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Wie kann man den Sterbenden helfen?

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Der lange Leidensweg des greisen jugoslawischen Staatschefs Tito, seit vielen Wochen nur noch Dank der modernen medizinischen Apparaturen am „Leben", hat die Problematik des Rechtes auf den eigenen Tod, der Sterbehilfe und der Euthanasie wieder aktuell werden lassen. Auch die Grazer und Wiener Inszenierung des Stücks ,Jst das mein Leben?" bieten Anlaß, diesen Themenkreis als Schwerpunkt zu behandeln. Der Bericht auf Seite 9 über die Erfahrungen, die ein Elternpaar mit seinem sterbenden Kind gemacht haben, rundet die Behandlung dieser Thematik ab.

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Der lange Leidensweg des greisen jugoslawischen Staatschefs Tito, seit vielen Wochen nur noch Dank der modernen medizinischen Apparaturen am „Leben", hat die Problematik des Rechtes auf den eigenen Tod, der Sterbehilfe und der Euthanasie wieder aktuell werden lassen. Auch die Grazer und Wiener Inszenierung des Stücks ,Jst das mein Leben?" bieten Anlaß, diesen Themenkreis als Schwerpunkt zu behandeln. Der Bericht auf Seite 9 über die Erfahrungen, die ein Elternpaar mit seinem sterbenden Kind gemacht haben, rundet die Behandlung dieser Thematik ab.

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Wieweit darf die Medizin bei der Erhaltung des Lebens gehen? Wie lange sind lebensverlängernde Maßnahmen gerechtfertigt, und wann muß das Recht des einzelnen auf einen würdigen Tod berücksichtigt werden? Wie steht es überhaupt mit diesem „würdigen Tod" in unserer Wohlstandsgesellschaft, in der vor allem und in erster Linie Leistung gilt?

Solche und ähnliche Fragen beginnen abermals virulent zu werden, seit der Kampf um das Leben eines Großen, nämlich des jugoslawischen Staatspräsidenten Marschall Tito die Öffentlichkeit beschäftigt. Der hilf-' lose Mensch, angehängt an monströse Apparaturen, die sein Leben unter allen Umständen zu verlängern haben - dieses Bild beginnt, wenn auch eher unterschwellig, durch die Presse zu geistern. Und damit ist das Problem der Sterbehilfe-verstanden in beiderlei Bedeutung des Wortes, als aktive und passive Sterbehilfe nämlich, erneut ins allgemeine Blickfeld geraten.

Wobei unter passiver Sterbehilfe jene Art von Hilfe verstanden wird, die den Tod weder beschleunigt noch herbeiführt, sondern lediglich versucht, ihn erträglicher zu machen. Hingegen aktive Sterbehilfe den ganzen Komplex vom schmerzstillenden Mittel, das unter Umständen den Tod beschleunigen kann über den Abbruch einer Therapie bis zu der Frage, ob der Wunsch des Patienten nach seinem eigenen Tod berücksichtigt werden soll, umfaßt.

Daß die passive Sterbehilfe in unserem Gesellschaftssystem einem Vakuum begegnet, ist bekannt. Der Sterbende wird aus der vertrauten Umgebung seiner Familie gerissen und in eine unpersönliche Spitalsatmosphäre versetzt, in der ein Dienstpersonal seine Pflicht tut und die ihm als ungemein bedrohlich erscheinen muß. Er hat das Gefühl abgeschoben, aufgegeben zu werden, nicht mehr nützlich, vielmehr äußerst lästig, und daher praktisch nicht mehr existent zu sein. Ein Gefühl, das sich verdichtet, je näher er sein Ende kommen fühlt. Zuerst wird noch allerhand mit ihm angestellt, Ärzte bemühen sich um ihn, wollen sein Leben erhalten. Aber sobald die Nutzlosigkeit dieser Bemühungen eingesehen wird, sobald Technik und Medizin zu versagen beginnen, wird es still um ihn. Es ist jener Augenblick, in dem der Arzt „seine Niederlage eingestehen muß", wie Prof. Erwin Ringel es genannt hat. Mit seiner Kunst ist er am Ende, sein Wissen wird nicht mehr gebraucht - und davon abgesehen, darüber hinaus fühlt er sich hilflos. Eine Frau, die einen todkranken Verwandten pflegte, hat das bei einem Interview sehr treffend ausgedrückt:

..... Wie der Arzt gesehen hat: der stirbt ja, hat ihn eine Panik ergriffen, er ist weggegangen, hat das Honorar nicht genommen, und hat mich dastehen lassen. Er hat nicht gesagt, was ich noch machen soll, wo ich noch helfen könnt', wie ich mich verhalten soll. Ich hatte das Gefühl: er ist Arzt, der heilen will, und wenn das nicht mehr geht, dann ist der Patient uninteressant, dann ist er kein Mensch mehr."

Aber nicht nur der Arzt, auch Familienangehörige, allzuoft auch der Priester versagen im Augenblick des Todes, der so sehr an den Rand gedrängt wurde, daß er seine Unmittelbarkeit, seine Selbstverständlichkeit, die aus einer allgegenwärtigen Nähe eigentlich erwachsen müßte, verloren hat. Diese Situation steht sicherlich in einem ursächlichen Zusammenhang mit der sogenannten aktiven Sterbehüfe. Denn ist es nicht vielleicht oft so, daß gerade die Verdrängung des Todes, die Unmenschlichkeit des Sterbens im Patienten ebenso wie in den Angehörigen den Wunsch nach „Beendigung des Leidens" laut werden läßt. Statt ein tröstliches Wprt zu hören, wird der Todkranke in-das Vakuum einer allgemeinen Hilflosigkeit gestellt, statt eine liebe Hand zu halten, wird er an eine Maschine angehängt. Die Technik in ihren Auswüchsen hat auch das Sterben erfaßt, der „Kampf um das Leben" beginnt sich Grenzsituationen zu nähern, die immer schwerer zu durchschauen sind. Und doch weiß jeder, der mit Todkranken zu tun hat, wie kostbar gerade letzte Augenblicke für den Sterbenden sein können. Eine Patientin, die bereits mehrmals in Lebensgefahr schwebte, meinte auf die Frage, ob es ihrer Meinung nach gerechtfertigt sei, Leiden bewußt abzukürzen: „Wann ist das Leben wirklich aus? Ich war zweimal in einer Situation, in der ich gespürt habe, ich bin mehr drüben als da, in der ich fast enttäuscht war, daß ich dann wieder zurück gekommen bin. Und ich lebe noch, freue mich am Leben, finde Leben wunderschön."

Die „gnädige Spritze" wird daher nicht nur von den meisten Ärzten kategorisch agbelehnt, sie ist auch strafbar. „Ich würde" sagt Prof. Ringel dazu „alles ablehnen, was direkt zum Tode eines Menschen führt. Ich würde aber alles tun, was Menschen hilft, Sterben erträglicher und leichter zu machen - auch wenn damit der Sterbensprozeß etwas beschleunigt wird." Und hier beginnt nun die Gewissensfrage des Arztes, die er in alleiniger Entscheidung nur von Fall zu Fall beantworten muß. Wieweit hier gegangen werden darf, ist seiner Entscheidung - die mit Angehörigen besprochen, mit Kollegen diskutiert werden kann - überlassen. Gesetzliche Regelungen gibt es hier keine. Prof. Dr. Hans Asperger, ehemaliger Vorstand der Wiener Universitäts-Kinderklinik spricht von dem Grenzfall, der sich ergibt, wenn Leben nur noch durch Maschinen aufrecht erhalten wird, hingegen die höheren Hirnfunktionen bereits erloschen sind, also der sogenannte Gehirntod eingetreten ist. Nur in diesem Fall, so Prof. Asperger, dürften die Maschinen abgestellt werden.

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