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Lainz — die Alt(en)last

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50 von Krankenschwestern ermordete alte Menschen im Krankenhaus Lainz! Mit wem immer man spricht: Es herrscht allgemeine Erschütterung im ganzen Land. Zu Recht. Aber ist dieses Ereignis wirklich so überraschend?

Betrachten wir doch den Hintergrund, vor dem es sich ereignet hat. Da ist eine Gesellschaft, die längst nicht mehr weiß, was Leben ist. Eine Kostprobe? Die Definition von Leben im Lexikon: „Eine Vielzahl von chemischen und physikalischen Vorgängen an Materie bestimmter Zusammensetzung … Es gibt keine scharfe Grenze zwischen Lebendigem und Unbelebtem.“

Da ist weiters ein Umfeld, in dem sorglos mit menschlichem Leben umgegangen wird, nicht nur im Film, im Fernsehen (jeder Jugendliche hat, bevor er ins Berufsleben eintritt, Zigtausende Morde miterlebt). Man kann auch folgendes nicht oft genug in Erinnerung rufen: Wir leben in einer Gesellschaft, die sich häuslich neben Abtreibungs„kliniken“ eingerichtet hat, in denen jährlich Zehntausende Menschen umgebracht werden.

Da ist weiters ein Klima, in dem Sterbehilfe salonfähig gemacht wird: Wenn der deutsche Arzt Julius Hackethal im Fernsehen erklärt, er habe seiner leidenden Mutter Gift gegeben, wird er von der Regenbogenpresse als Held gefeiert. Wäre in Lainz „nur“ ein einziger Mord bekanntgeworden, wie leicht hätte man ihn rührend als Sterbehilfe verkaufen können!

Zum Teil unter Medienapplaus konnte auch der französische Senator Henri Caillavet einen Gesetzesentwurf einbringen, der die Straffreiheit für die Tötung behindert geborener Kinder in Frankreich vorsah.

Schon 1980 wurde in den Niederlanden eine „Gebrauchsanleitung für Ärzte zur verantwortungsbewußten Euthanasie“ verteilt (15.000 Exemplare). Bis auf Milligramm genaue Giftdosierungen waren darin angegeben. Und in einem „Schwarzbuch“ meldeten sich holländische Krankenschwestern und Pfleger zu Wort: Rund die Hälfte der 140.000 Klinikangestellten des Landes hätten bei „Sterbehilfe“ assistiert und verlangten daher die Legalisierung ihres Tuns.

Und: In Australien ergab kürzlich eine Umfrage unter Ärzten, daß 30 Prozent Sterbehilfe erteilt hätten und 62 Prozent Euthanasie-Befürworter seien.

Es geht nicht darum, das Verhalten der Schwestern in Lainz zu entschuldigen. Aber es stellt ihr Tun in ein Umfeld, in dem die Lieblosigkeit überhand nimmt, man sich mit der Unmenschlichkeit abfindet, sich langsam an jede Ungeheuerlichkeit gewöhnt. Wie oft hört man in diesen Tagen: So etwas ist nicht nur in Lainz passiert! In Deutschland gab es kürzlich ja den Fall Michaela Roeder, einer jungen Krankenschwester, der ebenfalls mehrfacher Mord an Patienten zur Last gelegt wurde.

Wir sollten jetzt nicht in den Fehler verfallen, voll Verachtung auf Schwestern und Ärzte zu schauen. In jedem von uns steckt diese Bequemlichkeit, den hilflosen, leidenden Menschen abzuschieben: Er paßt nicht in unser durchprogrammiertes Leben, belastet uns nur. Also ab ins Altersheim, ins Krankenhaus (vielfach holen Eltern ihre wiedergenesenen -Künder nicht mehr ab: Im Karneval haben die Kinderspitäler im Rheinland Hochsaison!).

Und in den Anstalten lassen wir die „Spezialisten“ werken. Aber auch sie sind überfordert. Woher sollten sie die viele Liebe nehmen, die für eine so herausfordernde Tätigkeit notwendig ist? Ist heute nicht Nützlichkeit oberste Handlungsmaxime?

Das Leben des Menschen nach seiner Nützlichkeit zu beurteilen, ist unmenschlich, erinnert an die Nazi-Zeit: Fielen damals Juden, Zigeuner, geistig Behinderte solchen Überlegungen zum Opfer, sind es heute die Ungeborenen, die behinderten Kinder und vielleicht bald die Alten?

Machen wir uns nichts vor. Die Versuchung zu solchen Berechnungen wird zunehmen: Steigende Lebenserwartung, schrumpfende Kinderzahlen werden den Anteil der alten Menschen dramatisch steigen lassen. Wer wird die wachsende Zahl von Pflegebedürftigen liebevoll versorgen? Etwa die von ihren Eltern verlassenen, bis dahin herangewachsenen Scheidungswaisen?

Im Grunde genommen reicht das Problem weit über den Anlaßfall hinaus. Die Mordserie in Lainz erschüttert unser Land. Sie sollte mehr sein als ein Medienspektakel (in dem die Würde der noch nicht verurteilten Schwestern — ja auch sie haben eine Würde! - verletzt wird)—nämlich ein Anlaß zur Besinnung:

Da wird es sicher um verbesserte Ausbildung, Überwachung, Betreuung gehen müssen. Regulierung allein wird aber nicht reichen. Eine Neuausrichtung der Sozialpolitik ist überfällig: Förderung der Hauspflege, der Nachbarschaftshilfe, der Alten- und Krankenbetreuung zu Hause.

Aber es geht um noch viel mehr: Um eine Rückbesinnung auf die unantastbare Würde des Menschen. Sie wurzelt darin, daß jeder Mensch Gottes Ebenbild ist. Dieser Würde gerecht zu werden und den Menschen zu lieben, geht jedoch über menschliche Kräfte und ist letztlich nur mit Gottes Hilfe möglich.

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