6576411-1950_46_04.jpg
Digital In Arbeit

Der junge Gelehrte

Werbung
Werbung
Werbung

Die in den letzten Jahren mit geradezu erschreckender Regelmäßigkeit wiederkehrenden Meldungen von der Abwanderung hoffnungsvoller österreichischer Forscher und der Ablehnung ausländischer Gelehrter auf Berufungen an österreichische Hochschulen veranlaßten wiederholt verantwortungsbewußte Männer zu ernsten Warnungen vor einer drohenden Niveausenkung an unseren hohen Schulen. Gleichzeitig klagen die akademischen Lehrkörper über mangelnde Auswahlmöglichkeiten für neue Berufungen. Für den, der diesem Zwiespalt gegenüber nicht ohne Anteilnahme bleiben kann — in Hinblick auf seinen Doktoreid dürfte es kein graduierter Akademiker—, erhebt sich notwendig die Frage: Wie steht es um unseren eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs, was haben wir von ihm zu erwarten, mit welchen Problemen hat er zu ringen?

Vielfach versteht man unter „wissenschaftlichem Nachwuchs“ lediglich die Privatdozenten, bestenfalls noch die an einer Hochschule tätigen Assistenten. Vom Standpunkte des für die Neubesetzung einer Lehrkanzel Verantwortlichen mag dies richtig sein. Keineswegs aber trifft diese Ansicht die Wurzel des Gesamtproblems. Diese liegt tjefer: sie liegt dort, wo der junge Mensch nach seiner ersten Berührung mit der Forschung und der ersten Bewährung in einem Fachgebiete die Berufung zum wissenschaftlichen Arbeiter verspürt und nach reiflicher Überlegung die wissenschaftliche Laufbahn als Lebensziel erwählt. Die entscheidendsten Probleme für unseren wissenschaftlichen Nachwuchs liegen zwischen Dissertation und Habilitationsschrift.

Vor den ersten Schwierigkeiten sieht sich der Student, der auf Grund einer

überdurchschnittlichen Begabung für die Forschung geeignet erscheint, schon während seines Studiums. Infolge der unglückseligen Vermengung praktischer Berufsvorbereitung mit der Einführung in die Methoden wissenschaftlicher Arbeit, vor allem auf der philosophischen und auf der juridischen Fakultät, bietet heute das Universitätsstudium dem für kommende Forschung Geeigneten nicht die Ausbildung, die er mit Recht erwartete. Schon allein der gleichzeitige Besuch von Übungen und Seminarien durch Doktoranden und Lehramtskandidaten wirkt sich vielfach nachteilig aus, besonders bei dem heutigen Mangel an wissenschaftlichem Personal. Dem einen wird zuwenig geboten, dem anderen zuviel. Und nur selten lernt der Student auf der Hochschule überhaupt die einfachsten Handwerksgriffe des künftigen Forschers mit der Gründlichkeit, die ihm später viele vergebene Mühe ersparen ließe. Mit Recht hat Universitätsprofessor Dr. von Ivanka am 23. März d. J. in der „Furche“ auf die Gefahren dieser Doppelgeleisig-keit an der philosophischen Fakultät hingewiesen. Ähnlich liegen die Dinge auf der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät. Hier endlich einmal — selbst gegen den Widerstand mancher Professoren — eine klare Trennung zu schaffen, wie sie in den westlichen Ländern schon lange besteht, wäre mit eine der wichtigsten Aufgaben des in Vorbereitung befindlichen neuen Hochschulstudiengesetzes.

E.a weiteres Hindernis, das die Entfaltung des angehenden Wissenschaftlers hemmt, ist die Tatsache, daß Österreich auch heute noch vielfach vom internationalen Bücher- und Zeitschriftenmarkt weitgehend abgeschnitten ist.

Von besonderer Bedeutung für den heranreifenden Forscher waren stets Studienreisen ins Ausland. Aus privaten Mitteln sind sie heute fast keinem mehr möglich. Auch hier müßte sidi der Staat einschalten und für eine Finanzierung sorgen.

Größte Sdiwierigkeiten bereitet heute dem jungen Forscher die Veröffentlichung einer größeren wissenschaftlichen Arbeit. Die Anzahl unserer wissensdnftlidien Zeitschriften ist sehr beschränkt, für junge Autoren findet sich kaum ein Verleger. Hier müßte ein großzügig ausgebautes Wettbewerbssystem jungen Kräften die Möglichkeit schaffen, mit ihren Leistungen an die Offentlidikeit zu treten.

Nidat zu vergessen ist die große seelische Belastung, die der angehende Wissenschaftler neben all den materiellen Opfern Jahre hindurch auf sich zu nehmen hat. Die Verständnislosigkeit, mit der auch Akademiker einem jungen Doktor, der sich auf seine Habilitation vorbereiten will, gegenübertreten, ist oft schon beschämend. Gar nicht zu reden von der rein gesellschaftlichen Achtung, die zum Beispiel Beamten als Selbstverständlichkeit, schöpferischen Wissenschaftlern aber erst scheinbar mit der Verleihung des Professorentitels gewährt wird.

Bekanntlich verdienen sich junge Nachwuchskräfte der Wissenschaft ihren Lebensunterhalt oft auf eine Weise, die nicht nur für das Gesellschaftsganze beschämend, sondern für die schöpferische Leistung der Betreffenden äußerst hemmend ist. Bei vernünftiger Berufslenkung und Arbeitsvermittlung müßte es möglich sein, jungen Interessenten nach entsprechender Bewährung in den erwähnten Wettbewerben und nach Rüdcspradre mit ihren akademischen Lehrern eine Lebensmöglichkeit zu geben, die ihnen noch genügend Zeit zur Arbeit als Forscher ließe. Ich denke dabei an Bibliotheken, an öffentliche oder private Kulturinstitutionen, vor allem aber an einen ohnehin dringenden Ausbau des wissenschaftlichen Personals an den Hochschulen.

Die hier skizzierten Vorschläge sind bei 'dem derzeitigen geringen Anteil der Kulturförderung am Gesamtbudget nicht zu verwirklichen. Hier muß aber endlich einmal die große Revision erfolgen, wollen wir überhaupt noch irgendeine internationale Geltung für Osterreich in Anspruch nehmen!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung