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Vorstoß ins Neuland

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Das Institut für höhere Studien und wissenschaftliche Forschung wurde im Herbst 1963 von der Ford- Foundation ins Leben gerufen und mit einer finanziellen Zuwendung von 1,000.000 Dollar für einen Zeitraum von vier Jahren bedacht. Die österreichische Bundesregierung beteiligte sich mit einem Beitrag von 12,000.000 Schilling an der Gründung dieses Instituts, das rechtlich gesehen eine private Vereinigung darstellt. Die Initiative zur Gründung des Institutes gerade in Wien ging von österreichischen Wissenschaftlern aus, die sich in der Neuen Welt einen hervorragenden Namen erworben hatten und in der Lage waren, die maßgeblichen Persönlichkeiten der Ford-Foundation auf die Bedeutung einer sozialwissenschaftlichen Institutsgründung in Wien, der Stätte reicher wissenschaftlicher Tradition und der Nahtstelle zwischen Ost und West, hinzuweisen. Das Institut für höhere Studien und wissenschaftliche Forschung ist nicht nur für Österreich ein Novum, das die herkömmlichen institutioneilen Dimensionen sprengt, sondern hat in seiner Anlage und Ausrichtung auch international wenige Entsprechungen. Es ist selbstverständlich, daß ein solches neues Unternehmen Zeit brauchte und Erfahrungen sammeln mußte, um sich richtig zu entwickeln, seinen Standort innerhalb der akademischen Gesamtwirklichkeit

Österreichs zu bestimmen und seine eigene Konsolidierung und Schwerpunktbildung herbeizuführen. Unter der Leitung der Professoren Sago- roff und Kozlik wurde der Grundstein zu der Arbeit gelegt, die seit 1965 interimistisch von Prof. Morgenstern und dem Gesandten Doktor Kolb fortgesetzt wird. Diese Fortsetzung erfolgt unter Berücksichtigung der seit der Institutsgründung gesammelten Erfahrung und schreckte nicht vor einschneidenden organisatorischen und personellen Veränderungen zurück, wenn sich diese im Hinblick auf die Zielsetzung des Instituts als notwendig erwiesen. Ein Kuratorium und ein wissenschaftlicher Beirat stehen der Direktion helfend und wachend zur Seite.

Das Institut muß, wenn es der in seinem Namen zum Ausdruck kommenden Sinngebung gerecht werden will, der Verfolgung zweier Ziele dienen, die sich nicht ausschließen, sich aber auch nicht ohne weiteres glatt zur Deckung bringen lassen: Der Wissensvermittlung in Form der Lehre und des Unterrichts und der Verarbeitung bzw. Bereicherung des Wissensstandes durch wissenschaftliche Forschung. Das Institut will keine Gemeinschaft von bloßen Hörem sein, die sich einen bestimmten Wissensstoff aneignen und ihn auf Wunsch reproduzieren, es will sich anderseits aber auch nicht darauf beschränken, ein gemeinsames Dach und einen institutionellen Überbau für isolierte Einzelforschung zu bieten, es will Lehre und Forschung derart integrieren, daß beide mitsammen die optimale Entfaltung des einzelnen Hörer ermöglichen und einen möglichst befruchtenden Impuls für das geistige Leben Österreichs vermitteln. Die Vermittlung solcher Impulse ist für Österreich um so wesentlicher, als die drei Sozialwissenschaften, deren Pflege sich das Institut wiidmet — Nationalökonomie, Soziologie und Politische Wissenschaft —, in Österreich akademisch noch nicht auf den internationalen Standard gelangt sind beziehungsweise sich im Fall der Politikwissenschaft noch nicht einmal ein Heimatrecht an unseren Hochschulen erworben haben. Das Institut hat also, ohne die Kreise des akademischen Lebens stören und in Konkurrenz mit den Hochschulen treten zu wollen, Pionierarbeit zu leisten. Der Lehrplan und die Zielsetzung des Instituts stellen die empirische und quantifizierende Betrachtung sozialer Phänomene unter Einsatz der Mathematik und Statistik in den Vordergrund, nicht weil es damit einen empirischen Ausschließlichkeitsanspruch erheben und die Festlegung auf bestimmte Methoden befürworten will, sondern weil in dieser Hinsicht in Österreich ein besonders dringender Aufhol- und Nachholbedarf besteht.

