Graz im Aufwind

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Die medizinische Fakultät Graz liegt zwar im Vergleich hinter Wien und Innsbruck, aber die Wissenschafter in Graz holen auf.

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Die medizinische Fakultät Graz liegt zwar im Vergleich hinter Wien und Innsbruck, aber die Wissenschafter in Graz holen auf.

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Im direkten wissenschaftlichen Vergleich zu den beiden anderen Medizinischen Fakultäten in Österreich - Wien und Innsbruck - liegt Graz an dritter Stelle. Graz ist aber im Aufwind: Der Renommierfaktor "Impact", der angibt, wie oft eine veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit im statistischen Mittel zitiert wird, hat von 1996 auf 1997 zugenommen. Das heißt, sowohl Qualität als auch Quantität der Forschungsaktivitäten sind gestiegen.

Was in den Labors, Instituten und Kliniken in Graz erarbeitet wird, erfüllt oft internationales, manchmal auch Weltspitzenniveau. Ohne Wertung werden nun einige der im Jahr 1997 insgesamt 400 publizierten Arbeiten in Graz beispielhaft vorgestellt.

Interdisziplinär erforscht ein Team aus Ärzten und Mikrobiologen unter der Leitung von Universitätsprofessor Ernst Pilger von der Klinischen Abteilung für Angiologie, eine faszinierende neue Möglichkeit, Menschen mit koronarer Herzkrankheit zu helfen. Dabei werden die modernsten Möglichkeiten der Gen-Forschung eingesetzt.

Kurz gesagt geht es darum, den Körper zu stimulieren, selbst einen Bypaß zu konstruieren. Ein Bypaß ist eine Umgehung: Wenn sich eine Arterie verengt (wegen Arteriosklerose) ist Alarmstufe Nummer rot angesagt. Es besteht die Gefahr eines Verschlußes mit Infarkt und Absterben eines Teils des betroffenen Muskels. Tritt eine solche Verengung im Bereich der Beine ein, kann Amputation die letzte Möglichkeit der Lebensrettung sein. Erkennt man die Verengung aber rechtzeitig, kann man verschiedene Methoden versuchen, unter anderem den operativen Einsatz einer Umgehung.

Nicht alle Patienten aber vertragen einen solchen Eingriff. Die Grazer Forschergruppe hat nun herausgefunden, daß man mit einem "Wachstumsfaktor" (VEGF), der das Wachstum von Gefäßen fördert, den Körper vielleicht dazu bringen kann, selbst solch einen Bypaß zu bilden. Das Hormon VEGF ist aber nur in sehr geringen Mengen im Körper vorhanden. So entwickelten Forscher eine Methode, nur die für das Wachstum verantwortliche DNA zu verwenden. Wenn man die entsprechende DNA mittels Gel an die Defektstelle bringt, bildet sich von selbst neues Gefäßgewebe.

Klingt faszinierend - ist aber noch nicht wirklich am Menschen nachgewiesen. Erste Erfolge in den USA lassen aber den Schluß zu, daß man hier vielleicht eine Patentlösung für Millionen Patienten in aller Welt gefunden hat.

Die Grazer Forschergruppe hat jedenfalls in einigen Bereichen dieser Studie bereits weltweit erstmalige Fortschritte erzielen können.

Ein anderes Projekt befaßt sich mit Verfahren, die in USA, Japan, Deutschland und in Graz entwickelt wurden. Damit können Neurologen nun einen Blick in das Innere des Gehirns machen, wie er bisher nicht möglich gewesen ist.

Es ist erstmals gelungen, die hirnelektrischen Signale, den Blutfluß und die Sauerstoffversorgung gleichzeitig zu messen und darzustellen. Die dazu verwendeten Technologien haben Ultraschall, Infrarot und ein speziell adaptiertes, extrem empfindliches EEG-Verfahren zur Grundlage.

Die Grazer Wissenschafter Universitätsprofessor Gerhard Schwarz, Universitätsprofessor Gerhard Litscher und Andreas Sandner-Kiesling von der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin können mit ihren Methoden unterschiedliche Tiefen des Gehirns dreidimensional und in Farbe darstellen.

Erste Ergebnisse liegen bereits vor. So konnte man nachweisen, daß Akupunktur einen unerwartet starken Effekt auf die Blutflußgeschwindigkeit hat. Wie dieser Effekt biochemisch gesteuert wird, weiß man aber damit noch nicht. Die Forscher meinen jedenfalls, einen Brückenschlag zwischen Schul- und Komplementärmedizin hergestellt zu haben.

Sensationell sind auch Untersuchungen und deren Forschungsergebnisse, bei der Tumore mit Neutronen beschossen werden. In der Behandlung von Patienten mit einer bestimmten Form eines Hirntumors, der besonders rasch Tochtergeschwülste im Hirn produziert und auch nach einer operativen Entfernung sehr schnell nachwächst, ist Grazer Forschern von der Universitätsklinik für Neurochirurgie nun ein Durchbruch gelungen. Europaweit zum ersten Mal konnte ein Patient in einem holländischen Reaktorzentrum mit der neuen Methode erfolgreich behandelt werden.

