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Chirurgie und Krebsvorbeugung

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Das Bestreben, eine Krankheit zu verhüten, ist dann erfolgreich, wenn man ihre Ursachen kennt. Vom Krebs wissen wir nur, daß er eine verschieden große Geschwulst bildet, die schrankenlos auf die Umgebung übergreift, in die Blutbahn .einbricht und zu Tochtergeschwülsten in entfernten Organen führt. Die eigentliche Ursache des Krebses kennen wir noch nicht. Wir wissen nur, daß innere und äußere Faktoren Zusammenwirken und das Auftreten des Krebses begünstigen. Zu ersteren gehört die Vererbung, deren Bedeutung oft überschätzt wird. Schönbauer hat durch umfangreiche Nachforschungen bei vielen Tausenden von Fällen festgestellt, daß der Erbfaktor bei den Nachkommen von Krebsträgem hauptsächlich dann zur Geltung kommt, wenn diese vor dem 60. Jahre erkrankt, waren; die Nachkommen waren dann bis über 40% von Krebs befallen, während bei den über 60 Jahre alten Krebsträgern die Häufigkeit des Krebses bei den Nachkommen 10% beträgt.

Die chronische Entzündung hat für die Krebsentstehung eine ziemliche Bedeutung, daher muß man diese zur Ausheilung bringen oder, wenn sie an bestimmten Organen umschrieben vorhanden ist und trotz Behandlung nicht ausheilt, operativ entfernen. Bei Entzündungen an oberflächlich gelegenen Organen, zum Beispiel an der Haut, kann man den Beginn der krebsigen Umwandlung leicht erkennen und sofort operativ entfernen. Bei Entzündungen innerer Organe, zum Beispiel bei der Lunge, können wir nur die Schädlichkeiten, die das Auftreten des Krebses begünstigen, ausschalten.

Beim Krebs des Verdauungstraktes, also des Magens und des Darmes, ist die möglichste Verhütung schon wegen der Häufigkeit des Krebses für die Erhaltung der Volksgesundheit außerordentlich wichtig. Wir wissen, daß der Magenkrebs sehr häufig (nach Kon- j etzny weit über 80%) auf dem Boden der chronischen Magenentzündung entsteht, die durch übermäßigen Alkoholgenuß, durch scharf gewürzte Speisen, hastiges Essen usw. unterhalten wird. Wenn die chronische Entzündung bei Vermeidung der Schädlichkeiten nicht ausheilt, dann wird man am besten die entzündete Magenschleimhaut in der unteren Magenhälfte nahe dem Pförtner operativ entfernen. Konjetzny bezeichnet diese Operation als eine vorbeugende Krebsoperation.

Von großer Bedeutung ist die kieb- sige Umwandlung des chronischen Magengeschwürs, die im Gegensatz zum Zwölffingerdarm- geschwür, das fast nie krebsig wird, relativ häufig ist. Durch die mikroskopische Untersuchung der operativ entfernten Magengeschwüre kann festgestellt werden, wie viele von ihnen bereits krebsig umgewandelt sind. In meinem Krankengut von mehreren tausend Magenoperationen beträgt die Häufigkeit der krebsigen Umwandlung 15%. Wichtiger ist die Tatsache, daß der Beginn dieser Umwandlung bei der Operation kaum je erkannt und erst bei der mikroskopischen Untersuchung des Präparats festgesteilt werden kann. Aus den zahlreichen Fällen soll als Beispiel ein 44jähriger Mann angeführt Werden, den ich 1937 wegen eines seit drei Jahren bestehenden Magengeschwüres, das bei der Operation vollkommen unverdächtig

Auszug aus der Festrede, gehalten am 30. März 1952 im Auditorium maximum bei der Eröffnung der Krebswoche 1952.

war, radikal operiert habe; Professor C h i a r i hatte bei der mikroskopischen Untersuchung zuerst in den Lymphdrüsen Krebs und die beginnende krebsige Umwandlung des Magengeschwüres erst nach wiederholten Untersuchungen finden können. Nach drei Monaten bekam der Patient, der bedeutend an Gewicht zugenommen hatte, Rückenschmerzen und eine Vergrößerung der Leber. Der Patient starb fünf Monate nach der Operation im Krebsspital in London; bei der Leichenöffnung wurde nur der Leberkrebs, kein anderer primärer Krebs gefunden. Wenn dieser Patient nur sechs Monate früher operiert worden wäre, als das Geschwür noch nicht krebsig war, 60 wäre er sicher geheilt geblieben.

Leider wird der Rat, das Magengeschwür sich entfernen zu lassen, bevor es krebsig umgewandelt ist, nur selten befolgt. 1922 mußte ich einen 49jährigen Patienten wegen einer schweren M a- genblutung aus einem seit vier Jahren bestehenden Magengeschwür operieren, dem ich ein Jahr vorher dringend zur Operation geraten hatte, weil in seiner Verwandtschaft einige Krebsfälle nachzuweisen waren. Die mikroskopische Untersuchung des fast handtellergroßen Geschwürs ergab an drei Stellen eine krebsige Umwandlung des Geschwürrandes. Dieser Patient ist durch 21 Jahre geheilt geblieben, hat um 42 kg zugenommen.

