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Bemerkungen zu „Neue Reichweite der Chemotherapie“

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Jede Mitteilung über neuere Fortschritte auf dem Gebiete der Tuberkulosebehandlung wird von der großen Gemeinde der Tuberkulosekranken gierig verschlungen und der behandelnde Arzt immer wieder bestürmt, solche neue bekanntgegebene Mittel, zu verschaffen und am Kranken auszuprobieren. Zu dem in der „Furche“ vom 15. Februar erschienenen Bericht „Neue Reichweite der Chemotherapie“ von Professor Mario Volterra wäre zu bemerken, daß die Wiener medizinische Schule mit kritischeren Augen alle Behandlungsneuerungen beobachtet, bevor sie der allgemeinen Öffentlichkeit mitgeteilt werden.

Als die Ära der Sulfonamide mit ihren ausgezeichneten Erfolgen auf Infektionserreger vor einigen Jahren anhub. betrachtete man es als Selbstverständlichkeit, in kurzer Zeit auch die Tuberkulose auf diese Weise zu beherrschen. Besonders aJs durch Sulfotbiazolverbindungen ein verderblicher Einfluß auf Tuberkelbazililenkulturen bekanntgegeben wurde, glaubte man, diesem Ziele ganz nahe zu sein. Leider war am Kranken selbst keine Heilwirkung festzustellen. Die Zahl der Sulfonamidverbindun-gen ist inzwischen fast unübersehbar geworden und wie wir als eifrige Verfolger jegliehen Fortschritts sehen, scheinen auch Diason, Promin und Promisol ihre Laboratoriumshoffnungen am Patienten nicht ru rechtfertigen. '

Ähnliche Enttäuschungen bereitete der großartige Bakterienhenwnstoff Penicillin, als Tuberkulosebehandlungsmittel, weiterhin Javanacin und manche andere ähnliche Stoffe aus Pilzkulturen. Derzeit setzen wir die größte Hoffnung auf das Streptomycin und sehen mit Span nung den Resultaten der im heurigen Sommer in Paris stattfindenden Konferenz über die Behandlungsvcrsudhe mit Streptomycin bei Tuberkulose entgegen.

Es ist nur selbstverständlich, daß in fLaienkreisen ebenso wie in medizinischen Fadikreisen die Frage immer wieder aufgeworfen wird, wieso gerade die Tuberkulose zum Untersdiiede von anderen Infektionskrankheiten ihrer Behandlung solchen Widerstand entgegensetzt. Der wachsartige, fettige Oberzug der Tuberkelbazillen, der allgemein verantwortlich gemacht wird, scheint nach den neuesten Forschungen mit dem Elektronenmikroskop n;cht als ausschlaggebend und absolut unüberwindlich zu gelten. Schließlich reagiert ja auch die früher so hartnäckige ägyptische Augenkrankheit, das Trachom, mit den als Einsdilußkörper-chen bekannten 'abgeschlossenen Erregern ganz hervorragend auf die Sulfonamid-behandlung. Wir glauben, daß der Grund für die bisherige Unangreifbarkeit der, Tuberkulose auf Medikamente in ihrer Eigenart der chronischen Entzündung mit der dadurch bedingten Gewebsreaktion liegt. Betrachten wir vergleichsweise zum Beispiel eine andere Erkrankung der Lunge, die .durch den Pneumococcenbazillus hervorgerufene Lungenentzündung. Hier verursachen die Erreger eine in wenigen Tagen sich entwickelnde Entzündung, das heißt, ein Teil der Lunge, in dem die Erreger hausen, ist durch Blutüberfüllung geradezu angeschwollen. Dorthin gelangen nun viel mehr die Stoffe, welche auf die Bakterien schädigend wirken, als anderswohin, weshalb die Behandlung mit Medikamenten hier von Erfolgsaussichten begleitet ist. Dagegen rufen die in den Körper eingedrungenen Tuberkelbazillen in der Regel — abgesehen von ganz bösartigen Ausnahmsfällen — eine durch Wochen oder Monate verlaufende, ziemlich unmerkliche Reaktion hervor, die entweder durch diese Körperabwehr überwunden wird, ohne daß der Betroffene sich krank fühlte, oder der Krankheitsprozeß entwickelt sich langsam weiter. Dabei bilden sich um die Bazillen herum eigene Zellen, der Herd wächst langsam und stirbt mit der Zeit im Zentrum allmählich ab. In jedem Stadium kann es noch zur Ausheilung oder weiterem Fortschritt kommen. Wie die Injektionsversuche mit Tusche zur Darstellung der Blutwege erkennen lassen, reichen die Blutgefäße nur bis zu den um die Tuberkelbazillen herum sich bildenden Zellen. Ebensowenig gelangen die zur Behandlung eingeführten Medikamente bis zu den Bazillen, da diese erst innerhalb dieser „Schutzzone“ liegen; so kräftig auch ihr

Einfluß auf die Bazillen im Brutschranke sein mag, im Körper sind andere Verhältnisse.

