Den Tod zulassen, wenn seine Zeit gekommen ist

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Fünf katholische Moraltheologen - Stephan Leher (Innsbruck), Michael Rosenberger (Linz), Walter Schaupp (Graz), Werner Wolbert (Salzburg) und Günter Virt (Wien) - haben unter dem Titel "Sterben zulassen" eine sehr differenzierte zu bereichern und weiter voranzutreiben. Die Furche veröffentlicht als erstes Medium den Wortlaut dieses Dokuments.Stellungnahme zum Problem der passiven Sterbehilfe vorgelegt, die zweifellos geeignet ist, die einschlägige Diskussion

In jüngster Zeit haben mehrere Ereignisse einem falschen oder mindestens einseitigen Eindruck von der katholischen Lehre über die Erlaubtheit des Therapieverzichts und der Einstellung der künstlichen Ernährung bzw. Flüssigkeitszufuhr Vorschub geleistet.

In Italien erweckte die Verweigerung eines kirchlichen Begräbnisses für Giorgio Welby mit dem Hinweis, es handle sich hier um Suizid, den falschen Eindruck, als sei der Abbruch einer Beatmung schon per se ein Verstoß gegen die kirchliche Lehre. In Spanien wurde Presseberichten zufolge ein ähnlicher Fall von Therapieabbruch kirchlicherseits verurteilt, weil man menschliches Leben niemals zerstören dürfe und man des Weiteren mit einem solchen Vorgehen der Legalisierung aktiver Sterbehilfe Vorschub leiste. In Großbritannien hat die katholische Frauenbewegung tausende Karten vertrieben, mittels derer die Besitzer im Fall einer Krankenhauseinweisung jegliche Form der passiven Sterbehilfe ablehnen.

Was ist (noch) erlaubt?

Die in den österreichischen Leitlinien für katholische Gesundheitseinrichtungen vom November 2005 getroffene Unterscheidung zwischen einer erlaubten "passiven indirekten Sterbehilfe" und einer unerlaubten "passiven direkten Sterbehilfe" als "gezielte Unterlassung von lebensrettenden Maßnahmen" könnte im Sinn einer Zurückweisung aller bewusst unternommenen Behandlungsmodifikationen oder Therapieabbrüche missverstanden werden (Die österreichischen Bischöfe: Leben in Fülle. Leitlinien für katholische Einrichtungen im Dienst der Gesundheitsfürsorge. Wien 2006, S. 24).

Auch wenn solche Reaktionen angesichts des faktischen gesellschaftlichen Drucks zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in vielen Ländern verständlich sind, stimmt einiges bedenklich. Vor allem fallen deutliche Differenzen zu bisherigen kirchlichen Stellungnahmen, was die so genannte "passive Euthanasie" betrifft, auf. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das kirchliche Lehramt sich selbst nicht auf den in der allgemeinen Diskussion oft gebrauchten Begriff einer "passiven Euthanasie" eingelassen hat, wohl wegen der damit möglichen Assoziation einer direkten Tötungsabsicht, sei es durch aktives Tätigwerden oder durch gezieltes Unterlassen. Der Sinn der lehramtlichen Aussagen zur "passiven Sterbehilfe" lässt sich durchgängig besser mit dem Begriff eines "Zulassen des Sterbens" wiedergeben.

Sterben nicht erschweren

Eine der ersten, bis heute wichtigen lehramtlichen Stellungnahmen stammt von Pius XII. aus dem Jahr 1957: "Aber sie (die Gerechtigkeit; Anm.) verpflichtet gewöhnlich nur zum Gebrauch der (entsprechend den Umständen, dem Ort, der Zeit, der Kultur) üblichen Mittel, d.h. der Mittel, die keine außergewöhnliche Belastung für einen selbst oder andere mit sich bringen. Eine strengere Verpflichtung wäre für die Mehrzahl der Menschen zu hart und würde die Erlangung wichtiger höherer Güter zu sehr erschweren."

Nun könnte man freilich die künstliche Beatmung unter heutigen Bedingungen als "übliches Mittel" ansehen. In der sich an die Äußerungen von Pius XII. anschließenden moraltheologischen Diskussion hat man allerdings unter die außergewöhnlichen Mittel nicht einfach solche gefasst, die neu oder aufwändig sind, sondern solche, deren Anwendung keinen Sinn mehr macht, die dem Kranken nicht helfen, sondern nur das Leben bzw. Sterben erschweren.