Eine wirkliche krebsverhütende Operation konnte ich 1942 bei einer 62jährigen Fraü ausführen, bei welcher ich vier Jähre vorher wegen eines auf die Gebärmutter übergreifenden hochsitzenden Mastdarmkrebses einen Teil des Darms samt Gebärmutter entfernt hatte. Die Patientin hatte um 25 kg zugenommen und täglich auf normalem Weg ihre Stuhlentleerung. Juli 1942 magerte sie ab, hatte leichte Schmerzen, bei der Röntgenuntersuchung konnte ein großes Magengeschwür festgestellt werden. Um eine krebsige Umwandlung dieses Geschwürs zu verhüten, habe ich zur sofortigen Operation geraten, dabei das Geschwür mit einem großen Teil des Magens entfernt. Die Frau ist 13 Jahre nach Entfernung des Darmkrebses vollkommen gesund. Es ist wohl sicher, daß diese Patientin dadurch, daß sie meinen Rat sofort befolgt hat, vor einer krebsigen Umwandlung des Magengeschwürs 'verschont blieb.

Von größter Wichtigkeit ist nach meinen Erfahrungen die Tatsache, auf die ich wiederholt, zum letztenmal 1938 in einem Vortrag in der Royal Society of Medicine in London, hingewiesen habe, daß beim krebsig umgewandelten Magengeschwür die Dauererfolge schlechter sind als nach der Operation eines primären Magenkrebses. Während beim primären Magenkrebs von 260 bis zum Jahre 1932 radikal operierten Patienten 77 = 29,6% über 5 bis 17 Jahre geheilt geblieben sind, haben beim krebsig umgewandelten Magengeschwür von 99 Patienten nur 24 = 24,2% länger als 5 bis 18 Jahre rezidivfrei gelebt, obwohl es sich bei den Fällen von beginnender krebsiger Umwandlung, die überhaupt erst mikroskopisch erkannt werden konnte, um die früheste F r ü h o p e r a t i o n eines Krebses handelte, die überhaupt möglich ist. Auf Grund dieser schlechten Erfahrungen rate ich seit mehr als zwanzig Jahren den Patienten, das Magengeschwür operativ entfernen zu lassen, wenn es innerhalb von sechs Monaten nicht ausheilt oder rasch wiederkehrt. Bei Patienten aus sogenannten Krebsfamilien halte ich die rascheste Operation für absolut notwendig. Nur dadurch können viele sonst verlorene Menschenleben dauernd gerettet werden. Da die Operation wegen Magengeschwüren heute an manchen Stationen unter 1 % Sterblichkeit hat, so kann man mit gutem Gewissen zu dieser krebsverhütenden Operation raten.

Der Gallenblasenkrebs ist zwar seltener als der Magenkrebs (an meiner Abteilung wurden in den letzten 15 Jahren 142 Fälle von Gallenblasenkrebs operiert gegenüber fast 2000 Magenkrebsoperationen), dafür ist eine radikale Operation fast nie möglich, Dauerheilungen sind ganz seltene Ausnahmen. Ich habe einen einzigen Fall einer mindestens 13jährigen Heilung bei einer 49jährigen Frau, die ich 1925 im akuten Gallensteinanfall mit hohem Fieber operiert habe, wobei außer den Steinen und dem Eiter in der Gallenblase eine haselnußgroße Geschwulst an der Gallenblasenkuppe sich fand, weshalb ich außer der Gallenblase auch ein großes Stück Leber entfernte. Die mikroskopische Untersuchung bestätigte die Diagnose Krebs.

Es wurde durch Nachuntersuchungen von Patienten mit Gallensteinen, die Jaguttis 1926 an der Königsberger Klinik angestellt hatte, festgestellt, daß von 114 Patienten, die 15 bis 20 Jahre vorher an der medizinischen Klinik wegen Gallensteine behandelt worden waren, 5 Patienten am Gallenblasen krebs, 13 Patienten unoperiert an ihre-

alten Gallensteinleiden gestorben sind, während die operative Entfernung der steinhaltigen Gallenblase, wenn sie im anfallsfreien Stadium ausgeführt wird, heute unter 1 % Sterblichkeit hat. Durch die Operation werden die Patienten von ihrem Gallensteinleiden geheilt und können nie mehr einen Gallenblasenkrebs bekommen. Die Operation halte ich für absolut notwendig, wenn in der Familie bereits mehrere Krebsfälle — auch an anderen Organen — beobachtet wurden.