Die Therapie besteht aus zwei Schritten: Am Anfang steht die Injektion einer Bor-Verbindung, die die vorhandenen Krebsherde im Gehirn markiert. Im zweiten Schritt wird ein Neutronenstrahl in den Kopf gelenkt (ohne Öffnung des Schädels). Dadurch wird eine nukleare Kernspaltungsreaktion ausgelöst: mit großer Zerstörungskraft.

Die entstandene Teilchenstrahlung reicht aber nicht weit. Sie wirkt nur wenige Tausendstel Millimeter, bleibt also auf die mit Bor markierten Zellen (eine Zelle hat den gleichen Umfang wie die Reichweite der Strahlung) beschränkt. Das gesunde Hirngewebe bleibt unbehelligt. Die Behandlung erfolgt völlig schmerzfrei und bei vollem Bewußtsein. Dieses Projekt wird von der EU gefördert.

Einen ähnlichen Anlauf auf diesem Gebiet gab es bereits einmal, ebenfalls in Graz. Damals versuchte Universitätsprofessor Gerhard Pendl die Behandlung bei geöffnetem Schädel vorzunehmen. Die Erfolge hielten sich aber in Grenzen. Mit der neuen Methode scheint man einen erfolgversprechenden Weg gefunden zu haben.

Auch auf dem Gebiet der Schmerzforschung ist Graz weit vorne. Der Schmerz ist Begleiterscheinung vieler Krankheiten, aber selbst meist keine Krankheit an sich. Daher wurde der Schmerz von der Medizin bisher eher stiefmütterlich behandelt, sehr zum Leidwesen vieler Patienten.

In Graz allerdings gibt es eine viele Jahre währende Tradition der Schmerzerforschung und -behandlung. Dementsprechend befaßt sich ein Team von Schmerzforschern mit dem unangenehmen, mitunter unerträglichen Phänomen.

Grundmotivation ist, so einer der Pioniere der Schmerzforschung, Universitätsprofessor Eckhard Beubler vom Institut für experimentelle und klinische Pharmakologie, "daß heutzutage jeder Patient das Recht hat, Schmerzfreiheit zu fordern. Insbesondere chronische und postoperative Schmerzen sind heute gut behandelbar."

Wie groß das noch zu bearbeitende Feld wäre, skizziert Beubler so: "Heute hat man vor allem beim Einsatz der Opiate, also speziell des Morphins, große Fortschritte gemacht. Die Ärzte verschreiben 40mal mehr davon als noch vor 15 Jahren. Aber es gibt Substanzen, von denen wir wissen, daß sie 100 bis 1.000mal wirksamer sind als die traditionellen Opiate."

Am Grazer Institut befaßt man sich vor allem mit neuen Wegen der Schmerzbehandlung, indem man die Schmerzverteilung erforscht, die mit jedem neuen bewußt erlebten Schmerz erhöhte Empfindlichkeit sowie die Funktion der Schmerznerven.

So wird ein nervliches Alarmsystem im Magen erforscht. Normalerweise schützt die Magenbarriere die gesunde Schleimhaut vor Verletzungen. Kommt es zu einer Störung, werden Mechanismen aktiviert, die teilweise noch nicht bekannt sind. Möglicherweise liegen hier auch die Schlüssel zum Verständnis von Magengeschwüren und von Gastritis.

Man hofft, neue Medikamente zu finden. Voraussetzung: Kenntnis der wichtigsten Stoffe, die für die Weiterleitung von Schmerzempfindungen verantwortlich sind. Weiß man, welche Rezeptoren (Empfangsstationen) wichtig sind, könnte man diese gezielt hemmen.

Für den Laien überraschend klingt ein Forschungsergebnis, das den roten Paprika in neuem Licht sehen läßt. Wer sich einmal an dem hinterhältigen Gewächs die Zunge "verbrannt" hat, kann es sich nach oft minutenlangem Ringen nach Luft nur schwer vorstellen, daß dieser Paprika für die Magenschleimhaut gesund sein könne... So ist es aber. Man weiß heute auch wieso: Der scharfe Stoff, genannt Capsaicin, regt sensible Nerven in der Magenschleimhaut an, so daß Peptide freigesetzt werden, die die Magendurchblutung erhöhen und andere Schutzmechanismen stärken. In hohen Dosen wirkt der scharfe Stoff dämpfend - man spürt nichts mehr! Diese Wirkung möchte man künftig ausnützen: Schwer behandelbare Schmerzzustände können vielleicht vom roten Paprika profitieren. In einem eigenen neuen Schmerzprojekt wird erforscht, wie schmerzhemmende Medikamente an Gewebe in Nährlösungen, und nicht mehr am Versuchstier getestet werden können. Erste Versuche sollen jedenfalls vielversprechend sein.

Quelle: Inst. f. exper. u. Klin. Pharmakologie

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