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Lebewesen delektieren Schadstoffe

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Bei bioindikativen Verfahren wird der lebende Organismus quasi als Meßinstrument eingesetzt und damit zum „biologischen Radar".

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Bei bioindikativen Verfahren wird der lebende Organismus quasi als Meßinstrument eingesetzt und damit zum „biologischen Radar".

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Genügt es, die Überwachung der Urpweltqua-htät ausschheßhch technischen Meßinstrumenten zu überlassen, die auf die Einhaltung von Rieht- und Grenzwerten achten? Viele Umweltwissenschaftler haben gute Gründe, diese Frage mit einem klaren „Nein" zu beantworten. Trotz der raschen Weiterentwicklung der Gerätetechnik mit immer niedrigeren Nachweisgrenzen, einer immer größeren Anzahl von analytisch faßbaren Stoffen und immer komfortablerer Datenerfassung, -auswertung und -Übertragung sind dem physika-hsch-chemischen Monitoring Grenzen gesetzt: die Menge der in Frage kommenden Schadstoffe ist so groß, daß nur ein Teil der Stoffe identifiziert und von diesen wiederum nur ein begrenzter Anteil quantitativ analysiert werden kann.

Wechselwirkungen zwischen den Schadstoffen werden ebensowenig, erfaßt wie Beeinflussungen der Schadstoffwirkungen durch wechselnde klimatische Faktoren. Gerade diese Wechselwirkungen sind es aber, die das Ausmaß der tatsächlichen Streßreaktionen von Lebewesen bestimmen und die nur aufgrund der Meßdaten einzelner Umweltparame-ter nur schwer vorherzusagen sind. Während das technische Meßgerät Informationen über die Konzentrationswerte einzelner Schadstoffe zu hefern vermag, läßt der Bioindikator-Organismus Schlüsse auf die biologischen Schadstoffwirkungen unter den jeweiligen, ganz spezifischen Umweltbedingungen zu.

Bioindikatoren können das analytische Defizit der instrumentellen

Meßtechnik ausfüllen. Bei den bioindikativen Verfahren wird der lebende Organismus selbst (Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere) quasi als Meßinstrument eingesetzt. Es sind die Veränderungen der Lebensfunktionen oder auch Anreicherungen von Schadstoffen in den lebenden Geweben, die als eigentliche Meßgrößen erfaßt werden müssen. Diese körmen teils bereits mit freiem Auge erkennbar sein, teils offenbaren sie sich nur durch chemische Analytik.

UMWELTÜBERWACHUNG

Würde man sich bei der Anwendung des Biomonitorings („biologische Umweltüberwachung") nur auf das Etikett „biologisch" verlassen, wäre es um die Aussagekraft und Verwertbarkeit der Methoden schlecht bestellt. Wirkungsbezogene, biologische Meßverfahren müssen daher bestimmten Anforderungen an die Kermgrößen Reproduzierbarkeit, Exaktheit, Spezifität, Empfindlichkeit und Übertragbarkeit genügen. Die Auswahl an Methoden ist daher auf relativ wenige, etablierte Verfahren beschränkt, doch werden auch laufend neue Verfahren entwickelt und erprobt. Dies soll an einigen Fallbeispielen erläutert werden. ■ Fließgewässer, Abwässer oder Kläranlagen brauchen eine Schnellindikation von Schadstoffen, wenn es xmi den Schutz der Trinkwassergewinnung oder um eine Vermeidung von

Schadstoffeinträgen in Gewässer geht. Es karm beispielsweise die Atmungsfrequenz von Forellen, die Schwimmaküvität von Fischen oder Wasserflöhen (Daphnien), die Chlorophyllfluoreszenz von Algen oder die Lumineszenz von Leuchtbakterien gemessen werden.

■ In einem Waldschadensgebiet sollen die wichtigsten Streßfaktoren untersucht werden, die das Baumsterben ausgelöst haben könnten. Zusätzlich zu detaillierten Standortuntersu-chimgen werden an Holz und Nadelblättern der Probebäume genaue Analysen von physiologischen und biochemischen Parametern durchgeführt sowie die Nähr- und Schadstoffgehalte bestimmt. Die Ergebnisse erlauben Gewichtungen der Bedeutung von klimatischen Streßfaktoren, Nährstoffungleichgewichten, Bodenverhältnissen, Pflanzenkrankheiten und -Schädlingen sowie gasförmigen Luftschadstoffen (Ozon).

