrplan ist äußerst umfassend und berücksichtigt vor allem die kulturellen und pädagogischen Belange neben den nun schon oft genannten Fächern von der Geschichte bis zu den Wirt-schaftswissenschafteii.

Eine neuere Gründung (1949) ist die „Hochschule für politische Wissenschaften“ in München. Ihre Ziele sind bescheidener. Sie widmet sich vor allem der Schaffung von Unterlagen für die politische Bildung und dieser selbst. Dieser Zielsetzung entsprechend wendet sie sich besonders an Lehrer und Verwaltungsbeamte; auch Nichtabiturienten können aufgenommen werden.

Im weiteren ist vor allem die „Hochschule für Sozialwissenschaften“ in Wilhelmshaven-Rüstersiel zu nennen, entstanden unter der Aegide des Landtages von Niedersachsen. Wir dürfen hier weiter ausholen, da gerade dieses Experiment von Einfluß auf die österreichischen Planungen ist. Programmatisch stellt diese Hochschule gemäß ihrer Satzung sich zur Aufgabe, „in Freiheit und Unabhängigkeit als Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden durch wissenschaftliche Forschung und Lehre die politische Wirklichkeit als Ordnung des menschlichen Zusammenlebens in Staat und Gesellschaft zu erkennen und darzustellen, insbesondere die Probleme der industriellen Gesellschaft in wirtschaftlicher, rechtlicher und sozialer Hinsicht. Sie soll durch Erfüllung dieser Aufgaben ihre Studierenden zu mitbürgerlicher Haltung und politisch verantwortlichem Handeln heranbilden. Als besondere Aufgabe soll sie Angehörigen aller Bevölkerungsschichten, die sich im beruflichen Leben schon bewährt haben, wissenschaftliche Erkenntnisse zum Verständnis des sozialen, wirtschaftlichen und politischen Geschehens und zur verantwortlichen Mitarbeit im öffentlichen Leben vermitteln.“ Die Hochschule hat Promotions- (Doktor der Sozialwissenschaften) und Habilitationsrecht.

Die „Hochschule für Verwaltungswissenschaften“ in Speyer wurde durch das Land Rheinland-Pfalz errichtet und wird von der deutschen Bundesregierung und einigen Landesregierungen getragen. Aufgenommen und ausgebildet werden Akademiker mit abgeschlossener Hochschulbildung, im besonderen bewährte Beamte, die von den Ländern dorthin entsendet werden.

Institute, wie wir sie in Frankreich angetroffen haben, bestehen in der Deutschen Bundesrepublik nicht, doch gibt es einige Forschungsinstitute, wie das „Institut für wissenschaftliche Politik“ an der Philipps-Universität in Marburg an der Lahn, das „Institut für Internationales Recht und Politik“ in Bonn. An einer Reihe von Universitäten bestehen Lehrstühle, bzw. Lehraufträge für politische Wissenschaften. Eine Besonderheit im deutschsprachigen Raum ist das „Europäische Forschungsinstitut der Universität des Saarlandes“, das für fertige Akademiker ein Fortbildungsstudium über Fragen der intereuropäischen Beziehungen durchführt und an dem neben Professoren der saarländischen Universität, die an sich schon aus verschiedenen Nationen kommen, etliche in europäischen Gremien führend tätige Personen als Lehrbeauftragte lesen.

In den USA wird „Political science“ an den Universitäten in eigenen Departments, die etwa unseren Fakultäten entsprechen, betrieben. Drei Hauptgruppen haben sich dabei herausgebildet: „American government“, „Comperativ government“ und vor allem die „Internationais relations“, die immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Zusammenfassend sei festgehalten: Die Pflege der Wissenschaft von der Politik ist etwas Neues. Eines ist wesentlich: die Analyse und die Synthese, die Analyse aller politischen — im weitesten Sinne des Wortes — Vorgänge, und die Synthese, die Integration der politischen Momente, die in anderen Wissenschaften liegen. Die Politische Wissenschaft hat so das Zeug in sich, eine Grundwissenschaft zu werden. Ja mehr noch: sie scheint bei der auch künftighin eminenten Bedeutung des Politischen in allen Bereichen und auf allen Ebenen des Lebens, des einzelnen wie der Staaten, prädestiniert, die neue geistige Mitte der Wissenschaften, deren Auseinanderentwicklung wir alle so sehr bedauern, zu werden. Dies möge gerade auch in Oesterreich erkannt werden, und schon allein deshalb, abgesehen von allen praktischen Zielsetzungen und zu erwartenden Ergebnissen, sei der Plan der Schaffung einer „Hochschule für Sozialwissenschaft und Politik“ begrüßt.

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