Künstliche Ernährung …

In diesem Sinn formuliert dann auch das Dokument der römischen Glaubenskongregation von 1980 (Kap. IV): "Bei drohendem Tod, der trotz der Anwendung von Heilmitteln auf keine Weise verhindert werden kann, ist es erlaubt, aus Gewissensgründen den Entschluss zu fassen, auf (weitere) Heilversuche zu verzichten, die nur eine ungewisse und schmerzvolle Verlängerung des Lebens bewirken könnten, ohne dass man jedoch die normalen Bemühungen unterlässt, die in ähnlichen Fällen dem Kranken geschuldet werden." Hier bleibt die Frage, was unter die "normalen Bemühungen" zu rechnen ist; künstliche Beatmung und künstliche Ernährung wohl kaum.

Was künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr angeht, überraschte 2004 eine Äußerung in einer Ansprache Johannes Pauls II. vom 20. März, in der dieser erklärte: "Insbesondere möchte ich unterstreichen, dass die Verabreichung von Wasser und Nahrung, auch wenn sie auf künstlichen Wegen geschieht, immer ein natürliches Mittel der Lebenserhaltung und keine medizinische Handlung ist. Ihre Anwendung ist deshalb prinzipiell als normal und angemessen und damit als moralisch verpflichtend zu betrachten, in dem Maß, in dem und bis zu dem sie ihre eigene Zielsetzung erreicht, die im vorliegenden Fall darin besteht, dem Patienten Ernährung, Flüssigkeitszufuhr und Linderung der Leiden zu verschaffen." Das Problem liegt hier allerdings darin, dass künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr keineswegs in jedem Fall zur Linderung von Leiden beitragen, sondern unter bestimmten Umständen eine Belastung für den Sterbenden sein können. Sie haben in der Regel nur im Rahmen eines Therapieplans Sinn.

… als "natürliches Mittel"?

In einer späteren Ansprache, am 12. November desselben Jahres, hat der Papst diese Möglichkeit offensichtlich berücksichtigt und erklärt: "Das wahre Mitleid hingegen fördert jede vernünftige Anstrengung, um die Genesung des Patienten herbeizuführen. Zugleich ist es eine Hilfe aufzuhören, wenn keine Behandlung mehr zu diesem Ziel führt. Die Verweigerung der lebensverlängernden Maßnahmen ist keine Zurückweisung des Patienten und seines Lebens. Denn Gegenstand der Entscheidung über die Angemessenheit, eine Therapie zu beginnen oder fortzusetzen, ist nicht der Wert des Lebens des Patienten, sondern der Wert des medizinischen Eingriffs beim Patienten. Die eventuelle Entscheidung, eine Therapie nicht einzuleiten oder zu unterbrechen, wird für ethisch richtig erachtet, wenn diese sich als unwirksam oder eindeutig unangemessen erweist, um das Leben zu erhalten oder die Gesundheit wiederherzustellen. Die Verweigerung der lebensverlängernden Maßnahmen ist deshalb Ausdruck der Achtung, die man dem Patienten in jedem Augenblick schuldet."

Würde des Patienten

Berücksichtigt man, dass künstliche Ernährung, Flüssigkeitszufuhr und künstliche Beatmung unter bestimmten Bedingungen eindeutig "lebensverlängernde Maßnahmen" darstellen, dann wären die hier formulierten Kriterien auch auf diese ärztlichen Maßnahmen anzuwenden. Die zweite Stellungnahme erscheint damit als eine vorsichtige, indirekte Korrektur der sehr eng gefassten ersten Stellungnahme. Das Leitprinzip lautet nun, dass der Vorenthalt bzw. die Zurücknahme lebensverlängernder Maßnahmen als solche weder einen Angriff auf das Leben des Patienten noch auf dessen Würde darstellen.

Diese Position wird auch durch Aussagen mittelalterlicher Autoren gestützt. Wenn jemand Nahrung nur mit größter Mühe aufnehmen könne, so schreibt z. B. Francisco de Vitoria im beginnenden 16. Jahrhundert, sei er entschuldigt, besonders wenn es keine Überlebenshoffnung gebe. "Gott wollte nicht, dass wir allzu sehr um unser Leben besorgt sind." Vitoria betont außerdem, dass Nahrung manchmal wie eine Medizin wirke, und unter solchen Umständen habe sie den moralischen Charakter einer Medizin. Ihre Anwendung sei dann nicht in jedem Fall verbindlich.

