6541595-1946_43_13.jpg
Digital In Arbeit

Österreichs Nobel-Preisträger und die Fortschritte der Naturwissenschaften

Werbung
Werbung
Werbung

Eines der bedeutsamsten Ergebnisse der chemisch-biologischen Forschung der letzten zwei Jahrzehnte war die Klärung der Konstitution der Vitamine und Hormone, während in derselben Zeit der Umbau des Weltbildes der Physik durch den Ausbau der Wellenmechanik einen gewissen Abschluß erfuhr, so daß wir heute bereits an die praktische Verwertung der neugewonnenen physikalischen Erkenntnisse schreiten. Eine Verwertung allerdings, welche bisher als „Atombombe“ die Menschheit in Schrecken, versetzte, die sich aber auch als segensreich erweisen wird können, wenn die Menschheit guten Willens ist.

Der Anteil österreichischer Forsdier an diesen Großtaten wissenschaftlicher Forschung ist ein ganz erheblicher. Seit dem Bestehen der Nobel-Preise, die erstmalig 1901 verliehen wurden, haben vier Österreicher diese höchste Auszeichnung für hervorragende Leistungen auf dem Gebiete der Physik und Chemie erhalten.

• Fritz P r e g 1 wurde am 3. September 1869 in Laibach als Sohn eines Sparkassenbeamten geboren, studierte Medizin in Graz, war aber von Anfang an sehr an der medizinischen Chemie interessiert. Eines seiner Hauptforschungsgebiete war die Klärung des chemischen Aufbaues der Gallensäuren. Hiebei hatte er es mit so geringen Mengen zu tun, daß er sich genötigt sah, ein eigenes mikroanalytisches Verfahren zu ersinnen, wollte er nicht seine Untersuchungen aufgeben. Eine Menge von ein bis vier Milligramm genügt zur erfolgreichen Durchführung einer solchen Analyse, während man vor Pregl das Hundertfache davon benötigte. Ermöglicht wurde Pregls Erfindung dadurch, daß es der Feinmechanik gelungen war, sogenannte Mikrowaagen zu bauen, die bei einer Gesamtbelastung von 10 Gramm noch einen Gewichtsunterschied von ein Tausendstel Milligramm festzustellen gestatten.

Gelang es auch Pregl nicht, die Konstitution der Gallensäuren zu klären — dies gelang erst Wieland, Windaus und Diels — so wurden doch durch seine Erfindung der Mikroanalyse die Forscher der ganzen Welt befähigt, die so wichtigen Untersuchungen des Aufbaues der Vitamine und Hormone erfolgreich in Angriff zu nehmen, Fragen, die heute bereits weitgehend geklärt sind. Die Wiener Akademie der Wissenschaften zeichnete den Grazer Universitätsprofessor für Chemie 1919 mit dem Lieben-Preis aus und 1923 erhielt er den Nobel-Preis für Chemie „für seine grundlegende Erfindung der Mikroanalyse organischer Substanzen“.

Den Nobel-Preis für Chemie 1925 erhielt Richard Zsigmondy, damals Professor an der Universität Göttingen, geboren am 1. April 1865 in Wien als Sohn eines praktischen Arztes. Der Nobel-Preis wurde ihm „für seine Erklärung der heterogenen Natur kolloidaler Lösungen und für seine hiebei angewandten Methoden, die sich ab von fundamentaler Bedeutung für die moderne Kolloidchemie erwiesen haben“, verliehen.

Schon längst wußte man, daß die verschiedenen Stoffe je nach dem verwendeten Lösungsmittel entweder in einen Zustand gröberer Verteilung, dem Auge als Suspensionen durch die Trübung des Lösungsmittels kenntlich, geraten, oder aber in einen Zustand weitestgehender, offenbar bis an die einzelnen Moleküle gehender Verteilung, daß also echte Lösungen homogener Natur entstehen. Dazwischen aber klaffte die große Lücke jener Lösungen, die ob ihres geringeren Verteilungsgrades nicht als echte Lösungen angesprochen werden konnten, aber auch keine Suspensionen darstellen, da ihre Einzelteilchen schon nicht mehr mikroskopisch sichtbar sind. Da solche Erscheinungen zuerst am Leim (griechisch kolla) beobachtet wurden, nannte Graham die ganze Klasse sich

ähnlich verhaltender Stoffe Kolloide. Heute ist es gesicherter Bestand unseres Wissens, daß jeder Stoff unter gegebenen Umständen im kolloidalen Zustand auftreten kann.

Den Kolloiden rückte nun “'Zsigmondy mit seinem in Zusammenarbeit mit Siedentopf geschaffenen und einige Jahre später verbesserten Ultramikroskop an den Leib. Durch seitliche Beleuchtung mit starkem Licht konnte er zwar nicht die Teilchen selbst sichtbar machen, aber immerhin deren Beugungsbildchen. Er erfand auch einen Dialysator und das Ultrafilter zur Trennung von gelöstem Stoff und Lösungsmittel. Durch seine Erfindung erfuhr vor allem die Biochemie einen entscheidenden Auftrieb, kann man doch ohne Übertreibung sagen, daß sich fast alle Lebenserscheinungen in kolloidalen Systemen abspielen. Die Verwendung der Ergebnisse kolloidchemischer Forschung in solchen Industrien, welche mit kolloidalem Material arbeiten, vor allem in der Nahrungsmittel-, der Kautsdiuk-, der photographischen Industrie und in der Tonwarentechnik, um nur einige zu nennen, hat zu einer Verbesserung der bisher angewandten Fabrikationsverfahren und zu neuen Erfindungen geführt. . ,

