
Sterbeverfügungsgesetz: Lernen von Sarah Braun
Der Neurologe und Palliative Care-Experte Stefan Lorenzl hat die junge ALS-Patientin Sarah Braun begleitet. Ein Gespräch über ihr Leben und Sterben - und die womöglich dramatischen Folgen des geplanten "Sterbeverfügungsgesetz" bei neurologischen Erkrankungen.
Der Neurologe und Palliative Care-Experte Stefan Lorenzl hat die junge ALS-Patientin Sarah Braun begleitet. Ein Gespräch über ihr Leben und Sterben - und die womöglich dramatischen Folgen des geplanten "Sterbeverfügungsgesetz" bei neurologischen Erkrankungen.
Was tun, wenn ein Mensch sterben will? Diese Frage begleitet Stefan Lorenzl in seiner täglichen Arbeit. Sowohl als Neurologe mit Schwerpunkt Parkinson und ALS (amyotrophe Lateralsklerose) wie auch als Experte für Palliative Care ist er regelmäßig mit dem Sterbewunsch von leidenden Menschen konfrontiert. Im Krankenhaus Agatharied nahe München, dem akademischen Lehrkrankenhaus der Ludwig-Maximilians-Universität, hat er unter anderem Sarah Braun begleitet – eine junge Frau, die an der unheilbaren Muskelkrankheit ALS erkrankt und am 15. März 2021 mit nur 29 Jahren gestorben ist (DIE FURCHE hat ihre Geschichte erzählt).
In ihrem Buch „Leben und gleichzeitig sterben“ (Mabuse 2020) hat Braun beschrieben, wie ihre Freunde sie von Bayern über die Berge bis an den Gardasee getragen hatten, um mit ihr ein letztes Abenteuer zu erleben, wie ihr Umfeld generell mit ihrer Krankheit umging – und wie sie selbst auch über assistierten Suizid nachdachte. Wie denkt nun ihr Arzt, Stefan Lorenzl, der 2014 an der Medizinischen Privatuniversität Paracelsus in Salzburg eine Abteilung für Neurologie und Palliative Care aufgebaut hat, darüber? Und was hält er vom geplanten „Sterbeverfügungsgesetz“, gemäß dem Suizidbeihilfe ab 1. Jänner 2022 unter bestimmten Umständen straffrei wird? DIE FURCHE hat mit ihm gesprochen.
DIE FURCHE: Herr Professor Lorenzl, was dürfen Sie uns über das Sterben und den Sterbewunsch von Sarah Braun sagen?
Stefan Lorenzl: Nachdem Frau Braun sehr offen mit ihrer Krankheit und auch dem Wunsch nach assistiertem Suizid umgegangen ist, kann ich sagen, dass sich dieser Wunsch im Laufe der Krankheit verändert hat. Das ist oft so bei neurologischen Patienten: Gerade in der Frühphase, nach der Diagnose, herrschen Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Wenn eine gute Begleitung möglich ist, dann können aber viele die Erkrankung akzeptieren – und bei manchen ändert sich auch die Lebensqualität eminent. Das war auch bei Sarah Braun so. Was sie letztlich davon abgehalten hat, war, dass sie so gut eingebunden war im Kreis ihrer Freunde und Familie – und dass sie durch das Abenteuer in den Bergen extremen Lebenssinn bekommen hat. So war dieser Wunsch im letzten Jahr nicht mehr vorhanden. Am Ende ist sie friedlich im Kreis ihrer Familie eingeschlafen.
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