Soll die Würde in die Verfassung?

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Schon vor zehn Jahren hat der Österreich-Konvent dafür plädiert, das Verbot von Tötung auf Verlangen sowie ein Recht auf würdevolles Sterben in der Verfassung zu verankern. Diesen Freitag plant die ÖVP einen weiteren Vorstoß.

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Schon vor zehn Jahren hat der Österreich-Konvent dafür plädiert, das Verbot von Tötung auf Verlangen sowie ein Recht auf würdevolles Sterben in der Verfassung zu verankern. Diesen Freitag plant die ÖVP einen weiteren Vorstoß.

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In der österreichischen Verfassung steht so mancherlei: der Schutz der Umwelt, der Schutz vor den Gefahren der Atomenergie, das Prinzip der Nachhaltigkeit, die bestmögliche Lebensqualität zukünftiger Generationen, die Wasserversorgung und natürlich der Tierschutz. Sogar die Wiener Taxiordnung wurde auf verfassungsrechtliche Beine gestellt, um sie vor einer Aufhebung zu schützen. Sollte da nicht auch ein Recht auf Sterben in Würde Platz finden?

Tatsächlich hat sich bereits der Österreich-Konvent mit dieser Frage befasst, und zwar im Rahmen der Debatten über einen eigenen Grundrechtskatalog. Konkret beschäftigte sich der Ausschuss 4 am 27. April 2004 mit dem Verbot der "Sterbehilfe". Das Ergebnis war ein Konsens über alle Parteigrenzen hinweg, dass ein Verbot von Tötung auf Verlangen im Verfassungsrang verankert werden solle. Zudem plädierte der Ausschuss mehrheitlich dafür, auch das Recht auf einen würdevollen Tod zu verankern; dazu gehöre der flächendeckende Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung, bestmögliche Schmerzbehandlung sowie die Möglichkeit, schwerkranke Angehörige unabhängig vom Einkommen zu betreuen.

Eigenes Verfassungsgesetz

Freitag dieser Woche, mehr als zehn Jahre später, wird die ÖVP bei der letzten öffentlichen Sitzung der parlamentarischen Enquete-Komission "Würde am Ende des Lebens" einen Vorschlag präsentieren, der auf diesen Ideen des Österreich-Konvents aufbaut. Wie VP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl gegenüber der FUR-CHE erklärt, schlägt man in der Bundesverfassung eine eigene Zielbestimmung über den "Schutz des Lebens und das Recht, in Würde zu sterben" vor. Diese soll fünf Punkte umfassen: das Recht auf Sterben in Würde, das Recht auf Zugang zu hospiz- und palliativmedizinischer Betreuung sowie Schmerzbehandlung, das Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende, wozu ein leichterer Zugang zu Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten gehört (siehe rechts) sowie die Absicherung der Familienhospizkarenz.

Nach den Plänen Gerstls soll also ein eigenes Verfassungsgesetz festgeschrieben - und nicht die Strafbestimmung zur Tötung auf Verlangen in den Verfassungsrang gehoben werden. Eine solche Höherstellung einer Gesetzesnorm über eine andere war bei den Stellungnahmen zur Enquete-Kommission kritisiert worden. Die derzeitigen, einfachgesetzlichen Regelungen würden demnach unverändert bleiben und nur abgesichert werden, um Entwicklungen wie in den Niederlanden zu verhindern, so Gerstl. "Wer mit der aktuellen Regelung zufrieden ist, müsste unserem Vorschlag zustimmen können." Auch mit Widerstand der SPÖ rechnet er nicht: "Unser Vorschlag entspricht genau dem, was im Regierungsübereinkommen steht."

Schon im Arbeitsprogramm der Koalition war freilich um jedes Wort gerungen worden. "Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen auch in Zukunft ein würdevolles Sterben ermöglichen. Zugleich soll ein nachhaltiges Bekenntnis zum Verbot der Tötung auf Verlangen abgegeben werden", heißt es hier. Eine verfassungsrechtliche Verankerung wurde nicht konkret als Ziel formuliert; sie sollte nur im Rahmen einer parlamentarischen Enquete-Kommission sowie der Bioethik-Kommission diskutiert werden.

