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Digital In Arbeit

Medizintechnik, die große Verheißung

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Trotz ihrer Querschnittslähmung oder Amyotrophen Lateralsklerose (ALS), bei der der Körper von unten ansteigend immer gelähmter wird, bis nur noch der Kopf davon ausgenommen ist, geben viele dieser Kranken nicht auf. Die Technik ermöglicht ihnen, selbst bei Totallähmung noch irgendwie zu kommunizieren: Ein Lidschlag, das Zucken mit der Schulter oder bloß der Blick mit dem Auge genügen schon, um ja oder nein zu signalisieren -langsam, langsam können auf diese Weise Buchstaben gefunden, Worte geformt, Sätze gebildet werden. Ein französischer schwerst Behinderter hat kürzlich durch sein Buch, das in jahrelanger Arbeit auf diese Weise entstanden war, Aufsehen erregt.

Versetzt man sich in die 1 .age eines Menschen in solcher Situation, kann man sich unschwer vorstellen, wie se gensreich es wäre, könnte man die mühsam stockende „Konversation" beschleunigen.

Gerade daran arbei ten Wiener Wissen s< haiter an der Techin sehen Universität. Wolfgang L. Zagler von der Arbeitsgruppe für Rehabilitations technik fortec am Insti tut für allgemeine Elektrotechnik: „Wir wollen die Eingabe beschleunigen. Menschen mit einer motorischen Behinderung brauchen oft eine bis fünf Sekunden, bis ein Buchstabe geschrieben' ist. Nun ist es so, daß die deutsche Sprache ein hohes Maß an Bedundanz hat. Wenn man mitdenkt, steht das fertige Wort oft schon nach den ersten paar Buchstaben vor Augen, und hat man erst ein bis drei Worte geschrieben, ergibt sich automatisch der ganze Satz.

In der Konversation geht es einem oft so, daß man schon weiß, was der andere sagen will, bevor er noch zu Ende gesprochen hat. Der Computer kann sich das" zunutze machen."Die Techniker arbeiten nun an einem Programm, das dem Benutzer jeweils nach einer Eingabeeines Buchstabens oder eines Wortes mehrere mögliche, wahrscheinlich erscheinende Fortsetzungen vorschlägt. Befindet sich das Gemeinte darunter, kann man es be stätigen und hat sich die mühsame Eingabe sämtlicher Buchstaben erspart. Das Programm prüft also den Kontext, in dem „gesprochen" wird und wählt dementsprechend wahrscheinliche Wörter aus.

NIERENVERSAGEN: DIALYSE-PLATZE SIND RAR

Mehrere hundert Menschen in Oster reich sind, um überleben zu können, auf Blutwäsche (Dialyse) angewic sen. Ihre Nieren sind weitgehend oder total ausgefallen, schädliche Stoffwechselprodukte können daher nicht mehr aus dem Blut gefiltert werden. Die große Hoffnung ist die Transplantation: aber Transplantationsnieren sind rar und oft müssen die Kranken viele Monate bis Jahre warten, bevor sie an der Beihe sind.

Aber auch Dialvseplätze sind rar. Der Wunsch ist also begreiflich, die vorhandenen Hinrichtungen optimal EU nutzen. Universitätsprofessor Thomas Kenner, physiologisches Institut der l 'nivcrsität Graz: „Es hat sich gezeigt, daß man die Blut wasche nur bis zu einem gewissen (irad beschlcuni gen kann. Pumpt man nämlich das Blut zu schnell aus den Blutgefäßen in die Blutwäsche, strömt es auch aus den Geweben heraus *&#9632; und das ist schädlich. Andererseits darf die Blutwäsche auch nicht zu langsam durchgeführt werden -das ist zwar medizinisch ungefährlich, ökonomisch aber ist es eine Verschwendung. Das genau richtige Maß zu finden, ist derzeit einer der Forschungsschwerpunkte an meinem Institut. Ziel: Es sollen so viele Patienten wie möglich behandelt werden, ohne daß sich dabei Gefahren ergeben."

ALLE COMPUTER DER WELT-ZWEI MENSCHENHIRNE

Pro Sekunde kann das menschliche Gehirn mehrere Millionen Instruktionen verarbeiten. Das Besondere dabei liegt aber weniger in der Quantität als vielmehr in der Fähigkeit, netzartig Informationen zu verknüpfen. Dadurch wird das Gehirn jedem Com puter haushoch überlegen.

Würde man sämtliche Parallelcomputer, die derzeit auf der Welt existieren, zusammenschalten, ergäbe das eine Leistung von 15 Megawatt. Damit aber könnte man bloß zwei Gehirne simulieren, die jeweils mit 15 Watt funktionieren.

Pro Kubikmillimeter Hirnrinde zählt man 10.000 bis 100.000 Nervenzellen und vier Kilometer Nervenfasern. Schließt man am Kopf eine Elek -trode an, erfaßt man damit eine Fläche von zwei Quadratzentimetern. Alle damit erfaßten Nervenzellen aber haben wieder Kontakt zu jeweils bis zu 10.000 synaptischen Verbin düngen.

Die biomedizinische Hirnforschung ist mit ihren bisher vergleichsweise simplen Möglichkeiten, die Reizverarbeitung im Gehirn zu verstehen, erst ganz am Anfang einer langen, komplexen und vielleicht nie endenden Erkenntnisreise ....

