6553478-1948_08_12.jpg
Digital In Arbeit

Sonnenfleckenjahr 1948

Werbung
Werbung
Werbung

In der. letzten Zeit war wieder viel davon die Rede, daß das Jahr 1948 eine besondere Aktivität in bezug auf Sonnenflecken aufweisen wer3e. Verschiedentlich wurde sogar behauptet, daß die stärkste Sonnenfleckentätigkeit seit Jahrzehnten zu erwarten sei. An diese von Astronomen aufgestellte und offenbar wohlbcgründete Behauptungen knüpften sich aber sofort von mehr oder weniger wissenschaftlicher Seite Schlußfolgerungen über die Auswirkungen auf meteorologische, klimatologische, biologische und ähnliche Vorgänge. So wurde neben besonderen Witterungserscheinungen unter anderem auch ein starkes Auftreten der epidemischen Erkrankungen für 1948 vorhergesagt. Es erscheint daher nicht ganz überflüssig, derartige Behauptungen auf ihre wissenschaftliche Grundlage zurückzuführen und aufzuzeigen, welchen Standpunkt die moderne Wissenschaft solchen Prophezeiungen gegenüber einzunehmen hat.

Wenn auch von de- immensen Strahlungsenergie, die die Sonnenoberfläche ausstrahlt, nur ein ganz kleiner Bruchteil die Erdoberfläche erreicht, so ist letzten Endes für die klimatischen Verhältnisse, für den Ablauf des ganzen Wettergeschehens und darüber hinaus für das gesamte biologische Entwicklungsstadium dennoch diese Sonnenenergie verantwortlich zu machen. Es kann also keineswegs verwundern, wenn besondere Witterungsabläufe und überhaupt abnormale Naturereignisse, Naturkatastrophen, wie Erdbeben, Vulkanausbrüche, Stürme, aber auch besondere biologische Vorgänge durch eine mehr oder weniger große „Sonnenaktivität“ erklärt wurden. Als Ausdruck für diese Sonnenaktivität fand man bald die stark unterschiedliche Fleckentätigkeit auf der Sonnenoberfläche, die eine ausgesprochene Periodizität in ihrem Auftreten aufweist. Für diese Periodizität existieren folgende Erklärungen: Die Eigenrotation der Sonne bewirkt bekanntlich, daß wir von der Erde aus gesehen einen Punkt auf dem Sonnenäquator in 27 Tagen einen Umlauf vollziehen sehen, wodurch auch bei gleichbleibenden Fleckenbildungen eine Periodizität der Fleckentätigkeit auf der tins jeweils zugekehrten Sonnenoberfläche auf- tritt. Darüber hinaus fand man bei der Untersuchung der bisher zugänglichen Zeiträume eine Schwankung von einem Sonnenfleckenmaximum zum nächsten zwischen 7 und 17 Jahren. Im allgemeinen weicht jedoch diese Zeitspanne zwischen zwei Maxima nicht viel von einer 1 l'/gjährigen Periode ab. Die Stärke der Maxima ist jeweils sehr verschieden.

In den letzten Jahren hat die Sonnenforschung in mehr als einer Hinsicht einen großen Auftrieb erhalten. Es wurden noch während des Krieges von allen größeren Staaten besondere Sonncnüberwachungs- stemwarten eingerichtet, da man gewisse Erscheinungen in der Erdatmosphäre und auf der Erdoberfläche in ursächlichen Zusammenhang mit den Sonnenflecken und Sonnenprotuberanzen hatte bringen können. Es handelt sich dabei um die Störungen in den Schichten der sogenannten Ionosphäre, den zuerst von Kennelv und Heaviside entdeckten elektrisch leitenden Schichten der hohen Atmosphäre zwischen 100 und 300 Kilometer Höhe, die an der Ausbreitung der elektromagnetischen Wellen über größere Distanzen maßgebend beteiligt sind. Diese Störungen, die ihren sichtbaren Ausdruck in dem Auftreten von Polarlichtern wie in Störungen im erdmagne-’ tischen Feld finden, haben ihre primäre Ursache in elektrisch geladenen Partikeln, vornehmlich Elektronen, die von der Sonnenoberfläche, und zwar vor allem von den Fleckengebieten, ausgesandt werden und bis in die obersten Schichten unserer Atmosphäre gelangen, um dann dort einerseits das Phänomen der Polarlichter und andererseits die Störungen in den elektrischen Schichten der Ionosphäre zu verursachen. Die Bedeutung dieser Störungen für die Funkübertragung und drahtlose Nachrichtenübermittlung ist klar.

Eines ist also zweifellos zu behaupten: sollte das Jahr 1948 wieder eine äußerst starke Fleckentätigkeit auf der Sonne bringen, dann sind sicher größere Störungen in der Funkübertragung, Störungen im erdmagnetischen Feld und Polarlichter auch in niedrigeren Breiten zu erwarten.