Wie der neue ÖVP-Vorstoß angenommen wird, bleibt also abzuwarten. SP-Justizsprecher Hannes Jarolim zeigt sich gegenüber der Verfassungsverankerung nach wie vor kritisch: Die Österreichische Bundesverfassung stelle "die zentrale Norm für die Gestaltung unseres Staates und die Grundrechte der einzelnen Bürgerinnen und Bürger dar" und solle "nicht zu einer Klauselsammlung weltanschaulich gewünschter Verbote verkommen", sagt er zur FUR-CHE. Es sei auch nicht einzusehen, "warum zukünftigen Gesetzgebern größtmögliche Schranken für deren Willensbildung auferlegt werden sollen."

Bei der katholischen Kirche wird der ÖVP-Vorstoß indes auf Zustimmung stoßen. Die Österreichische Bischofskonferenz hat erklärt, die parlamentarische Bürgerinitiative "An der Hand" zu unterstützen, welche u. a. eine Verankerung des Verbots von Tötung auf Verlangen in der Verfassung fordert. Auch die Katholische Aktion spricht sich für ein Grundrecht auf Sterben in Würde im Verfassungsrang aus.

Kritischer zeigten sich Hospiz Österreich, Caritas, Rotes Kreuz Vinzenz Gruppe und Österreichische Palliativgesellschaft in ihrer gemeinsamen Stellungnahme für die Enquete-Kommission: Die tatsächlichen Probleme in Österreich seien "nicht im Fehlen einer verfassungsrechtlichen Grundlage zu verorten", sondern in einem "Mangel an qualitativ hochwertigen Angeboten im Bereich der Palliativ-und Hospizversorgung". Außerdem könnte eine verfassungsrechtliche Verankerung einzelner Gesetzesbestimmungen dazu führen, dass andere "einfachgesetzliche Regelungen an Gewicht verlieren" - ein Einwand, den die ÖVP mit ihrem neuen Vorstoß auszuräumen hofft.

Noch grundsätzlicher ist indes die Kritik der evangelischen Diakonie Österreich an den Verfassungsänderungsplänen. Das Verbot der Tötung auf Verlangen erfahre heute "keine ungeteilte gesellschaftliche Zustimmung mehr", und das Verfassungsrecht sei "kein geeignetes Mittel, um derartige weltanschauliche bzw. ethische Konflikte im demokratisch-pluralen politischen Gemeinwesen zu lösen."

"Unsicherheit wird vergrößert"

Dass Tötung auf Verlangen und Suizidbeihilfe verboten sind, sei gut, präzisierte der evangelische Theologe Ulrich Körtner Mittwoch dieser Woche bei einer Pressekonferenz. Diese Verbote in den Verfassungsrang zu heben, würde jedoch "die unter Ärzten und Patienten ohnehin schon bestehende Unsicherheit vergrößern, welches medizinische Tun oder Unterlassen als Vorstoß gegen das Euthanasieverbot oder gegen das Verbot der Suizidbeihilfe zu beurteilen ist", so Körtner. Auch könne es sein, dass das seit 2006 geltende Patientenverfügungsgesetz ausgehöhlt würde. Wie groß hier die Unsicherheit auch bei Angehörigen der Gesundheitsberufe ist, habe die jüngste Studie des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin gezeigt (siehe rechts).

Nicht zuletzt könne es zu extremen Einzelfällen kommen, in denen sich Menschen angesichts des Leides und Bittens Sterbewilliger in unerträglichen Gewissenskonflikten wiederfinden. Das Verbot der Tötung auf Verlangen in Verfassungsrang würde die Tragik dieser Situation noch verschärfen. Die Diakonie Österreich schlägt im Gegenzug vor, rechtliche Lösungen für eine Entkriminalisierung der Suizidbeihilfe im Einzelfall zu suchen, ohne das bestehende Verbot gänzlich aufzuheben. "Grenzfälle müssen Grenzfälle bleiben", so Körtner.

SP-Justizsprecher Jarolim würde eine solche Einzelfallregelung unterstützen, VP-Verfassungssprecher Gerstl nicht: "Der Gesetzgeber nimmt darauf schon jetzt Rücksicht", sagt er. "Es gab nur 2007 einen Fall, und bei dem gab es keine Verurteilung. Aber in dem Moment, wo ich etwa einen assistierten Suizid gesetzlich grundsätzlich ermögliche, gebe ich einem Menschen die Möglichkeit, einen anderen zu töten. Und das ist die Umkehr unseres Rechtsschutzprinzips und der Nächstenliebe."

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