Der Aufbau des Instituts

Für das harmonische Gleichgewicht von Lehre und Forschung innerhalb der Sozialwissenschaften soll der organisatorische Aufbau des Institute und die Art der Führung des Institutsbetriebes Vorsorge treffen. Das Institut besteht, abgesehen von der Leitung und dem möglichst klein gehaltenen administrativen Stab, aus Assistenten, Scholaren und Gastprofessoren. Die Gastprofessoren, die nach Möglichkeit für längere Zeit ans Institut berufen werden, übernehmen die Aufgabe, einen systematisch wichtigen Wissensstoff zu behandeln, der sich in den Gesamtzusammenhang des am Institut vermittelten Fachwissens eingliedert und den Hörern die Gelegenheit gibt, die in verschiedenen Kursen vermittelte Grundausbildung ihrer Disziplin und der am Institut ebenfalls gelehrten Formalwissenschaften (Mathematik und Logik) zu ergänzen und sich so die Voraussetzungen für schöpferische Eigenleistungen zu erwerben. Das Institut für höhere Studien und wissen schaftliche Forschung hat es verstanden, hervorragende Wissenschaftler aus aller Welt als Gastprofessoren zu gewinnen und den Hörern Spitzenkräfte der einzelnen Fachgebiete zu präsentieren. Unter den vielen illustren Namen, die das Vorlesungsverzeichnis der ersten drei Institutsjahre füllten und füllen, seien nur die Professoren Morgenstern, Lazars- feld, Leontief, Charlotte Buhler, Karl R. Popper, Edgar Salin, Maurice Duverger und Renė König herausgegriffen. Die Politik des Instituts geht jedoch nicht dahin, glänzende Namen und Vortragende zu versammeln und aus Gründen der Publicity die Gründlichkeit und Kontinuität der Wissensvermittlung und Ausbildung zurückzustellen,

sondern ist in zunehmendem Maße darauf gerichtet, das Ausbildungsziel in den Vordergrund zu rücken.

Die Assistenten haben neben ihren eigenen Forschungsprojekten die Vorbereitung und Betreuung der meist seminaristisch aufgelockerten Vorlesungen zu besorgen und die Verbindung zwischen Gastprofessoren und Scholaren herzustellen. Nach Bedarf und Tunlichkeit schalten sie sich selbst in den Vorlesungsbetrieb ein. Die Hörer des Instituts (auch Scholaren genannt), die grundsätzlich absolvierte Akademiker aus einem einschlägigen oder benachbarten Fachgebiet (wie der Psychologie, die in Form der Sozialpsychologie stark in die Soziologie hineinspielt) sein müssen, nehmen an einem turnusweisen Kurs von zwei Jahren teil, innerhalb dessen sie ihre Ausbildung erhalten und ihre eigene Arbeit verfolgen. Der erste Kurs wurde im Juni 1966 abgeschlossen,

der nächste wird vom Oktober 1966 bis Juni 1968 dauern.

