6596517-1953_10_05.jpg
Digital In Arbeit

Atomenergie für den Frieden

Werbung
Werbung
Werbung

Während man meistens im Zusammenhang mit der Atomenergie nur die Greuel des Atomkrieges zu betrachten pflegt, lehnt der Nobelpreisträger Professor Dr. Otto Hahn, der Entdecker der Kernspaltung des Urans, eine eingehende Erörterung der Atombombe ab, da er die Ansicht vertritt, daß heute in einseitiger Weise nur die Gefahren diskutiert werden, die sich aus der Entfesselung der Atomenergie ergeben. Man könnte dadurch den falschen Eindruck gewinnen, daß die heutige Entwicklung der Wissenschaft und der Technik unabwendbar zu einer Vernichtung der Menschheit führen müßte, weil sie sich nur in negativer Weise auswirkten. Es war daher das Hauptanliegen seines Wiener Vortrages, die große Bedeutung der Atomenergie für die menschliche Kultur aufzuweisen. Einerseits bietet sich hier eine Energiequelle, die in Zukunft unentbehrlich sein wird, anderseits lassen sich die Strahlen, die bei den Atomreaktionen entstehen, in den verschiedensten Gebieten nutzbringend anwenden: So können viele wissenschaftliche Methoden verfeinert werden; für die Medizin öffnen sich neue Wege der Heilung; der Technik und Landwirtschaft bieten sich wertvolle Möglichkeiten der Erschließung und Nutzbarmachung technischen Materials bzw. lebensnotwendiger Naturgüter.

Die Kohlenvorräte und Erdölvorkommen unserer Erde sind beschränkt und die Erschöpfung dieser Vorräte ist nur eine Frage von Jahrzehnten, besonders wenn die raubbauartige Erschließung dieser Güter fortgesetzt wird. Abgesehen von diesen Gütern, die wir der Sonnenenergie früherer Jahrmillionen zu verdanken haben, kann die gegenwärtige Energie der Sonnenstrahlung durch die Ausnützung der Wasserkräfte verwertet werden. Aber auch diese Energie ist schon rein geographisch beschränkt und wird den Bedarf der Zukunft sicher nicht decken. Die Energie, die bei der Zerspaltung des Urankernes durch Neutronenbeschuß frei wird, ist hingegen ohne weiteres in der Lage, den Energiebedarf für Betriebs- und Heizzwecke zu bestreiten. So sei zum Vergleich angeführt, daß beim Verbrennen von einem Kilogramm Kohle 8000 Kilokalorien frei werden, während bei der Zerspaltung von einem Gramm Uran 20 Milliarden Kilokalorien frei werden. Die Kernreaktoren oder Uranmeiler, wie man diese Apparate zur Nutzbarmachung der Atomenergie nennt, leiden aber noch an den verschiedensten technischen Schwierigkeiten, so daß sie erst beschränkte Verwendung finden. So handelt es sich darum, daß die verwendeten Materialien nicht durch die erzeugte Hitze schmelzen oder in unerwünschte chemische Verbindungen eingehen; die Isolierung der Strahlung bildet ein ähnliches Problem. Es ist aber nur eine Frage von wenigen Jahren, diese Schwierigkeiten zu beseitigen und die Atommeiler auch für eine umfassendere Energiererzeugung zu verwenden.

Ein wertvolles Nebenprodukt der Uranspaltung sind die Neutronen, die neben den schweren Spaltprodukten frei werden. So bildet also ein Stück Uran, in dem ein solcher Spaltungsprozeß im Gange ist, eine nützliche Neutronenquelle. Die ausgesandten Neutronen können nun die verschiedensten, an sich stabilen Elemente künstlich radioaktiv machen. So wird zum Beispiel Natrium und Phosphor durch Neutronenbestrahlung veranlaßt, selbst bestimmte Strahlen auszusenden. Da nun die Strahlung jedes einzelnen Atoms durch geeignete Zählinstrumente festgestellt werden kann, bieten diese strahlenden Elemente die Möglichkeit, auch beliebig kleine Mengen festzustellen oder zu verfolgen. Dies bildet für die Verfeinerung wissenschaftlicher Forschungsmethoden einen entscheidenden Fortschritt.

Tn der Medizin benötigt man zur Behandlung von Karzinomen entweder weiche oder durchdringende Strahlen, je nachdem, ob eine Oberflächenbehandlung oder eine Tiefenbehandlung notwendig ist. Durch die Möglichkeit, beliebige Elemente radioaktiv zu machen, stehen uns aber die verschiedensten Strahlensorten zur Verfügung. Ein anderes Beispiel: Die roten Blutkörperchen werden im Knochenmark erzeugt. Treten nun Ausfallserscheinungen auf, welche durch eine Bestrahlung geheilt werden könnten, so ist wegen des Knochenpanzers eine direkte Bestrahlung nicht möglich. Macht man aber Phosphor radioaktiv, so kann sich dieser auf dem Wege der Nahrungsaufnahme im Knochenmark absetzen und dort die kranke Stelle bestrahlen. Durch die Aktivierung von Arsen konnte man feststellen, daß das Arsen, das zur Ab-tötung des Zahnnervs verwendet wird, sich in der Zahnsubstanz verbreitet und so die Widerstandsfähigkeit des Zahnes gefährdet. Das Eisen, das in den roten Blutkörperchen enthalten ist, kann auch aktiviert werden; spritzt man nun eine bestimmte Menge des „aktiven Blutes' in die Blutbahn ein und stellt nach gleichmäßiger Durchmischung die Abnahme der Aktivität fest, so kann man sehr leicht das Blutvolumen bestimmen. Diese etikettierten Atome sind also in der Lage, uns über die verschiedensten Vorgänge und Zustände Auskunft zu geben: Man spricht daher auch von Indikatoren. Die Geschwindigkeit der Nahrungsaufnahme läßt sich nun auch leicht feststellen: Man aktiviert das im Kochsalz enthaltene Natrium und kann bereits wenige Minuten nach der Kochsalzaufnahme mit den Zählapparaten, die zur Feststellung der radioaktiven Strahlen dienen, das aktive Kochsalz in den Fingerspitzen identifizieren. Ist die Schilddrüse aus Jodmangel erkrankt, so kann man die Einverleibung von Jod in die Schilddrüse ohne Schwierigkeit verfolgen, wenn man dem normalen Jod Spuren von radioaktivem Jod beifügt.