Der Dickdarm- und Mastdarmkrebs kann sich bei vorhandener Kyebsbereitschaft auf dem Boden einer chronischen Dickdarmentzündung als Folgezustand einer überstan- denen Ruhr oder bei schwerer chronischer Stuhlverstopfung entwickeln, oder er entsteht aus ursprünglich gutartigen Polypen, die meist im Mastdarm oder unteren Dickdarm sitzen, nur selten über den größten Teil des' Dickdarms verteilt sind. Daher muß die Dickdarmentzündung entweder durch medikamentöse Behandlung oder durch Rühigstellung des Darms infolge Anlegung eines künstlichen Afters zur Ausheilung gebracht werden, die meist unter ausgedehnter Narbenbildung erfolgt. In diesen Narben kann auch noch nach Jahren Krebs entstehen. Während des ersten Weltkriegs mußte ich bei einem 18jährigen Soldaten einen künstlichen After am Anfangsteil des Dickdarms wegen schwerster Entzündung an- legen, worauf sich der Patient erholte und 60 kg zunahm. Nach fünf Jahren wurde die linke Hälfte des Dickdarms entfernt. 1938, also nach 20 Jahren, kam es in dem ausgeschaltefen Dickdärm rechts zur.Krebsbildu n g, weshalb der rechte Teil des Dickdarms ebenfalls entfernt wurde. Darauf blieb der, Patient,. der inzwischen Arzt geworden war, bis 1945 geheilt, starb dann plötzlich infolge eines Herzleidens.

Bei hochgradiger chronischer Stuhlverstopfung wird bei Ver- sagen der internen Behandlung die Entfernung eines Teils Dickdarm s. meist der linken Hälfte, mit Wiederherstellung normaler Darmentleerung notwendig. Die Operation ist nicht so gefährlich, als viele Ärzte heute noch glauben. Ich habe in 30 Jahren bei 75 Operationen mit Entfernung eines großen Teils des Dickdarms wegen viele Jahre dauernder hochgradiger Stuhlver- stopfung zwei Patienten an Lungenentzündung und einen Patienten an einer Lungenschlagaderverstopfung durch ein Blutgerinnsel verloren, die übrigen Patienten wurden geheilt. Die Bedeutung der chronischen Stuhlverstopfung für die Krebsentstehung ist daraus zu ersehen, daß bei über 250 Operationen wegen Dickdarmkrebs, die in den verschiedenen Privatspitälern ausgeführt wurden, fast die Hälfte der Patienten vorher durch lange Zeit eine schwere Stuhlverstopfung hatten.

Die im Mastdarm sitzenden Polypen können relativ leicht entfernt werden. Bei den im Dickdarm sitzenden Polypen ist unter Umständen die Entfernung eines größeren Darmabschnitts notwendig. Dabei ist die Entscheidung, ob es sich noch um Polypen oder schon um Krebs handelt, oh sehr schwierig. Einen meiner schönsten Erfolge konnte ich vor zwanzig Jahren bei einem 45jährigen orthodoxen Geistlichen aus Rumänien erzielen, bei dem vier Wochen vorher in Jassy wegen eines an der Blase fixierten, für i n- operabel gehaltenen Dickdarmkrebses mit schwerer Blut- armüt ein künstlicher After angelegt worden war, bei dem ich nach Entfernung von 50 cm Dickdarm samt Tumor und künstlichem After die Darmenden wieder vereinigen konnte, so daß der Patient wieder normale Darmtätigkeit hatte. Am Präparat fanden sich t a h 1 lose Polypen, bei welchen Professor Sternberg bei der mikroskopischen Untersuchung noch keine krebsige Umwandlung feststellen konnte. Der Patient hat nach der Operation 20 kg zugenommen, ist vollkommen gesund geblieben, lebt jetzt als Flüchtling in Westdeutschland (Düsseldorf), hat nach seiner letzten brieflichen Mitteilung (Weihnachten 1951) keinerlei Beschwerden.

Bei ausgedehnter Ausbreitung der Polypen über den größten Teil des Dickdarms sind eingreifende Operationen, unter Umständen die Entfernung fast des ganzen Dickdarms notwendig. Dabei soll man, wenn möglich, den Schließmuskel mit einem Teil des Mastdarms erhalten, damit man die normale Darmentleerung durch den After dadurch wieder her- stellen kann, daß man zwischen den Anfangsteil des Dickdarms und den Mastdarm eine Dünn- d a r m schlinge einschaltet, was Denk vor 20 Jahren bei einem 21 jährigen Mädchen, deren Mutter zwei Jahre vorher wegen Mastdarmkrebs operiert worden war, mit vollem Erfolg ausgeführt hat. Wenn einem jungen Menschen die Stuhlentleerung auf normalem Weg durch den After versprochen werden kann, dann wird er sich um so eher zu dieser krebsverhütenden Operation entschließen.

Wir können durch die Krebsoperation zwar nicht alle Krebskranken retten. Aber wir können doch durch eine rechtzeitig und radikal durchgeführte Operation nach meinen Erfahrungen beim Magenkrebs bis 30%, beim Dickdarmkrebs bis 60 % dauernd heilen. Am sichersten ist es, wenn man die Ent stehung des Krebses dadurch nach Möglichkeit verhütet, daß man die zum Krebs führenden Erkrankungen — chronisches Magengeschwür, chronische Gallenblasenentzündung usw. — vor ihrer krebsigen Umwandlung operativ entfernt, wozu eine innige Zusammenarbeit zwischen Patienten, behandelndem Arzt und Chirurgen notwendig ist

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