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Angst allein genügt nicht

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Im Zusammenhang mit den formalen Grundlagen der Quantenphysik hat der Mathematiker David Hilbert im Göttingen der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts noch gemeint, daß eigentlich die Physik für die Physiker viel zu schwer sei. In der Zwischenzeit haben die Physiker recht gut aufgeholt, sowohl mathematisch und theoretisch als auch methodisch und experimentell.

Mit den Großcomputern ist es gelungen, Vielteilchen-Systeme zu simulieren und in ihrer zeitlichen

Entwicklung nachzuempfinden, die Naturkonstanten und Schlüsseleffekte mit extremer Genauigkeit zu bestimmen, die Dynamik der Elementarteilchen, der Atomkerne, der Atome und des Universums zu erfassen. Der weite Weg vom beliebig Kleinen zum beliebig Großen hat sich allmählich geschlossen, weil für die Entstehung der chemischen Elemente in den ersten Minuten des Weltalls die Physik der Kerne und Teilchen wieder wesentlich wird.

Die Schöpfungsgeschichte wird nicht mehr auf archaische Mythen verwiesen, sondern der Stundenplan für die Folge verschiedener Phasen läßt sich bis in die ersten Millisekunden des Kosmos verfolgen.

Trotz der rasanten Entfaltung in der Erkenntnis mikro- und makroskopischer Welten hört man heute erneut einen Vorwurf, zwar nicht von mathematischer, sondern eher von politischer Seite, die Physiker hätten vielleicht zu wenig Gewissen für die Physik: In ihrem forschenden Eifer könnten sie nicht die Folgen ermessen, die sich aus dem Erkannten ergeben.

So meint man, sie sollten entweder die Forschung beenden oder sich mit Kuratoren besprechen, die die Technologiefolgen abschätzen können oder als Ethikkommissionäre über zeitlose Normen für jedwedes richtige Handeln verfügen und so

die Verantwortung der Wissenschaft stets wachzuhalten vermögen.

Dieses schlichte Modell der Kontrolle hat allerdings auch einige Haken:

• Es gibt eine interne Ethik und Verantwortung des Wissenschaftlers vor seinem eigenen Gewissen und vor der Gemeinschaft der Wissenschaftler, die optimalen Methoden zu finden, redlich zu sein, keine Daten zu fälschen oder zu ignorieren, Fehlerquellen zu lokalisieren und zu quantifizieren, den Bereich zu erkennen, in dem seine Modelle noch anwendbar sind; nicht bloß Erfolge zu melden, sondern auch das, was nach dem vorgeschlagenen Schema auch nicht funktioniert. All diese Dinge sind Kontrolloren nur schwer zu erklären.

• Ausformulierte Normen und Ko-dizes hinken meist dem akuten Erfordernis nach, ihre Motive liegen schon weit zurück und entsprechen nicht mehr den gesellschaftlichen Nöten der Zeit, wenn etwa das Eigentumsrecht auf Frauen und Viehstand mit gleichem Gewicht konstatiert wird. Das mögen jene bedenken, die mit dem Dekalog für alle Zeiten alle Weltprobleme gelöst sehen wollen.

• Fremdbestimmung einer Wissenschaft durch vagabundierende, profilierungssüchtige und aufgepfropfte Ideologien bedeuteten einen Ruin für Jahrzehnte, auch wenn sie als Vorwand zur Förderung der Wissenschaften verkauft werden sollten. Deutsche Physik, wissen-■schaftlicher Materialismus und Kulturrevolution gemäß Hitler, Stalin und Mao sind traurige Beispiele dafür. Auch dem österreichischen Uni versi tätsorganisationsge-setz lag nicht Forschung und Lehre am Herzen, sondern nutzlose und

kontraproduktive Kommissionsspiele zur Behinderung der Wissenschaft.

• In einer kreativen Wissenschaft gibt es stets Sensationen und Überraschungen. Sie läßt sich nicht auf Jahrzehnte hin planen, weil ein ehrlicher Forscher nicht genau weiß, was herauskommen muß. Technologiefolgenabschätzung ist ein ähnlich schwieriger Auftrag, weil man doch dazu etwas von Technik, Chemie und Physik im Kopf haben sollte. Allein Angst vor dem, was man nicht versteht, genügt leider nicht.

Trotzdem besteht bei uns die Tendenz, just solche Personen, die nicht wesentlich mehr als Ausweis

anbieten können, in Kontrollfunktionen zu schleusen. Kein Folgenabschätzer hätte ahnen können, daß beim Produzieren von Transuranen die Kernspaltung, und bei der Untersuchung von Isolatoren die Hochtemperatur-Supraleitung entdeckt werden würden.

Um bei der Vermeidung jeder bösen Verwendung einer Entdek-kung juristisch sicher zu gehen, könnte man generell jede Forschung verbieten; dann allerdings würde der Mensch auf den letzten Evolutionsvorteil verzichten, den er mit seiner Großhirnentwicklung gegenüber anderen Säugerfamilien hat. Ausgerechnet das ist angesichts der

anstehenden Probleme nicht zu verantworten.

• Man dürfe nicht alles Machbare machen, so heißt es. Doch das ist beileibe in Österreich keine Gefahr; denn keines von den akuten Projekten wird überhaupt in Angriff genommen. Warum behandeln die Ausschüsse bloß den Schnee vergangener Tage und nicht die Handlungsunfähigkeit, die sich hic et nunc präsentiert? Bloß von technokratischer Hybris zu reden, löst leider noch kein Problem. Unterlassungssünden zählen offenbar nicht, weil die Nonnen und Sündenregister bloß darauf abgestellt sind, daß eine stationäre Gesellschaft klaglos funktionieren kann.

Nun ist aber kaum etwas statisch oder stationär, weder Flora noch Klima, noch die Berge, die Atmosphäre und das Magnetfeld der Erde. Mit kessen Aufklebern allein wird sich wohl kaum der Lauf der Dinge in der gewünschten Richtung verändern.

Die Verantwortung der Wissenschaftler bleibt weiter Gebot, nicht bloß für lokale Umweltbelange, sondern für die globale Dynamik auf der Erdoberfläche in der Hydro- und Atmosphäre. Man kann ruhig von Weltproblemen sprechen, wobei es weder darum geht, alles Machbare zu machen oder genau zu analysieren, wieviele Billionstel des einen Stoffes im anderen enthalten sind; sondern das Wechselspiel zwischen Warmzeiten und Eiszeiten, zwischen Sauerstoff, Kohlendioxid und anderen Stoffen muß erkannt und der Haushalt so gestaltet werden, daß er dem Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen gerecht wird.

Der Autor ist Ordinarius am Institut für Kernphysik an der Technischen Universität Wien.

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