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Der Krebs ist längst kein Todesurteil mehr

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Es klingt paradox: Je schlechter die Umweltbedingungen und je besser die medizinische Versorgung der Bevölkerung, desto höher ist die Rate der Krebstoten. Der erste Teil des Satzes wäre ja noch zu verstehen: Viele der auf uns einströmenden Umweltfaktoren haben sich längst im Tierversuch als krebserregend erwiesen. DDT etwa ist kanzerogen; 10 Prozent aller Pestizide - also Pflanzenschutzmittel- können ebenfalls Krebs erregen; auch Luftverunreinigungen tragen ihren Teil zur Hebung der Mortalitätsrate bei.

Doch was hat die Qualität der medizinischen Versorgung mit dem Ansteigen der Krebsrate zu tun? Durch ein besseres Gesundheitssystem kann auch die Lebenserwartung erhöht werden. Damit kommen immer mehr Menschen ins krebsgefahrdete Alter. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Österreich liegt bei Frauen über 73 Jahren, bei Männern über 64. „Daher kann man auch nicht sagen, daß die Todesrate durch Krebs ständig im Steigen begriffen sei. Vielmehr müßte es heißen: Immer mehr Menschen erreichen ein Alter, in dem sie besonders gefährdet sind, an Krebs zu erkranken”, stellte Prof. Heinrich Wrba, Vorstand des österreichischen Krebsforschungsinstitutes, die Situation dar.

Auch der sarkastische Ausspruch eines deutschen Pathologen, die meisten Leute erlebten ihren Krebs gar nicht, weil sie schon früher an einer anderen Krankheit sterben, kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß Krebs zur Zeit als „die Geißel der Menschheit” zu gelten hat. Es ist sicher: Alle 20 Jahre verdoppelt sich die Zahl der Lungenkrebstoten. Gleich dahinter rangiert der Magenkrebs mit zweithöchster Todesrate. In Wien allein findet sich unter 700 Gesunden im Alter über 50 ein Magenkarzinom. Bei Sechzig- bis Neunund- sechzigjährigen sind es schon drei Menschen, die daran erkranken, wer 70 bis 79 Jahre alt wird, hat die siebenfache Aussicht „an der Reihe zu sein”, bei über Achtzigjährigen steigt die Möglichkeit, Magenkrebs zu bekommen, auf ein Zwölffaches an.

Drei Viertel aller Krebserkrankungen werden durch Umweltfaktoren erzeugt oder gefördert. Einer der bekanntesten kanzerogenen Stoffe, mit dem wir fast täglich in Berührung kommen, ist das 3,4-Benzpyren, das in Ruß und Teer nachgewiesen wurde, und das wir in unseren Lebensmitteln antreffen. Um die Gefahr durch diese chemische Verbindung niederzuhalten, wurde von zuständiger Stelle ein Grenzwert von 1 Mikrogramm pro Kilo festgesetzt. Bis zu diesem Wert soll für den Körper kein Schaden entstehen. Doch dieser Sollzustand wird selten erreicht. Der Istzustand sieht ganz anders aus: Geräucherter Schinken enthält 3,2 Mikrogramm, holzkohlengegrilltes Fleisch zwischen 7,9 und 50, Kohl bis 24, Endiviensalat 50 Mikrogramm.

Krebs ist nicht vererbbar und nicht übertragbar. Also muß jeder Körper versuchen, im Kampf gegen die in ihn eindringenden Schadstoffe Sieger zu bleiben. Freilich muß vor der Tatsache, daß es mehrere Hundert potentielle Verursacher für Krebs gibt, auch die Krebsforschung resignieren. Vor allem, da meistens für die Auslösung mehrere Faktoren Zusammenwirken. Die Entstehung von Krebs ist das Ergebnis eines lange andauernden Vorganges. Um die Sache für die Forschung noch komplizierter und in vielen Fällen auch undurchsichtiger zu machen: Die Wissenschaft kennt Co- Faktoren, die allein nicht kanzerogen sind, in Zusammenhang mit anderen Störungen aber Krebs bewirken.

Der Krebsforschung bleibt nur mehr eines zu tun: Identifizierung der krebserregenden Stoffe und, sobald sie erkannt sind, den Versuch unternehmen, sie auszuschalten. Also dem Menschen in einer verseuchten Umwelt ein Leben ohne Krebs zu ermöglichen. Oder die Gefahr, befallen zu werden, möglichst gering zu halten. Tierexperimente brachten immerhin einen Hoffnungsschimmer für uns alle, die wir als potentielle Krebsanwärter leben müssen - trotz krebserregender Bedingungen kann das Entstehen dieser Krankheit verhindert werden.

Deshalb bleibt nur eine Chance, die für jeden zu nützen Pflicht sein sollte- die Früherkennung. Denn durch die Errungenschaften der modernen Diagnose und Therapie könnten mindestens ein Drittel aller Krebserkrankungen geheilt werden. Während- Tumore der Haut zu 95 Prozent heilbar sind, liegt die Heilungsquote bei Magenkrebs - bedingt durch Schwierigkeiten einer Früherkennung - bei bloß 5 Prozent. Würden aber wirklich alle Möglichkeiten der Früherkennung genützt, könnten sogar bis zu zwei Drittel der Krebskranken geheilt werden. Wie man sieht, fordert Sorglosigkeit oder die Angst, einen Arzt aufzusuchen, weil vielleicht doch „etwas Ernstes sein” könnte, einen hohen Tribut.