(Informationsquelle: Universitäts professor Gert Pfurtscheller, Graz)

ERASMUS IN GRAZ

Im Rahmen des europäischen ERASMUS Programms arbeitet derzeit die junge Schwedin Cann Hertnäs (aus Norsköpping am Grazer Ludwig Boltzmann Institut für Medizinische Informatik und Neuroinfonnatik. Ihre Diplomarbeit in Elektrotechnik wird ein Computerprogramm sein, das die technischen Meßresultate im Rahmen eines Projekts, Gedanken impulse in elektrische Signale umzuwandeln, beschreibt,

INTERFACE ALS AUGE

„Es wird sicher einmal möglich sein, das Auge wenigstens in Teilaspek ten - zu ersetzen", zeigt sich Universitätsprofessor Frank Rattay (Institut für Analysis, Mathematik und Versi cherungsmathematik an der TU Wien) zuversichtlich, was die Zukunft der biomedizinischen Technik betrifft. „Derzeit steht man natürlich total an, wenn man versucht, die eine Million Nervenfasern, die den optischen Nerv ausmachen, gezielt zu verwenden. Man müßte gleichzeitig eine Million unterschiedlicher Signale abgeben können, und das Sekunde für Sekunde. Ich rechne allerdings damit, daß man in zehn bis 20 Jahren imstande sein wird, das natürliche Ner-venwachstnm zu benutzen."

Rin mögliches Modell: Man präpa riert den verletzten Nerv beidseits der Verletzung und setzt eine Miniaturplatte dazwischen, in der eine Unmenge winziger Ixicher gebohrt wurde - ein Minisieb. Durch Nerven Wachstumsfaktor kann man die Nervenenden anlocken, sich wieder - durch das Sieb miteinander zu verbinden. I egt man nun an jede Öffnung eine Elektrode an, kann man viele einzelne Signale durchschicken. Man hätte also ein Interface, das ein Infonnationsmuster ergibt.

Die entsprechenden Informatio neu kämen von der Netzhaut, iüVrdie man cm engmaschiges l'unktmuster gelegt hat. Die dort verarbeiteten Signale können von einer Minifernsehkamera kommen, die beispielsweise an der Nasenwurzel mon tiert wäre - eine mo derne Form des griechischen Mythos vom Polyphem mit dem einen Auge in der Stirn mitte. Für anfangs einfache Aufgaben, wie etwa das Erkennen von Buchstaben, könnte das technisch reichen.

Ist man einmal soweit, ist die Anpassung an elektromagnetische Muster verschiedener Art auch möglich. Anders gesagt: Ein Mgnsch mit einem solchen künstlichen Auge könnte auch zum Beispiel im Infrarotbereich sehen.

Professor Rattay arbeitet gemeinsam mit Dr. Greenberg, Harvard, USA, an einem Computermodell der elektrischen Stimulation der Ganglienzellen an der Netzhaut. Ziel: Ein Implantat für Blinde, das (wenigstens rudimentäres) Sehen ermöglichen soll.

CHAOTISCHES RAUSCHEN IST KEIN „MIST"

Penible Musikliebhaber kann es zur Weißglut treiben, so manchem Radiojournalisten hat es schon die Tonbandaufnahme verdorben: Das Hintergrundrauschen. Dieses Bauschen ist ständig vorhanden; normalerweise eliminiert das Gehirn als Wahrnehmungsapparat die chaotischen lauts-tnikturen. Erst durch unbestechliche technische Geräte (Mikrophon und dann Schallplatte, Tonband) wird es wieder hörbar.

Für gute Tonaufnahmen bemüht man sich normalerweise, das Rauschen zum Schweigen zu bringen die CD ist der momentane Gipfel der Möglichkeiten dazu.

In der biomedizinischen Technik-forschung hat sich nun aber ein interessanter Effekt gezeigt, der dem Rauschen plötzlich einen ganz neuen Status zumißt: Was bisher als „Abfall", als „Mist" gegolten hat, ist vielleicht notwendig, um ganz Ix-sonders feine Signale überhaupt erst wahrzunehmen!

Der Wiener Mathematiker Professor Frank Rattay, Technische Universität Wien, „Gemessen an den anatomischen und physiologischen Gegebenheiten des menschlichen Innenohrs, dürften wir ganz feine Töne eigentlich gar nicht hören. Die thermischen Bewegungen der Flüssigkeit im Innenohr bringen Schwingungen hervor, die zehnmal stärker sind als es den leisesten Tönen entspräche".

Das heißt: Eigentlich sind die Instrumente zum Hören viel zu grob, um ganz fein hören zu können.

Wieso hören wir dennoch auch ganz I>eises? Rattay: „Es scheint mit dem Rauschen zusammenzuhängen, also mit den thermischen unregelmäßigen,sozusagen chaotischen Bewegungen. Das starke, reine Signal allein würde nicht zur Wahrnehmung führen. Wenn aber das Rauschen -in vielen Nervenfasern dabei ist, hört man auf einmal. Offenbar braucht das Gehirn diesen Klangteppich, um durch ihn hindurch Regularitäten in den Feuerungsmustern feststellen zu können, die sich aus ganz feinen Geräuschen ergeben."

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