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Sterbende liebevoll begleiten

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Mitleid mit Patienten, die sehr leiden, wird als Rechtfertigung ins Treffen geführt, wenn Ärzte zu dem drastischen Mittel der Sterbehilfe greifen...

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Mitleid mit Patienten, die sehr leiden, wird als Rechtfertigung ins Treffen geführt, wenn Ärzte zu dem drastischen Mittel der Sterbehilfe greifen...

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Das ist ein falscher Weg, denn die „Halbgötter in Weiß“ sollen nicht zu Entscheidern über Leben und Tod, ärztliches Mitleid nicht zu einer moralischen Instanz werden. Denn geeignete Schmerztherapien lindern heute unnötige Qualen — des Körpers und des Gewissens.

Ein Beispiel: Die Patientin leidet an Krebs im letzten Stadium. Die behandelnden Ärzte haben die 74jährige aufgegeben. Von unbändigen Schmerzen gepeinigt, dämmert die Frau ihrem nahen Tod entgegen. Die Situation der Schwerkranken erregt das Mitleid eines Arztes. Mit einer überdosierten Schmerzmittelinjektion versetzt er der Sterbenden eine Art „Gnadenschuß“.

Der Fall des Wiener Arztes sorgte zwar für einige Schlagzeilen, aber daß Ärzte ihre Patienten umbringen, ist keine Seltenheit mehr. In den Niederlanden trägt Gevatter Tod längst den weißen Kittel, dank eines Gesetzes, das dem Arzt sehr freie Hand im Umgang mit dem Leben sterbenskranker und Schmerz leidender Patienten gibt. Allein im Jahr 1990 töteten niederländische Ärzte 2.380 Patienten auf deren Verlangen, weitere 1.030 Menschen starben, weil Mediziner eine eigene Gewissensentscheidung trafen. Das seit Beginn des Jahres geltende Gesetz verschaffte der ohnehin gängigen Praxis die rechtliche Grundlage.

Auch in Großbritannien scheint der hippokratische Eid, die Jahrtausende alte Standesregel der Ärzteschaft, seine Gültigkeit verloren zu haben. Über 30 Prozent der Ärzte gaben auf Befragen zu, schon einmal aktive Sterbehilfe geleistet zu haben. Aus anderen Ländern liegen keine Erhebungen vor, aber in allen europäischen Staaten gab es schon medienträchtige Präzedenzfälle, die auf eine dahinter stehende Dunkelziffer schließen lassen.

KEINE UNNÖTIGE SCHMERZEN

Als Grund für ihr Handeln geben Ärzte immer wieder Mitleid an. Mit ihrer Tat wollen sie totgeweihten Patienten unnötige Schmerzen ersparen. Und tatsächlich äußern meist solche Patienten den Wunsch nach dem Tod, die unter martialischen Schmerzen leiden. Aber unerträgli ehe Schmerzen müssen heute nicht mehr sein. „Wir haben die Erfahrung gemacht, daß der Wunsch nach der Todesspritze bei guter Betreuung nach ein bis zwei Wochen verschwindet“, sagt Franz Zdrahal, Leiter des Hospizteams der Wiener Caritas. Die internationale Hospizbewegung begleitet Sterbende in ihrer letzten Zeit.

Wo Heilung nicht mehr möglich ist, setzt man gezielt darauf, den Patienten schmerzfrei zu stellen. Ein großes Problem bildet hier die weitgehende Unkenntnis der Mediziner über die „lindernde Medizin“. Mit äußerster Skepsis stehen viele Ärzte einer Behandlung mit Morphium gegenüber.

Das liegt einerseits am bürokratischen Aufwand. Morphine fallen unter das Suchtmittelgesetz, eine Verschreibung ist meldepflichtig. Formulare, auf denen in fetten Lettern „Suchtgiftrezept“ steht, und die zusätzlich noch mit einem dicken roten Querbalken versehen sind, wirken eher abschreckend. Zusätzlich geht die unbegründete Angst um, den Patienten in eine Abhängigkeit zu stür-zen. Eine Gefahr, die nicht besteht, wenn Schmerzmittel vorsorgend und dauernd verabreicht werden, nicht erst, wenn Schmerzen auftreten,

Auch Politiker sprechen sich bereits für die unbürokratische Verschreibung aus. Erwin Rasinger, Gesundheitsexperte der ÖVP und selbst praktizierender Arzt: „Der Arzt muß danach trachten, den Patienten schmerzfrei zu halten.“ Er tritt daher für eine Behandlung von Krebs- patienten mit Opiaten ein. Eine entsprechende Änderung des Suchtmittelgesetzes ist jedoch auch für die nächste Legislaturperiode nicht geplant.

GEGENPOL ZUR STERBEHILFE

Die Hospizbewegung will mit ihrer Sterbebegleitung einen deutlichen Gegenpol zur sogenannten Sterbehilfe setzen. Ihre Arbeit erschöpft sich nicht in der medizinischen Versorgung Moribunder (Todkranker). „Wir haben die Zeit, uns auf den Sterbenden einzulassen. Hospizpflege ist Weggefährtenschaft, nicht nur medizinische Pflege“, sagt Martin Sorgel, Pflegedienstleiter des Wiener Hospizteams.

Die Patienten, ausschließlich Krebs- und AIDS-Kranke, wenden sich an das Team, weil sie keine Therapie mehr wünschen. Von den Mitarbeitern der Hospizbewegung versorgt, lernen manche, das Sterben als natürlichen Vorgang anzunehmen. „Wir hatten Menschen, die ganz bewußt gestorben sind“, so Sorgel.

Die intensive Beschäftigung mit Sterbenden und die ständige Konfrontation ist für die Mitarbeiter höchst belastend. Daher sind fast alle Pflegekräfte nur in Teilzeit angestellt. Großzügige Sonderurlaubsund Karenzregelungen helfen, übermäßige psychische Belastungen abzubauen. Die Arbeit mit vielen ehrenamtlichen Helfern ist ein weiterer Vorteil, den ein Krankenhaus nicht bieten kann.

Dennoch wünscht sich Sorgel neben der Hausbetreuung auch eine eigene Hospizstation. Manche medizinischen Probleme machen einen zeitweisen stationären Aufenthalt nötig.

Auch pflegende Angehörige der Moribunden könnten sich für die Zeit eines Aufenthaltes erholen. Sterben sollen die Patienten aber zu Hause, so wie es auch der Wunsch der meisten Menschen ist. Und so weiß Sorgel, daß eine Station die Hausbetreuung nicht ersetzen kann, aber „das Hospiz soll eine Raststätte auf dem letzten Weg sein.“

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