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Der Student der Naturwissenschaften:

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Die Fakultät für Naturwissenschaften wurde in ihrer heutigen Zusammensetzung erst 1955 konstituiert; sie umfaßt die Fachgebiete Mathematik, Physik, Chemie, Geodäsie und Geometrie. Während die Chemie lange Zeit hindurch als eigene Fakultät geführt wurde, waren die anderen Disziplinen mehr in die Rolle der Hüfswissenschaften gedrängt, da den zukünftigen Technikern nur das notwendige und brauchbare Rüstzeug in diesen Grundlagen vermittelt werden sollte. Doch konnten hervorragende Professoren immer wieder diese Fächer zu einem starken wissenschaftlichen Eigenleben erwecken und sich mit den Universitäten als den eigentlichen Stätten der reinen Naturwissenschaften messen.

Wie stellt sich heute die Entwicklung und die derzeitige Lage unserer naturwissenschaftlichen Fachrichtungen dar? Österreich hat In der entscheidenden Expansionsphase keinen nennenswerten Beitrag zum Fortschritt der Naturwissenschaften geleistet. Es ist müßig, hier noch einmal die Gründe dafür anzuführen, aber es ist notwendig, darauf zu verweisen, daß gerade in den Naturwissenschaften die Versäumnisse derartig katastrophale Zustände zur Folge haben, daß der Lebensnerv unserer wissenschaftlichen Forschung getroffen scheint.

Was nützen denn alle didaktischen und organisatorischen Reformen, wenn die Substanz im argen liegt: wenn vier physikalische Institute mit einem Minimum an wissenschaftlichem Personal tausende Hörer betreuen sollen, und zwar mit den gleichen Lehrveranstaltungen die Studenten der eigenen Spezialrich-tung als auch Hörer aller anderen Fakultäten, da es an entsprechend differenzierten Lehraufträgen fehlt; wenn aus demselben Grund die Lehrpläne wieder mit allen möglichen speziellen Lehrveranstaltungen aus anderen Fakultäten vollgestopft werden müssen, wenn diese Wissensbereiche auch nur in ihren Grundzügen oder unter völlig anderen Aspekten notwendig wären; wenn die großzügig angebotene Breite in den Ausbildungsmöglichkeiten an der miserablen Ausstattung der

Institute zur Farce wird usw.

Die Tatsache, daß der Studienbetrieb ja doch noch ohne allzu große Störungen weiterläuft, scheinen manche Kreise so zu deuten, daß eben alles nicht so schlimm sei. Daß dieses gesetzlich vorgeschriebene Funktionieren unter den gegebenen Bedingungen aber den Selbstmord der Wissenschaft zur Folge haben muß, ist weithin noch nicht klar geworden. Wenn dem wissenschaftlichen Personal nur noch ein Viertel seiner Zeit zur Forschung zur Verfügung steht, wenn das vorhandene Geld gerade ausreicht, überhaupt genug Platz für die Studenten zu schaffen, so kann man sich vorstellen, welche Schwierigkeiten es macht, die im Ausland erzielten Fortschritte der Wissenschaft bei uns überhaupt zur Lehre nachvollziehen zu können. An den eigenen Beitrag zu diesem Fortschritt wagt man dann kaum noch zu denken, und es ist wie ein Wunder und der eminenten Qualität unserer Wissenschaftler zu verdanken, daß doch immer wieder solche Beiträge geleistet werden. Dazu kommt auch, daß eine Zahl neuerer Disziplinen in Österreich überhaupt nicht vertreten ist: etwa die neueren Gebiete der Biochemie, Plasmaphysik, Elementarteilchenphysik, Raketentechnik usw.; noch vor einigen Jahren konnte es passieren, daß ein Physiker ohne Kenntnis der um 1925 entwickelten Quantentheorie als Diplomingenieur die TH verließ!

In den Naturwissenschaften kann mit den heutigen Mitteln nicht nur der Niveauunterschied zum Ausland nicht gleichgehalten oder gar verringert werden, sondern in kürzester Zeit wird er derartige Ausmaße annehmen, daß eine Beseitigung dieses Unterschiedes die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten Österreichs tatsächlich und endgültig übersteigen wird. Die einzige Rettung ist daher eine sofortige Verdopplung bzw. Verdreifachung der finanziellen Aufwendungen, verbunden mit einem langfristigen Entwicklungsprogramm, das durch eine Reorganisation der naturwissenschaftlichen Forschungsstätten und in gezielter Schwerpunktbildung an den einzelnen Universitäten und Hochschulen den größtmöglichen Effekt garantiert.

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