"Therapieverzicht …

Tatsächlich hängt es von der Einzelsituation ab, ob eine künstliche Ernährung im Sinn verpflichtender Pflege geboten oder aber im Sinn einer nicht mehr zum Ziel führenden Therapie auch unterlassen werden kann. 1981 hat der Päpstliche Rat Cor Unum künstliche Ernährung, Bluttransfusionen und Injektionen gleichermaßen als "therapeutische Maßnahmen" eingeordnet. Im Jahr 2004 formulierten die australischen Bischöfe: "In besonderen Fällen mögen jedoch Nahrung und Flüssigkeitszufuhr nicht mehr verpflichtend sein, wenn z.B. der Patient das Material nicht mehr aneignen kann oder wenn die Art und Weise der Aneignung selbst unnötiges Leiden verursacht oder unnötige Last für andere einschließt." In einem gemeinsamen Hirtenschreiben der oberrheinischen Bischöfe vom Juni 2006 heißt es: "Der Wandel des Behandlungszieles von der kurativen (=heilenden) zur palliativen (=lindernden) Sorge um den kranken Menschen ist fast immer mit einer Entscheidung zum Verzicht auf weitere lebensverlängernde Maßnahmen oder zum Abbruch einer bestehenden Therapie verbunden. […] Ein solcher Therapieverzicht kann nicht nur erlaubt, sondern unter Umständen sogar geboten sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die zu erwartende Lebensverlängerung in keinem angemessenen Verhältnis zu den körperlichen und seelischen Belastungen mehr steht, die eine Weiterführung der Behandlung mit sich bringen würde. […] Zur Endlichkeit des Lebens gehört auch, dass man das Herannahen des Todes zulässt, wenn seine Zeit gekommen ist." (Die Herausforderung des Sterbens annehmen. Gemeinsames Hirtenschreiben der Bischöfe von Freiburg, Strasbourg und Basel. Juni 2006, S. 6)

… kann geboten sein"

Angesichts dieser weitgehend klaren und beständigen Tendenz des kirchlichen Lehramts, aktive Sterbehilfe zwar eindeutig zu verurteilen, im Bereich der "passiven Sterbehilfe" aber im Sinn eines Sterbenlassens einen Entscheidungsspielraum für individuelle Gewissensentscheidungen offen zu halten (bzw. eine unbedingte Pflicht zur Lebensverlängerung zurückzuweisen), geben die eingangs genannten Beispiele und die damit in Zusammenhang stehenden Stellungnahmen zu denken. Dies vor allem deshalb, weil sie eine unbedingte Verurteilung eines solchen Handelns andeuten und nicht aus einer Analyse des konkreten Falls heraus argumentieren. Zwar ist tatsächlich unübersehbar, dass die Entscheidungssituationen im Hinblick auf einen möglichen Therapieabbruch immer komplexer werden; auch dass die Gefahr bestehen kann, gültige Kriterien zu weit oder undifferenziert auszulegen. Ein großes Problem liegt des Weiteren in dem gesellschaftlichen Druck, der verschiedentlich in Richtung einer Legalisierung der aktiven Euthanasie ausgeübt wird.

Rigorismus kontraproduktiv

Trotz allem aber darf der alles entscheidende Unterschied zwischen aktivem Töten und passivem Zulassen des Sterbens, der die gesamte bisherige Lehrtradition bestimmte, nicht durch eine ungenaue Sprache verwischt werden, die bestimmte Formen von Therapieabbruch undifferenziert mit "Tötung" gleichsetzt; oder durch eine Politik, welche reaktiv den Raum zulässigen Sterbenlassens ungebührlich einengt - eine Tendenz, wie sie z.B. von James Walter und Thomas A. Shannon in einem neueren Beitrag analysiert wird (u.a. Uminterpretation der klassischen Termini "ordentlich" und "außerordentlich", Einengung der erlaubten passiven Sterbehilfe auf die unmittelbare Sterbephase, verschärfte Präsumtion für eine Behandlungspflicht in allen Fällen; James Walter & Thomas A. Shannon: Contemporary Issues in Bioethics. A Catholic Perspective. Lanham MD 2005, S. 271 ff.). Auch wenn wie erwähnt die gegenwärtige Entwicklung auf dem Gebiet der Sterbehilfe mit großer Wachsamkeit verfolgt werden muss und alle offenen oder sublimen Tendenzen einer Legitimierung der aktiven Euthanasie aus christlicher Sicht abzulehnen sind, muss doch auch gesehen werden, dass eine undifferenzierte Verdächtigung bestimmter Formen von Therapieabbruch als illegitime "Tötung" den entsprechenden Forderungen erst recht Nahrung geben wird.

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