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Anästhesiologie

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Mit dem nachfolgenden Beitrag beginnen wir in der „Warte“ eine Reihe von Artikeln, in denen wir unsere Leser durch Fachleute mit den Fortschritten auf dem Gebiet der modernen Medizin bekannt machen wollen.

»Die Österreichische Furche

Ein großer Teil der Menschen, der zum Arzt oder ins Krankenhaus kommt, leidet an Krankheiten, die nur durch die Kunst des Chirurgen gebessert oder geheilt werden können. Zugleich fordern Gewissen und ärztliches Ethos, die Schmerzen des Kranken zu lindern und ihm nicht unnötig Leiden zu bereiten. Es ist heute selbstverständlich, alle chirurgischen Eingriffe schmerzfrei durchzuführen — jeder von uns würde mit großer Wahrscheinlichkeit eine Operation ohne Narkose strikte ablehnen. Man weiß auch seit längerer Zeit, daß die Schockwirkung des Schmerzes sogar ein Moment der Schädigung darstellen kann; auch ist es technisch gar nicht möglich, chirurgische Eingriffe ohne lokale oder allgemeine Betäubung durchzuführen, während sich der Patient in Schmerzen windet.

So hat also der Arzt tagtäglich im Operationssaal mit dem Problem der Schmerzbekämpfung zu tun und die Anästhesiologie ist nun jenes medizinische Fachgebiet, das sich mit dieser Schmerzbekämpfung bei den operativen Disziplinen der Medizin befaßt. Hiezu gehören nicht nur die Ausführung aller Arten von Narkosen und die Durchführung von Nervblockaden und örtlichen Betäubungen, sondern auch die Betreuung der Patienten vor, während und nach der Operation sowie die wissenschaftliche und Forschungsarbeit auf diesem Gebiet. Die Erfahrung hat gezeigt, daß es im höchsten Maß vorteilhaft für das Wohl des Patienten 1st, das Arbeitsgebiet in den chirurgischen Fächern aufzuteilen: während sich der Operateur ganz seinen chirurgischen Aufgaben widmen kann, führt der Anästhesist eine fachgemäße Narkose aus und sorgt für den Allgemeinzustand de« Kranken. Die Anästhesio logie als eigenes Fachgebiet ist nun auch in Österreich in Konsolidierung begriffen, nachdem in anderen Ländern Lehrkanzeln und Dozenturen beziehungsweise Fachgesellschaften (am frühesten in England und den USA) schon längere Zeit bestanden.

Dem Nervensystem fällt die Aufgabe zu, Schmerz-, Tast- und Temperaturempfindungen von der Haut Über Nerv und Rückenmark der Großhirnrinde, das heißt der Bewußtseinssphäre zuzuführen; in umgekehrter Richtung leiten motorische Fasern die Impulse vom Zentralnervensystem zum Muskel. Fast jeder Nerv enthält beiderlei Fasern, nämlich sensible, das sind Schmerz- und Tastempfinden leitende, sowie motorische, also Bewegung bewirkende. Gelingt es, durch irgendeine Maßnahme das Leitorgan für Schmerz, also den Nerv, auszuschalten, ist der erwünschte Zustand der Schmerzfreiheit erreicht. Durch Druck rein mechanisch kann man auch Anästhesie erzielen, wie es oftmals geschieht, wenn einem zum Beispiel durch eine besondere Lagerung des Beines der Fuß „einschläft . Hier werden in zeitlicher Reihenfolge zuerst die motorischen Fasern ausgeschaltet, dann schwinden Berüh- rungs- und zuletzt auch Schmerzempfindung. In den Napoleonischen Kriegen amputierten die Ärzte auf diese Weise schmerzlos, indem nämlich oberhalb der Operationsstelle die Extremität stark abgebunden wurde. In der modernen Medizin wird durch lokale Applikation von Medikamenten der schmerzleitende Nerv ausgnschaltet. Entweder bringt der Arzt das Präparat mit Nadel und Injektionsspritze direkt in die Gewebe —- „Infiltrationsanästhesie' — oder oberhalb der Operationsstelle als Depot um den Nerv herum —• Leitungsanästhesie . Auch besteht die Möglichkeit, beispielsweise die Schleimhäute durch Bepinselung oberflächlich anästhetisch zu machen. Im hohen Maß bewährt sich auch die Lumbalanästhesie, bei welcher das Medikament in den Rückenmarkskanal injiziert wird und dadurch die ein- und austretenden Nerven an ihren Wurzeln ausgeschaltet werden. Es ist mit Hilfe der Lokalanästhesie nicht nur möglich, kleinere Eingriffe auszuführen, sondern durch Verbesserung der Techniken können auch länger dauernde Operationen für den Kranken schmerzlos zu Ende geführt werden. So wird auch beispielsweise dem Lokalanästhetikum Adrenalin zugesetzt, eine Substanz, welche die Blutgefäße verengt, so daß der Abtransport des Medikaments aus dem Gewebe verzögert wird und es infolgedessen längere Zeit wirksam bleibt.