Viktor Hess wurde 1883 als Sohn eines Försters auf Schloß Waldstein in der Steiermark geboren. Er promovierte 1906 in Graz, arbeitete dann unter Exner am Wiener Physikalischen Institut und wurde 1910 Assistent bei Professor Meyer am eben gegründeten Institut für Radiumforschung in Wien, wo er zehn Jahre lang wirkte. 1920 ging er als außerordentlicher Professor an die Grazer Universität, aber sdion 1921 berief ihn die United States Radium Corporation nach New Orange, damit er dort ein Forschungsinstitut errichte. Hess las auch an mehreren amerikanischen Universitäten. 1931 wurde er Direktor des Instituts für Radiumforschung an der Innsbrucker Universität. 1934 errichtete er auf dem Hafelekar bei Innsbruck eine Forschungsstation, um dort vor allem die kosmische Strahlung zu untersuchen.

Hess hat sowohl für die Erforschung der Radioaktivität als auch für die der atmosphärischen Elektrizität bedeutsame Beiträge geliefert. Es gelang ihm als ersten mittels Freiballons eine äußerst durchdringende Strahlung kosmisdier Herkunft zu entdecken, weldie zunächst allgemein als „Hess'sche Strahlung“ bekannt wurde. Der Nobel-Preis für Physik 1936 wurde zur Hälfte ihm, zur anderen Anderson (USA) zuerkannt.

Das Lehrgebäude der Physik war im ersten Viertel unseres Jahrhunderts bedenklich ins Wanken geraten. Zwar vermochte die klassische Physik mit Zuhilfenahme der Relativitätstheorie das makrokosmische Geschehen weitgehend zu deuten, allein sie versagte in ihrer Anwendung auf das inneratomare Getriebe. Plancks Quantentheorie war hier geeignet, Abhilfe zu schaffen. Niels Bohr zog sie heran, um lein Atommodell zu schaffen, welches die einfadien Spektrallinien theoretisch herzuleiten gestattete. Sommerfeld und andere Forscher verbesserten das Modell. Ungeklärt aber blieb vor allem der Dualismus Wellennatur und Korpuskularnatur des Lichtes, bis 1924 der Franzose De Broglie in kühner Schau diesen Dualismus zu einem Prinzip machte und auch der Materie Wellennatur zusprach. Die zuerst von Davisson und Germer (New York 1927) experimentell erschaute Beugung von Elektronen bestätigte seine Theorie.

Hatte De Broglie nur einen gewissen Parallelismus zwischen Teilchen und Welle angenommen, so finden wir bei Erwin Schrödinger eine völlige Verschmelzung von Teilchen- und Wellenvorstellung. Er schuf den Begriff des „Wellenpaketes“, das zunächst durch Überlagerung unendlich vieler harmonischer Wellen entsteht und nur an einer einzigen Stelle des Raumes eine beträchtliche dreidimensionale Ausdehnung aufweist, eben jene Stelle, an der wir das Massenteilchen (Elektron) antreffen. Aber einmal erweisen sich diese Wellenpakete als unbeständig — sie zerfließen mit der Zeit — und zum anderen benötigt Schrödinger bei der Anwendung auf mehrere Massenpunkte für deren jeden drei weitere Dimensionen, so daß seine Theorie nur in dem einfachsten Fall eines einzigen Massenpunktes anschaulich bleibt. Dies ist jedoch keineswegs ein Vorwurf gegen seine Theorie, es konnte auch nicht anders sein, denn es ist heute längst die Überzeugung der Physiker geworden, daß das inneratomare Geschehen anschaulich nicht begreifbar ist.

Um den Ausbau der Quanten- und Wellenmechanik haben sich in gleicherweise Heisenberg, Born, Jordan, Dirac und Schrödinger verdient gemacht. Die beiden letzteren erlreiten 1933 den .Nobel-Preis für Physik „für ihre Entdeckung neuer fruchtbarer Formen der Atomtheorie“. Der Preis wurde zwischen den beiden Forschern aufgeteilt. Erwin Schrödinger wurde am 12. August 1887 in Wien geboren. Er studierte Physik in Wien, hauptsächlich unt Hasenöhrl und promovierte in Philosophie im Jahre 1910. Im selben Jahre'wurde er Assistent Franz Exners und schon 1914 las er über theoretische Physik. Nach dem Weltkrieg ging er als Assistent Max Wiens nach Jena und in rascher Folge sehen wir ihn in Stuttgart, Breslau und Zürich wirken. Im Jahre 1927 wurde er Nachfolger von Max Planck an der Berliner Universität, aber schon 1933 verließ er Deutsdiland vor dem Hitler-Regime flüchtend und begab sich nach Dublin. 1937 wurde er Professor der theoretischen Physik in Graz, ohne dort ein neues Wirkungsfeld zu finden, da Hitler inzwisdien auch Österreich überfallen hatte. Nun hat ihn Österreich aus dem Ausland zurückberufen und Schrödinger hat sich bereit erklärt dem Rufe Folge zu leisten.

Ist Schrödingers Wellenmechanik auch eine durchaus abstrakte Theorie, so sind deren Folgerungen ebenso wie die Forschungen von Hess über die kosmische Strahlung heute jedermann greifbar geworden. Denn die Erschließung der Atomenergie ist nicht zuletzt auch ihren Forschungen mitzuver-danken.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung