Pflicht zum Leben?

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Die Bioethikkommission hat bereits Empfehlungen zum „Sterben in Würde“ und zum „assistierten Suizid“ abgegeben. Man sollte sich an sie erinnern. Ein Gastkommentar von Christiane Druml.

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Die Bioethikkommission hat bereits Empfehlungen zum „Sterben in Würde“ und zum „assistierten Suizid“ abgegeben. Man sollte sich an sie erinnern. Ein Gastkommentar von Christiane Druml.

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Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat am 26. Februar 2020 in einem umfangreichen Urteil entschieden, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Das Lebensende – wie auch der Beginn des Lebens – ist in der internationalen bioethischen Debatte eines der wesentlichen Themen, die auch in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden. Bereits 2011 hat die österreichische Bioethikkommission eine Stellungnahme zur „Terminologie medizinischer Entscheidungen am Lebensende“ verabschiedet. Hier geht es um den der deutschen Sprache eigentümlichen Begriff „Sterbehilfe“. Sprache reflektiert unser Denken, unsere Emotionen und gestaltet unsere Handlungen. Deutsch ist die einzige Sprache, in welcher das Wort „Sterbehilfe“ verwendet wird, und das in einem breiten Bogen von der absolut erlaubten Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes in Form eines Verzichtes auf eine Behandlung, selbst wenn dieser Verzicht zum Tode führen sollte, über Sterbebegleitung im Hospiz, assistierten Suizid bis hin zum „vorsätzlichen Mord“. Dazwischen gibt es alle Schattierungen.

Dass dies mehr zur allgemeinen Konfusion beiträgt als zum Verstehen, ist klar. Der Terminus „Sterbehilfe“ ist aus dem Vermeiden eines anderen Begriffes entstanden: nämlich der Euthanasie, die für Deutschland und für Öster­reich untrennbar mit der menschenverachtenden Herrschaft der Nationalsozialisten und ihrer Tötungsmaschinerie an „unwertem Leben“ verbunden ist. Die Bioethikkommission hat in ihrer einhelligen Stellungnahme aus 2011 aufgerufen, für medizinische Handlungen eine andere Begrifflichkeit zu verwenden, die professionell und empathisch der Verständigung zwischen Ärzten, Patienten und Angehörigen dienen und Verunsicherungen vermeiden soll.

Raum für Interpretationen

2015 hat die Kommission eine ausführliche Stellungnahme zu „Sterben in Würde“ verabschiedet. Auch hier ist die Sprache ein gestaltendes Medium. Der Begriff „Sterben in Würde“ lässt Raum für Interpretationen. Jeder von uns versteht darunter etwas anderes – nicht nur auf Grund der persönlichen Weltanschauung und Kultur, sondern auch individueller Erlebnisse.
Viele Jahre stand die Weiterführung oder Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen im Fokus der Diskussion über medizinische Entscheidungen am Lebensende, darunter auch eine Regelung von Patientenverfügungen. Eine der wichtigsten Empfehlungen ist neben Palliativmedizin, Hospizwesen, Patientenverfügung jene zur Vermeidung unverhältnismäßiger medizinischer Interventionen, also von Übertherapie. Mit der Forderung nach größerer Rechtssicherheit in diesem Bereich soll sichergestellt werden, dass Interventionen, die ohne Nutzen oder mit einer höheren Belastung als dem eventuellen Nutzen für Patienten stehen, vermieden werden.

Diesem Kernstück „Übertherapie“ in unserem Dokument wurde allerdings wesentlich weniger Aufmerksamkeit geschenkt als der Thematik des assistierten Suizids, der auch im Jahr 2015 die öffentliche Debatte auf sich konzentriert hat, und der in Österreich – anders als beispielsweise in Deutschland, wo er damals nicht geregelt war – mit einem Freiheitsentzug von bis zu fünf Jahren Haft strafbar ist.

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