Diesen Arten der örtlichen Betäubung steht eine andere Möglichkeit, schmerzfrei zu operieren, gegenüber: die Allgemeinnarkose. Dabei wird der Patient durch’ Inhalation oder Injektion von

Medikamenten in die Blutbahn in einen der Tiefe nach steuerbaren, reversiblen Zustand der Bewußtlosigkeit versetzt. Hauptsächlich stehen Äther, Lachgas (Stickoxydul) und Zyklopropan in Verwendung, deren Angriffspunkt nicht wie bei der Lokalanästhesie das periphere, sondern das zentrale Nervensystem ist, nämlich das Gehirn. Narkoseapparate erlauben den Gebrauch erfahrungsgemäß günstiger Kombinationen und genaue Dosierung der Mittel. Eine Injektion von Alkaloiden aus der Morphium- und Atropinreihe vor Beginn der Operation beseitigt bestehende Schmerzen, bewirkt eine psychische Beruhigung des Kranken und versetzt ihn in einen müd-schläfrigen Zustand. Der Narkotiseur schätzt auch die allgemein dämpfende Wirkung, welche die Einleitung und Aufrechterhaltung der Anästhesie wesentlich erleichtert. Oftmals kann die Narkose in einer für den Patienten sehr angenehmen Welse begonnen werden: er spürt nur einen kleinen Stich und wird durch die Injektion von Pentothal — ein Mittel aus der Schlafmittelreihe — in wenigen Augenblicken in tiefen Schlaf versenkt. Viele Patienten wollen ja von der Operation so wenig als möglich erleben. Sonst bewirkt die Inhalation von Ladigas oder von Ätherdämpfen in wenigen Minuten den Eintritt der Bewußtlosigkeit. Den individuellen Verhältnissen angepaßt und den Wünschen des Operateurs gemäß hält der Anästhesist oft für Stunden den Patienten in der gewünschten Narkosetiefe. Besonders kombinierte Methoden erlauben, allen Anforderungen gerecht zu werden. So gestattet die Anwendung von Curare in Kombination mit einer eher oberflächlichen Narkose durch seinen muskelerschlaffenden Effekt müheloses Operieren. Immer steht der Allgemeinzustand des Patienten unter fortlaufender Beobachtung; Atmung, Puls und Blutdruck werden fortwährend registriert. Eventuell auftretende Komplikationen oder Zwischenfälle können sofort wirksam behandelt werden, Bluttransfusionen während der Operation sind keine Seltenheit mehr.

Statistiken haben gezeigt, daß 90 Prozent der tödlichen Narkosezwischenfälle direkt oder indirekt durch Unterbrechung der Atemwege verursacht wurden. (Auf ungefähr 15.000 Äthernarkosen kam ein tödlicher Zwischenfall.) Bei der Endo- trachealnarköse werden diese Fehlerquellen ausgeschaltet, Indem ein Gummirohr durch die Stimmritze in die Luftröhre eingeführt wird, durch das dann der Patient atmet und das ihn unter allen Umständen sichert. Diese Art der Narkose bewährt «ich bei allen langdauernden großen Eingriffen, sie ist unerläßlich bei den Operationen an den Brustorganen.

Die Tätigkeit des geschulten Anästhesisten bedingt ohne Zweifel, daß die Mortilitäts- und Morbilitätsrate bei allen chirurgischen Eingriffen gesenkt werden kann. Ein weiterer Fortschritt bedeutet die Möglichkeit, Operationen an Organen auszuführen, die bisher dem Chirurgen nicht zugänglich waren, zum Beispiel Herz, Lunge. Hieher zählen auch die großen, langdauernden Eingriffe bei ausgedehnten bösartigen Tumoren. Schließlich ist es auch möglich, Säuglinge, Greise oder Patienten in schlechtem Allgemeinzustand zu operieren, bei denen allen bisher wegen des zu hohen Risiko« chirurgische Eingriffe abgelehnt werden mußten.

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