Sterbehilfe, Euthanasie, assistierter Suizid - © FOTO: APA/dpa/Patrick Seeger

Palliativmedizin: Das Sterben auf Ebene 17

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Auf der Palliativstation des Wiener AKH ist der Tod ein ständiger Gast. Was bedeutet hier "Sterbehilfe"? Über Autonomie und Menschlichkeit in einem Mammut-Spital.

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Auf der Palliativstation des Wiener AKH ist der Tod ein ständiger Gast. Was bedeutet hier "Sterbehilfe"? Über Autonomie und Menschlichkeit in einem Mammut-Spital.

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Überall im Wiener AKH ist Rauchen strengstens verboten. Überall - nur nicht hoch oben auf Station 17K. Gleich hinter dem Eingang ins "gelbe Reich", wie die Palliativstation wegen ihrer freundlichen Farbgebung samt roter Mohnblumen heißt, hat man einen kleinen Raucherplatz eingerichtet. "Da sitzen meistens Lungenkrebspatienten, von denen ja viele starke Raucher sind", erzählt der ärztliche Leiter der Station, Herbert Watzke. Eine spezielle Absaugevorrichtung, die den anfallenden Qualm nach draußen leitet, soll ihnen diesen letzten, kleinen Freiraum eröffnen.

Wie weit reicht meine Selbstbestimmung? Diese Frage stellt sich nicht nur beim Rauchen schwerkranker Menschen, sie stellt sich noch viel drängender bei der Art und Weise ihres Sterbens. Und gestorben wird viel auf der Zwölf-Betten-Station 17K. Etwa 200 Patientinnen und Patienten werden jedes Jahr von anderen Abteilungen des Allgemeinen Krankenhauses hierher verlegt, um sie bestmöglich betreuen zu können; fast alle von ihnen leiden an einer Krebserkrankung. Etwa die Hälfte wird irgendwann mit Unterstützung mobiler Dienste nach Hause geschickt; die andere Hälfte wird das "gelbe Reich" nicht mehr lebend verlassen.

Ein Ende der Sprachlosigkeit

Es sind schwere Schicksale, die der Palliativmediziner Herbert Watzke und sein Team aus Krankenschwestern, Pflegern, Therapeutinnen und Seelsorgern Tag für Tag miterleben. Da ist etwa jene Mutter zweier Kleinkinder, in deren Körper gerade ein Weichteiltumor wuchert. Mittlerweile ist die junge Frau schon querschnittgelähmt: Wird diese Lähmung verschwinden? Werde ich überleben? Und wenn nicht: Was wird mit meinen Kindern sein? Erst nach und nach ist es für sie möglich geworden, diese quälenden Fragen auszusprechen, erinnert sich Watzke: "Diese Sprachlosigkeit zu überwinden, das ist die Essenz guter, palliativer Betreuung."

Doch was, wenn Schmerzen und Verzweiflung so groß werden, dass scheinbar Unaussprechliches zutage tritt - nämlich der Wunsch nach "Tötung auf Verlangen"? In den Niederlanden und Belgien wird ihm schon längst stattgegeben, ihn Österreich steht eine solche Tötung unter Strafe, über eine verfassungsmäßige Verankerung wird gerade diskutiert. Herbert Watzke überlegt.

Gesunde sind oft interessiert an Exit-Strategien. Aber wenn man Sterbenden anbietet, selbst den Schalter umzulegen, nehmen sie das fast nie in Anspruch. (Herbert Watzke)

"Etwa zehn Prozent unserer Patienten äußern den Wunsch, möglichst schnell sterben zu können!", sagt er schließlich. "Aber wenn man Sterbenden konkret die Möglichkeit anbietet, selbst den Schalter umzulegen, dann nehmen sie das fast nie in Anspruch." Ein erstaunlicher Widerspruch übrigens zur Haltung vieler Gesunder, die auf Anfrage häufig bekunden, im Ernstfall durchaus an diversen "Exit-Strategien" interessiert zu sein - wie etwa an einer Reise in die Schweiz, wo Vereine wie "Dignitas" die Möglichkeit zum assistierten Suizid offerieren.

All das ist in Österreich verboten. Doch es gebe schon jetzt rechtliche Möglichkeiten, dass Patienten den Sterbeprozess abkürzen, also selbst den Schalter umlegen: etwa durch den Abbruch einer antibiotischen Behandlung bei Infektionen. "Wenn der Patient dies ablehnt, dann stirbt er daran. Doch viele Menschen - und auch Ärzte - wissen nicht, dass das gesetzlich möglich ist", beklagt Watzke. Nicht nur "Tötung auf Verlangen" ist eben laut österreichischem Strafgesetzbuch verboten (Paragraph 77), sondern auch die "eigenmächtige Heilbehandlung" (Paragraph 110). Jede einwilligungsfähige Person hat demnach das Recht, den Abbruch einer Therapie zu erzwingen, selbst wenn dies ihren Tod herbeiführen könnte. Früher hat man diesen Weg "passive Sterbehilfe" genannt, die Bioethikkommission plädiert eher für den Begriff "Sterben zulassen".

Manche nutzen dieses Recht ganz radikal. Zum Beispiel jener Lungenkrebspatient mit erhöhtem Herzinfarktrisiko, dem ein Defibrillator eingebaut worden war, um ihn bei etwaigem Kammerflimmern zu schocken. Drei solche Schocks machte er durch, bis er schließlich mit dem Wunsch ins AKH kam, das Gerät doch einfach abzuschalten. Nach einer Familienkonferenz und einem "psychiatrischen Konzil" wurde ihm dieser Wunsch erfüllt. Zwei Wochen später ist er zuhause verstorben.

Selbstbestimmung gegen die Angst

Allein das Wissen um diese Möglichkeit der Selbstbestimmung nimmt vielen die Angst, weiß Herbert Watzke - ebenso wie das Wissen, etwa bei nicht behandelbarer Atemnot durch "palliative Sedierung" in eine Art Tiefschlaf versetzt werden zu können. Nur zwei Mal wurde diese Maßnahme im Vorjahr auf der Palliativstation gesetzt, erzählt der Mediziner. "Doch schon wenn man die Patienten darauf aufmerksam macht, merkt man, wie sie sich entspannen."

Ist also alles gut so, wie es ist? Keineswegs, betont Herbert Watzke, der bis April dieses Jahres auch Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft war. Es brauche zwar nicht unbedingt eine verfassungsmäßige Änderung. Es brauche aber endlich die Einrichtung eines Facharztes für Palliativmedizin und vor allem die nötigen Mittel, um eine flächendeckende Hospiz- und Palliativversorgung zu gewährleisten. "Das hat man uns alles schon versprochen", sagt Watzke, als er sein helles "gelbes Reich" verlässt. "Aber jetzt endlich muss es auch geschehen."

Buch

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Vom Umgang mit Leiden, Würde und Sterben

Von Herwig Oberlerchner und Gerald Heschl (Hg.)

Styria Premium 2014, 165 S.,

geb., € 19,99

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