Der „Frauenkrebs” hat seinen Schrecken verloren. Chirurgische und strahlentherapeutische Maßnahmen bringen beim gynäkologischen Karzinom ausgezeichnete Heilungserfolge. Bei frühzeitiger Erkennung dieser Krebse bestehen bis zu 100 Prozent Heilungsaussichten. Bei allen Stadien zusammen - von den leichtesten bis zu den schwersten also - konnte innerhalb der letzten Jahre die Heilungs chance von 45 auf 65 Prozent erhöht werden. Besonders die Strahlentherapie hilft da mit, beachtenswerte Erfolge zu erzielen: Hochvolttherapie, Röntgenstrahlen, schnelle Elektronen, Cobalt- und Gammastrahlen.

Jede Frau sollte vom 20. Lebensjahr an einmal im Jahr einen Frauenarzt zu einer gründlichen Durchuntersuchung aufsuchen. Ein Beispiel aus Vorarlberg zeigt, wie wichtig die Vorsorgeuntersuchung ist. Dort konnten durch den Arbeitskreis für soziale und prophylaktische Medizin innerhalb der letzten sechs Jahre 75 Prozent der 25- bis 65jährigen Frauen erfaßt und zur jährlichen Untersuchung geladen werden. Innerhalb dieses Zeitraumes wurde jede Frau zwei- bis dreimal untersucht. Unter tausend Patientinnen fanden sich sieben, die Gebärmutterhalskrebs hatten. Nur durch rechtzeitige Aufdeckung der Krankheit besteht die beste Erfolgsaussicht.

Als wichtigstes Verfahren der Früherkennung hat sich die Cytodiagnose erwiesen, die es dem Arzt ermöglicht, schon aus dem Aussehen der Zellen des Abstriches zu sagen, ob der Patient gefährdet ist oder nicht. Die Krebszelle sieht anders aus als die gesunde Zelle. Krebserregende Faktoren bringen Änderungen in die Erbsubstanz der Zelle und greifen in deren Stoffwechsel ein. Darin liegt auch die Chance der Strahlentherapie: Krebszellen sind als krankhafte Wucherun gen empfindlicher. Daher können sie auch mit Strahlendosen, die für gesunde Zellen nicht gefährlich sind, erfolgreich abgetötet oder am Weiterwachsen gehindert werden.

Sogar bei Leukämie, dem Blutkrebs, der vor wenigen Jahren noch ein absolutes Todesurteil bedeutete, erbrachten neuartige Behandlungsverfahren Erfolge zwischen 60 und 80 Prozent. Wichtigen Anteü an allen Siegen oder Teilerfolgen im Kampf gegen den Blutkrebs hat auch die sonst so geschmähte chemische Industrie. Sie liefert Präparate, die die Körperabwehrkräfte stärken und dem Krebs erschweren, sich einzunisten. Doch noch liegen diese Forschungen im Anfangsstadium, die Methode ist noch nicht voll entwickelt, für die nächste Zukunft aber sind sichere Erfolge zu erwarten.

Der letzte Schrei im Kampf gegen den Krebs ist der „Computertomograph”. Dieses Gerät wurde in Amerika entwickelt und brachte sensationelle Erfolge in der Früherkennung. Es liefert dem Arzt ein Querschnittsbild des Körperinneren und ermöglicht ihm so, einen Krankheitsherd schon im frühest möglichen Stadium zu lokalisieren. Ein an das Gerät angeschlossener Computer verarbeitet

300.000 Informationen zu einem’ Schnittbild des Körpers und zeichnet es dem untersuchenden Arzt schwarz- weiß oder farbig auf einen Fernseh monitor. Der erste Computertomograph Österreichs steht in Wels in der Praxis des Radiologen Dr. Roman Straßl. Damit ist immerhin ein Anfang gemacht, und es bleibt zu hoffen, daß in Zukunft möglichst viele dieser 15-Mülionen-Schilling-Geräte zur Verfügung stehen werden.

Wenn sich der Krebs in einem Körper festgesetzt hat, gibt es fast nur eine Möglichkeit, ihn loszuwerden - mit der klassischen Methode durch „Stahl und Strahl”. Die krankmachenden Zellen müssen total aus dem Organismus entfernt werden.

Sowohl zur Vorbehandlung, um Krebs zu unterdrücken, als auch zur Nachbehandlung, ihn nicht mehr auf- kommen zu lassen, haben sich Strahlen und Erzeugnisse der Pharmazie als wertvolle Helfer erwiesen. 30 chemische Substanzen stehen den Ärzten zur Zeit zur Verfügung, im Ringen mit dem Krebs Teüerfolge erzielen zu können.

Fortgeschrittene Krebsstadien werden der Vergangenheit angehören, wenn wirklich jeder zur Gesundenuntersuchung geht und seine Chance nützt. Hand in Hand wird damit die Rate der Krebstoten rapid sinken. Doch solange nicht wirklich jeder Einzelne davon Gebrauch macht, ist kein entscheidender Sieg gegen den Krebs abzusehen.

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