Dagegen ist ein Abwehrmechanismus des Körpers in Tätigkeit, den wir durch klimatische Kuren, vor allem aber durch Ruhig-

Stellung der Krankheitsherde mit Pneumothorax, Pneumolyse, Thorakoplastik usw. erfolgreich unterstützen. Auch wir haben, diesen Erfahrungen Rechnung tragend, trotz der Hindernisse durdi den Krieg, die Behandlungserfolge zu steigern versucht. Allerdings sind unsere Wege schon infolge der fehlenden Forsdiungsmögüchkeiten, die unseren englischen und vor allem amerikanischen Kollegen zur Verfügung stehen, etwas anders. Wenn Professor Volterra darauf hinweist, daß von einer Gruppe von 36 mit Promin behandelten Patienten 13 nach einem Jahre Behandlung einen Stillstand der Krankheit aufwiesen und 8 von ihnen j wieder zur Arbeit zurückgekehrt waren, so müssen wir dies bei kritischer Beurteilung als dem normalen Verlauf der Tuberkulose entsprechend bezeichnen, da die Tuberkulose ja bekanntlich in Schüben verläuft und es nach jedem solchem Schübe zu einer Erholungspause kommt. Um so kritischer ist der Hinweis zu beurteilen, daß sich diese chemotherapeutischen Präparate bei Brustfellentzündungen als besonders heilsam erwiesen haben, da eine solche tuberkulöse Brustfellentzündung so gut wie immer die Tendenz hat, auszuheilen, welchen Heilungsverlauf man sogar durch Tuberkulin, das, fachgemäß angewendet, hier gut wirkt, erheblich beschleunigen kann.

Es sei hier auch an die sogenannten Kurerfolge in Sanatorien und Heilstätten erinnert, wenn ein Tuberkulosekranker fiebernd oder mit Bluthusten zur Kur eingewiesen wurde und nach mehrmonatiger Kur selbstverständlich fieberfrei mit zehn Kilogramm Gewichtszunahme entlassen wird. Wenn aber trotz solcher äußerlicher Erfolge ein, wenn auch nur kleiner Zerfallsherd in der Lunge bestehenbleibt, so ist der für unsere kritischen Augen die Gefahrenquelle für spätere neue Aussaaten und daher absolut auszuheilen. Selbst Entbindungen weit fortgesdirittener Schwangerschaften sehen wir ruhig entgegen, wenn es uns nur rechtzeitig gelingt, eine Kaverne vor der Entbindung durch geeignete Maßnahmen auszuschalten.

Den Eigenheiten der Tuberkuloseerkrankung und unseren derzeit geradezu als armselig zu bezeichnenden Arbeits- und For-schungtaiöglichkeiten Rechnung tragend, gelangten wir auf den uns möglichen Wegen zu beachtlichen Fortschritten in der Tuber-kulosebe'handlung. In erster Linie galt es, durch Ausbau derjenigen Eingriffe, welche die erkrankte Lunge weitgehend ruhig stellen, bessere Behandlungsergebnisse zu erzielen. Durch rechtzeitige Anwendung des

Pneumothorax und vor allem durch Verbesserung der Eingriffe, diesen notfalls voll wirksam zu gestalten, bewahren wir den Patienten vor schwereren, riskanteren und oft verstümmelnden operativen Eingriffen. Hier sind wir in den letzten Jahren bedeutend weiter -gekommen. Daneben sind wir aber auch bestrebt, durch Verbesserung der spezifisdien Behandlungsmethoden, durch Aufspaltung der Tuberkelbazillen, wirksamere Mittel zur Anregung der Abwehrstoffbildung im Körper zu erzeugen, w^bei auch durch die Reizwirkung auf die Krankheitsherde eine bessere Durchblutung erfolgt. Auf diese Weise gelingt es, mehr Wirkstoffe gegen die Bazillen an den Herd heranzubringen, wobei allerdings festgestellt werden muß, daß soldie Reizungen fachmännisch dosiert werden müssen. Wir glauben allerdings, schon einen Weg gefunden zu haben, solche spezifische Reizbehandlung auf einfache Weise durchführen zu können.

Es 'ist zu hoffen, daß unsere Versuche den amerikanischen Kollegen, die in der glücklidieren 'Lage sind, mit allen Mitteln ausgestattet, in großen Versuchsreihen zu arbeiten, den Weg zum vollen Erfolg ebnen helfen, jenen Weg, der besonders schwer überwindbar ist und schon wiederholt schwere Enttäuschungen bereitete.

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