■ Ein Industriebetrieb hat Emissionen von Schwermetallen durch Filter reduziert. Zur Prüfung der Minderung der Immissionen auf die umliegende Vegetation werden standardisierte Graskulturen in einem flächendeckenden Raster in der Umgebung des Betriebes aufgestellt. Das Gras akkumuliert die relevanten Schwermetalle, die Gehalte werden chemisch bestiimnt. Mit einem parallel durchgeführten Gefäßversuch unter Verwendung von Boden aus der Umgebung des Betriebes kann bestinmit werden, wie groß der Anteil von Schwermetallen ist, der von den Pflanzen laufend aufgenommen wird. Mit den standardisierten Graskulturen wird der Anteil der luftgetragenen Irmnissionen bestimmt.

■ Es ist die Schwermetallbelastung eines großflächigen Gebietes zu bestimmen. Als Bioindikatoren dienen freilebende Wildtiere (Hasen, Rehe), indem bestimmte Organe (Leber, Nieren) der Abschüsse auf Schwermetallgehalte untersucht werden.

■ In einem Ballungsgebiet imd seiner agrarischen Umgebung soll untersucht werden, wie sehr die regional konzentrierte Produktion von Ozon-Vorläufersubstanzen die biologische Wirkung der Photooxidantien auf die Vegetation beeinflußt. Durch die Exposition verschiedener Pflanzenkulturen mit unterschiedlicher Ozonempfindlichkeit - etwa Tabak, Klee, Buschbohne, Kleine Brennessel - sind differenziertere Rückschlüsse auf die Belastung als mit einem Einzelorganismus mögüch. Die Auswertung beruht auf den Untersuchungen sichtbarer Schädigungen der Blätter und auf Wachstumsreduktionen der Versuchspflanzen. Die Einbeziehung landwdrtschaftlich relevanter Indikatorarten erlaubt Rückschlüsse auf mögliche wirtschaftliche Beeinträchtigungen in der Pflanzenproduktion.

■ In der Umgebung eines großstädtischen Industriegebietes soll der Immissionseinfluß auf die umliegenden Waldgebiete untersucht werden. Zur Erkermung des langjährigen Einflusses biologisch wdrksamer Luftverunreinigungen wird im Rahmen einer Waldzustandserfassung die Flechtenvegetation kartiert. Je mehr verschiedene Flechtenarten auf einer bestimmten Fläche vorkommen, desto geringer ist die Irrmiissionsbelastung.

■ Die Emissionen einer kommunalen Müllverbrennungsanlage könnten möglicherweise Obst und Gemüse in umliegenden Hausgärten mit organischen Schadstoffen belasten. Um einen Positiv- oder Negativnachweis zu führen, wird rund um die Anlage ein Mel3netz mit standardisierten Grünkohlkulturen errichtet. Diese haben für organische Luftschadstoffe ein hohes Anreicherungsvermögen. Die chemische Analytik der Kohlblätter am Ende der Expositionsperiode gibt Aufschluß über eine Beziehung zwischen Entfernung von der Verbreimungsanlage und den Schadstoffgehalten der Pflanzen. Diese Schadstoffkonzentrationen sind ein Maß für die Gefährdung der menschhchen Gesundheit.

KOMBINIERTER EINSATZ

Allen Beispielen ist gemeinsam, daß auch mit rein instrumentellen Meßkampagnen wichtige Teilergebnisse zu erzielen wären. Sind auch Aussagen über biologische Wirkungen gefragt, liefert die zusätzliche Verwendung von Bioindikatoren vor Ort wesentlich aussagekräftigere Informationen als der Rückgriff auf die publizierte Literatur. Die unterschieali-, chen Stärken und Schwächen bioin-" dikativer Verfahren und physika-hsch-chemischer Immissionsmessungen machen die Notwendigkeit des kombinierten Einsatzes deuthch. Die Hauptaufgaben der Immissionskontrolle - die Emittentenüberwachung, der ökologische Bereich von Umweltverträglichkeitsuntersuchungen oder die langfristige Überwachung ökologisch sensibler Flächen - werden am besten zu erfüllen sein, weim der Betrieb und die Ergebnisinterpretation von technischen Inmiissions-meßnetzen mit dem Einsatz von Wirkungsmeßnetzen auf der Basis von Bioindikatoren gekoppelt werden.

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