Wie steht es aber mit den anderen Naturerscheinungen, die man mit der Sonnenfleckentätigkeit in Zusammenhang gebracht hat? Auch hier hat die Wissenschaft bereits Vorarbeit geleistet, ohne aber nur annähernd so eindeutige Zusammenhänge wie bei den Polarlichtern und Funkstörungen finden zu können. Wir haben eben erwähnt, daß von der Sonne neben der gewöhnlichen Strahlung, die ja bekanntlich entsprechend einer ungefähren Oberflächentemperatur von 6000 Grad ihr Maximum im sichtbaren Licht hat, noch elektrisch geladene Partikel ausgesandt werden. Die neuesten Ergebnisse der Sonnenforschung lassen es als ziemlich erwiesen ansehen, daß auch noch andere kurzwellige Strahlungen neben der gewöhnlichen Sonnenstrahlung speziell von den Fleckengebieten der Sonne ausgehen. Die Intensität dieser anderen Strahlungsgattungen ist jedoch im Vergleich zur eigentlichen Sonnenstrahlung verschwindend gering. Trotz der Unsicherheit der Strahlungsmessungen scheint es bewiesen, daß die Gesamtenergie der uns von der Sonne zugesandten Strahlung konstant ist. Man .bezeichnet ja auch die uns auf einer mittleren Entfernung von 150 Millionen Kilometern zugestrahlte Energie an der Grenze der Atmosphäre als „Solarkonstant e“. Sie beträgt nach den neuesten Messungen 1,94 Gramm Kalorien pro Quadratzentimeter und Minute. Man hat nun versucht, die geringen Schwankungen dieser Größe, obwohl auch eine unkontrollierbare Lufttrübung eine solche Schwankung vortäuschen konnte, mit den Sonnenflecken und weiter auch mit dem Wettergeschehen auf der Erde in Zusammenhang bringen. Doch müssen diese Versuche als wenig befriedi gend bezeichnet werden.

Eine andere Möglichkeit, zwischen der Fleckentätigkeit und gewissen Vorgängen auf der Erde einen Zusammenhang zu finden, ergab sich daraus, daß man auf Grund langjähriger Statistik bei den verschiedensten Naturereignissen Periodizitäten aufdeckt, um sie mit denen der Sonnenflecken zu vergleichen. Dazu ist zu sagen, daß in den meisten Fällen zu kurze Untersuchungsreihen (vielfach nur wenig über 100 Jahre) vorliegen, um da eine eindeutige Entscheidung treffen zu können.

Allerdings hat man bei manchen solchen meteorologischen Reiben eine beachtenswerte Parallelität zu den Sonnenflecken- Perioden finden können So vor allem bei den Reihen der mittleren Temperatur in den Tropen und dem Wasserstand gewisser afrikanischer Seen. Aber gerade bei dem letzten erwähnten Beispiel konnte man sehen, wie leicht eine solche Parallelität täuschen konnte. Der Wasserstand des Viktoriasees in Afrika zeigte bis in die Mitte der dreißiger Jahre eine auffallende Gleichläufigkeit mit den Sonnenfleckenperioden, aber dann stimmte die Sache plötzlich nicht mehr, und in den folgenden Jahren zeigten sich immer größere Abweichungen. Gerade an diesem Beispiel kann man also erkennen, wie vorsichtig man mit Schlüssen aus solchen Statistiken sein muß.

Natürlich ließ man es bei der Suche nach Perioden nicht bei den rein meteorologischen Elementen bewendet sein, sondern dehnte die Untersuchung auf alle nur erdenklichen Vorgänge in Natur und Leben aus. Die Vulkanausbrüche und die Sterblichkeit durch Infektionskrankheiten wurden ebenso der Abhängigkeit von der

Sonnenfleckentätigkeit verdächtigt, wie etwa der Rindviehbestand großer Landstriche oder der Anflug der Zugvögel. Man suchre im industriellen und ökonomischen, ja sogar im politischen Leben nach Perioden, fand auch welche und setzte sie dann unbedenklich in Beziehung zur Sonnenfleckentätigkeit. Wissenschaftlich sind diese letzteren Zusammenhänge keineswegs erwiesen. Ebensowenig sind die Ergebnisse geeignet, zur Vorhersage von Naturereignissen in besonderen Sonnenfleckenjahren verwendet zu werden.

Auch was die Witterungserscheinungen im engeren Sinn anlangt, liegen die Dinge nicht so, daß, wie die „Sonnenfleckengläubigen" erwarten, mit dem Auftreten vermehrter Fleckentätigkeit auf der Sonne, sich das Wetter auf der Er le plötzlich oder gar katastrophal ändern müsse. Vor solchen voreiligen Schlüssen kann nicht genügend gewarnt werden. Vielleicht wird die zukünftige Forschung mehr Klarheit in den verwickelten Fragenkomplex bringen. Gegenwärtig sind wir jedenfalls noch weit davon entfernt, derartige Probleme als gelöst betrachten zu dürfen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung