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Der Tod als ethische und soziale Aufgabe

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„Wir haben uns als Intensivmediziner in den letzten Jahren zu der Einsicht durchgerungen, daß Technik nicht alles ist. Der Arzt muß in menschliche Beziehung zum Sterbenden treten: zu Beginn und am Ende des Lebens braucht der Mensch die Liebe des Mitmenschen“. Prof. Otto Mayerhofer-Krammel, Anästhe-siologe an der medizinischen Fakultät der Universität Wien, bekannte sich im überfüllten Saal des Albert-Schweitzer-Hauses zur passiven Sterbehilfe, die durch Linderung der physischen und psychischen Qualen dem Kranken die Möglichkeit vermitteln soll, in Würde zu sterben, „den Patienten zwar nicht über die Schwelle zwischen Leben und Tod zu stoßen, ihn aber doch hinüberschreiten zu lassen“.

Zu Beginn einer Diskussion der Hochschülerschaft zum Thema „Medizin und Ethik - Euthanasie“ wurde ein Film über eines der fünf Londoner Sterbehäuser gezeigt. In „St. Christopher“ werden Patienten aufgenommen und betreut, deren Los es ist, auf das Sterben zu warten. Sie sind von den Ärzten aufgegeben: Es besteht keine Hoffnung mehr.

Ziel dieser staatlichen Einrichtung ist es, dem Sterbenden in der letzten Phase seines Lebens ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Das Pflegepersonal sorgt individuell für jeden einzelnen, freiwillige Helfer jeden Alters und aus allen sozialen Schichten stehen dem Sterbenden bei, die Einsamkeit des Todes zu überwinden und die Angst zu lindern. Hier helfen auch die regelmäßig verabreichten Medikamente und Antidepressiva. Der Patient soll in Harmonie und Ausgeglichenheit versetzt werden, „um noch das zu tun, was er gerne tun möchte.“

Das Problem der aktiven und passiven Euthanasie (Tötung auf Verlangen - Hilfe beim Sterben) wird die Gesellschaft immer bewegen. Es geht um die ärztliche Entscheidung, unter welchen Umständen eine medizinische Behandlung abgebrochen, die Apparaturen abgeschaltet werden sollen. Unsere rechtsstaatliche Ordnung verbietet die Tötung des geborenen menschlichen Lebens.

Unsere Rechtsordnung akzeptiert aber gleichzeitig den Willen des urteilsfähigen Individuums. Und es gibt Menschen, die bewußt den Tod einer lebensverlängernden Behandlung vorziehen. Der Arzt berücksichtigt in seiner Entscheidung primär den Willen des Patienten. Beim Nichturteilsfähigen entscheidet einzig und allein der Zustand des Patienten: Wenn Ärzte im Kreise fachkundiger Kollegen sich der Uberzeugung nicht mehr entziehen können, daß ein irreversibler Zustand des Sterbenmüssens eingetreten ist, erst dann stellt sich die Frage des Abbruches der Behandlung Und der Gewährung passiver Sterbehilfe.

Aus theologischer Sicht wird das Problem aufgeworfen, wie „man dem letzten Heranreifen des Menschen im Angesicht des Todes gerecht werden kann“. Ist es menschenwürdig, den Sterbenden in totaler Isolation an Apparaturen anzuschließen, ihn zu bewußtem Leben zurückzurufen, ohne letztlich einen qualvollen, bewußten Todeskampf verhindern zu können? Zu welchem Zeitpunkt beginnt sich der Sinn des Lebens -wahrhaft Mensch zu werden; dem Leben Tiefe zu geben - in unsinnige Qual zu verwandeln? Oder: Kann eine Willensäußerung zum Sterben unter der psychischen Belastung des Todes nicht auch ein ungeschickter Hilferuf sein: „Helft mir, laßt mich nicht allein“?

All dies muß ein Arzt bedenken, wenn er seine letzte Entscheidimg trifft. All dies müßte auch bedacht werden, wenn der Patient in eine Sterbeklinik überstellt wird. Wie immer man zu derartigen Einrichtungen stehen mag, befremdend scheint es doch: Keinerlei Einwand von Seiten des Podiums und des Plenums wurde laut. Ist die heutige Gesellschaft tatsächlich geneigt, die sterbenden Angehörigen einer öffentlichen Institution zu überantworten? Will das der Sterbende wirklich?

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