Neben den Einzelprojekten soll das Institut in zunehmendem Maße zu einer Stätte des Teamworks und der interdisziplinären Zusammenarbeit werden. Die „socialisation“, die zu einem beherrschenden Zug des modernen Lebens in allen seinen Aspekten geworden ist, kann auch vor dem sozialwissenschaftlichen Betrieb selbst, der sich mit diesen Phänomen beschäftigt, nicht haltmachen. Langfristige Forschungsprojekte sollen Assistenten und Scholaren Gelegenheit bieten, sich mit ihren Kollegen in gemeinsamer wissenschaftlicher Arbeit zuisammenzufinden und an der Lösung von Problemen mitzuwirken, die in der Welt von heute immer dringender werden und auch für die Praxis wertvolle Aufschlüsse liefern. Wenn sich das Institut für höhere Studien und wissenschaftliche Forschung einen festen Platz und eine anerkannte Position im Gesamtgefüge Österreichs erobern will, muß es sich an die Behandlung von Sachfragen wagen und Einsichten zugänglich machen, die nicht ignoriert werden können, weil sie eine wertvolle Hilfe für die Praxis darstellen. So könnte eine gründliche Untersuchung des Problems der Wechselbeziehung von Gesellschaftsstruktur und Erziehung, besonders durch vergleichende Forschung mit dem Standard anderer Länder, einen Beitrag zur Lösung der Frage liefern, ob Österreich seine Reserven in dieser Beziehung optimal ausschöpft. Aber auch viele andere Fragen unseres politischen und wirtschaftlichen Lebens bieten sich der Forschung zur Durchleuchtung und Versachlichung an. Das tatsächliche Verhalten der Menschen in der Demokratie ist Neuland für kommende Untersuchungen, eine Forschungsgruppe unter Leitung Professor Eulaus hat mit einer Befragung der Mitglieder des Wiener Ge meinderats den Vorstoß in ein Gebiet begonnen, das in anderen Ländern längst ein wohlbestelltes Feld ist.

Ausreichende Stipendien

Die Scholaren, die nach einer sorgfältigen Prüfung ihrer Ansuchen und beruflichen Zielsetzungen und nach persönlicher Aussprache unter der Bedingung der Bereitschaft zur Erfüllung eines gewissen Mindeststandards aufgenommen werden, haben im Institut zwei Jahre lang die Möglichkeit, ihre Hochschulausbildung zu vervollständigen und sich für eine wissenschaftliche Laufbahn oder eine andere qualifizierte Tätigkeit vorzubereiten. Sie sind in hellen, freundlichen Zimmern untergebracht und können Lese- und Studienräume, eine immer reichhaltiger werdende Bibliothek sowie Daten- verarbeitilngs- und elektronische Rechenmaschinen benützen. Außerdem stehen ihnen Erholungsräume und ein großer Hof mit Parkplätzen zur Verfügung, sie haben jederzeit die Möglichkeit, ihre Sorgen und Schwierigkeiten mit den Assistenten, die den wissenschaftlichen Fortgang der Scholaren lenken sollen, wie auch mit einem der Direktoren zu besprechen.

Sie werden durch ein ausreichendes Stipendium in die Lage versetzt, sich den Aufgaben zu widmen, die ihnen zu ihrem eigenen Besten von der Institutsleitung gestellt werden. Das Institut für höhere Studien und wissenschaftliche Forschung hat keine zusätzlichen akademischen Grade und Diplome zu vergeben, es ist Sache jedes einzelnen Hörers, durch seine Leistung dazu beizutragen, daß das nach Abschluß des Kurses ausgestellte Besuchszeugnis eine Empfehlung darstellt, die seine Aufstiegschancen in der Gesellschaft verbessert. Die Ford-Foundation und die zuständigen österreichischen Stellen können die Mittel zur Aufrechterhaltung des Studienbetriebes beistellen und wohl auch Ideen beisteuern, in welche Richtung sich die Lehr- und Forschungstätigkeit entwickeln soll, es liegt jedoch an den Hörern und Assistenten, jene Leistungen zu erbringen, die den anspruchsvollen Zielsetzungen des Instituts gerecht werden und seinen dauerhaften Ruf als Pflegestätte des geistigen Lebens in Österreich begründen können. Die wissenschaftlichen Arbeiten der Institutsmitglieder sollen, in zur Diskussion bestimmten Memoranden, festgehalten werden. Weiter gediehene wissenschaftliche Arbeiten können in Form selbständiger Publikationen den Leistungsnachweis der Mitglieder des Instituts in die Öffentlichkeit tragen.

Die Entwicklungsmöglichkeiten des Instituts können hier nicht erschöpfend erörtert werden, schon deshalb nicht, weil der Umfang der Aktivitäten und des Gelingens der Institutsziele nicht zuletzt von der Mitwirkung jener abhängt, die damit mit einer Institution vertraut gemacht werden sollten, die dazu beitragen will, alle schlummernden schöpferischen Kräfte auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften mobil zu machen.

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