In der Biologie wird die Aktivierung von Nahrungsmitteln und Aufbaustoffen zur Erforschung der biologischen Prozesse verwendet. Beispielsweise erhofft man sich mit Hilfe der radioaktiven Indikatoren eine Aufklärung darüber, wie die Pflanze aus Kohlensäure und Wasser die organischen Substanzen aufbaut. Die Aktivierung der Düngemittel erlaubt es, deren Aufnahme durch die Pflanze zu verfolgen und so eine rationelle Auswahl dieser Stoffe zu treffen. Darüber hinaus ist die Bestrahlung pflanzlicher Organismen zur Steigerung des Ernteertrages von besonderer Bedeutung. Die Stoffwechselfunktionen sind nun einer eingehenden Erforschung zugänglich, weil die wichtigsten Aufbaustoffe, wie Kohlenstoff, Phosphor, Kalzium, Eisen, alle aktiviert werden können.

Die Gammastrahlen, eine Wellenstrahlung, die bei vielen Umwandlungen des Atomkerns auftritt, kann in der Technik zur Feststellung von Gußfehlern und von Materialstrukturen verwendet werden, da diese Strahlen je nach der Beschaffenheit des Materials leichter oder schwerer durchdringen können. Durch die Beimengung aktiver Substanzen in Flüssigkeiten kann man die Strömung und auch Störungen in komplizierten und weitläufigen Leitungssystemen verfolgen, was sonst mit größten Schwierigkeiten verbunden wäre.

Die Chemie verdankt der künstlichen Radioaktivität eine Reihe von Methoden und Entdeckungen: So wurden zwei Elemente, die in der Natur nicht vorkommen, und daher im Periodischen System der Elemente fehlten, durch künstliche Kernumwandlungen erzeugt, und zwar die Elemente mit den Ordnungszahlen 43 und 61. Die Elemente mit den Ordnungszahlen 85 und 87, die auch in der Natur nicht vorkommen, wurden als Nebenprodukte radioaktiven Zerfalls entdeckt; eines davon von Frau Professor Karlik, Vorstand des Wiener Radiuminstitutes. Es wurden aber nicht nur die Lücken des Periodischen Systems ausgefüllt, so daß man nun alle Elemente zwischen dem Wasserstoff als leichtestem und dem Uran als schwerstem Element hatte, sondern es gelang durch das Anlagern von Neutronen an das Uranisotop mit dem Atomgewicht 238, transuranische Elemente, also Elemente, die noch schwerer als das Uran sind, zu erzeugen. So hat man Elemente mit den Ordnungszahlen 93 bis 98 entdeckt: Das Neptunium, Plutonium, Ame-ricium, Curium, Berkelium und Californium (die beiden letzten Elemente wurden nämlich in Berklev, Kalifornien, entdeckt). Durch die künstliche Aktivierung gelang auch eine Trennung der seltenen Erden, welche in normalem Zustand äußerst schwierig ist. Außerdem ergibt sich durch die „Etikettierung“ der einzelnen Atome (indem man sie nämlich zu

Strahlern macht), die Möglichkeit, in einem Element Anteile von Isotopen festzustellen, die so gering sind, daß man sie auf eine andere Weise nicht mehr feststellen kann. Die Eigenschaften von Kristallen, Kolloiden, die Oberflächeneigenschaften verschiedenster Substanzen lassen durch radioaktive Verfahren eine elegante Erforschung zu.

Für die Physik bedeutet schließlich die Umwandlung der Atomkerne einen Einblick in die Struktur der Kernkräfte, die für den Physiker noch ein Neuland ist; es richtet sich daher heute das Hauptaugenmerk der Atomphysiker auf die grundlegenden Zusammenhänge der Elementarteilchen, zu deren Aufklärung die Verwendung der Atomenergie eine wesentliche Voraussetzung ist. Dieser Ausschnitt aus den friedlichen Anwendungen der Atomenergie zeigt, wie sie auf die verschiedensten Bereiche der Kultur ein neues und erfreuliches Licht wirft. Wenn daher die Atombombe als Ertrag der Forschung heute in aller Mund ist, so soll man doch nicht übersehen, daß die Atomenergie in erster Linie kultur- und segenbringend ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung